Ausgabe Juli 1993

Die unerträgliche Kraftlosigkeit der Demokratie

im neuen Deutschland.

Die Bundesrepublik nach Solingen - zur Kenntlichkeit entstellt? Alle ahnen, daß nichts mehr so sein wird wie vor diesem Mai. Aber wo bleibt der Zorn? Die Entschlossenheit? Die Kraftanstrengung zur Rettung der Republik? Der deutsche Mai 1993 zeigt beklemmende Kontraste:

- Das Aufbäumen der Bürgergesellschaft nach Rostock und Mölln, kaum ein halbes Jahr her - und die Gewöhnung, die aus den kraftoder fühllosen Reaktionen auf die neuen Brandzeichen spricht: demonstratives Business as usual im Inland, ungeachtet der Unruhe, der sichtlich geschärften Sensibilität im Ausland (ganz und gar nicht nur unter "notorischen Deutschenhassern").

- Das Auftrumpfen der Parteispitzen, die am 26. Mai ungerührt ihren "Asylkompromiß" durch den Bundestag boxten - und die zu Recht als Symbol verstandene Absenz des Bundeskanzlers "danach".

- Die unverhüllte Mißachtung der parlamentarischen wie der gesellschaftlichen Willensbildung, die in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Paragr. 218 vom 28. Mai zum Ausdruck kam, ungeachtet der enormen Bedeutung, die eine Selbstbescheidung der Roten Roben für die sonst vielbeschworene Anerkennung der Frauen, der Ostdeutschen - in Potenz: der ostdeutschen Frauen im politischen Prozeß dieser Republik hätte haben können.

Juli 1993

Sie haben etwa 29% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 71% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Chile: Leere Versprechen für die Indigenen?

von Malte Seiwerth

Am 1. Juni hielt der chilenische Präsident Gabriel Boric zum letzten Mal seine jährliche Rede vor den beiden Parlamentskammern des südamerikanischen Landes, eine Tradition, die seit 1833 gepflegt wird. Nach dreieinhalb Jahren im Amt wirkte seine Rede bereits wie ein Abschied.