Ausgabe Juli 1992

Drei Welten oder eine?

I

Als Abschied "von dem Begriff der Dritten Welt" und "Rückkehr in die Geschichte der globalen Unübersichtlichkeit" kommentierte der SPD-Parlamentarier Freimut Duve die Ankündigung des sowjetischen Truppenabzugs aus Kuba (taz, 16.9.1991). Für Duve war dies der Schlußpunkt "der angeblich unumstößlichen Dreiteilung der Welt". Die "Dritte Welt" mit solcher Begründung aus der politischen Terminologie zu streichen und als Anachronismus der bipolaren Weltordnung ad acta zu legen, scheint mir freilich eine allzu voreilige und gefährliche Schlußfolgerung aus eurozentrischer Perspektive zu sein, die eine latente Verharmlosung des akuten Nord-SüdKonflikts in sich birgt.

Denn so unübersichtlich ist die "globale Unübersichtlichkeit" nun wirklich nicht. Mag der Begriff "Dritte Welt" in Frage gestellt werden, umschreibt er dennoch in der geweckten Assoziation einen nach wie vor und mehr denn je zutreffenden Tatbestand. Sich davon ersatzlos zu verabschieden, suggeriert die Lösung eines ungelösten Problems und leugnet die globale Hegemonialstruktur, die ungebrochen fortdauert.

Trotz aller internen Ausdifferenzierungen stellt die verallgemeinernde Kategorisierung "der Süden" auch weiterhin (in begrifflicher Analogie zur "Dritten Welt") eine durchaus notwendige und angemessene Metapher dar. Wie u.a.

Juli 1992

Sie haben etwa 7% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 93% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Januar 2026

In der Januar-Ausgabe skizziert der Journalist David Brooks, wie die so dringend nötige Massenbewegung gegen den Trumpismus entstehen könnte. Der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies erörtert, ob die Demokratie in den USA in ihrem 250. Jubiläumsjahr noch gesichert ist – und wie sie in Deutschland geschützt werden kann. Der Politikwissenschaftler Sven Altenburger beleuchtet die aktuelle Debatte um die Wehrpflicht – und deren bürgerlich-demokratische Grundlagen. Der Sinologe Lucas Brang analysiert Pekings neue Friedensdiplomatie und erörtert, welche Antwort Europa darauf finden sollte. Die Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres erläutern, warum die Abhängigkeit von Öl und Gas Europas Sicherheit gefährdet und wie wir ihr entkommen. Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski erklärt, wie wir im Umgang mit Künstlicher Intelligenz unsere Fähigkeit zum kritischen Denken bewahren können. Und die Soziologin Judith Kohlenberger plädiert für eine »Politik der Empathie« – als ein Schlüssel zur Bekämpfung autoritärer, illiberaler Tendenzen in unserer Gesellschaft.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Micha Brumlik: Ein furchtloser Streiter für die Aufklärung

von Meron Mendel

Als die Hamas am 7. Oktober 2023 Israel überfiel und anschließend der Krieg der Netanjahu-Regierung in Gaza begann, fragten mich viele nach der Position eines Mannes – nach der Micha Brumliks. Doch zu diesem Zeitpunkt war Micha bereits schwer krank. Am 10. November ist er in Berlin gestorben.