Ausgabe Juni 1992

Der deutsche Griff nach der Weltmacht

Die Fischer-Kontroverse in historischer Perspektive

Seit der deutschen Wiedervereinigung mehren sich die Stimmen derer, die das Geschichtsbild der Deutschen einer grundsätzlichen Revision unterziehen möchten. Einflußreiche Kräfte drängen mit aller Macht zurück zur "Normalität". Für sie ist die Zeit der 1945 von den Siegermächten "verordneten Buße" vorbei, die Stunde Null hat geschlagen.

Sie streben danach, das kritische Geschichtsbewußtsein, das sich in der alten Bundesrepublik seit den 70er Jahren in der Auseinandersetzung mit den Ursachen des Nationalsozialismus herauszubilden begann, durch eine harmonisierende Deutung zu ersetzen. Wie urteilte doch Ernst Nolte in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 22. Februar 1992: "Viele Menschen im wiedervereinigten Deutschland bedürfen der Tröstung und Ermutigung. Man hatte sich so gut und anscheinend erfolgreich in einer Sicht der Dinge eingerichtet, die das Dritte Reich (sic) des Nationalsozialismus mit der vorhergehenden Geschichte Deutschlands eng verknüpfte, daß die Zweistaatlichkeit als gerechte Strafe für die unvergleichbaren Verbrechen des Nationalsozialismus galt und mithin ohne Vorbehalt bejaht werden konnte. Dieses Welt- und Geschichtsbild hat durch die Wiedervereinigung entweder die Grundlage verloren, oder es muß das neu entstandene Deutschland innerlich zerstören.

Juni 1992

Sie haben etwa 4% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 96% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Verbrecherische Komplizen: Libyen und die EU

von Sigrun Matthiesen, Allison West

Es war ein Tiefpunkt in der Geschichte der Seenotrettung: 20 Minuten lang beschoss am 24. August ein Patrouillenboot der libyschen Küstenwache die Ocean Viking, ein Rettungsschiff der Seenotrettungsorganisation SOS Méditerranée.

Von Milošević zu Trump: Die bosnische Tragödie und der Verrat an den Bürgerrechten

von Sead Husic

Es herrschte keine Freude bei der bosnisch-herzegowinischen Regierungsdelegation am 22. November 1995 auf dem Wright-Patterson-Luftwaffenstützpunkt in Dayton. Eben hatte sie dem Friedensabkommen mit der Bundesrepublik Jugoslawien, die noch aus Serbien und Montenegro bestand, und Kroatien zugestimmt, doch sie fühlte sich betrogen.