Was (wem warum) zusammen gehört / Stellungnahmen zum Thema Deutschland begründen (II)
Die deutsche Einheit bedarf keiner Begründung. Es war nur natürlich, daß die Menschen in der DDR, sobald sie Gelegenheit dazu hatten, ein unnatürliches Regime abschüttelten, für das es gute Gründe nicht gab; nicht aus nationalem Überschwang, sondern weil es in jeder Hinsicht unterlegen war: wirtschaftlich, sozial, demokratisch. Die "Nation" war für die Menschen in der früheren DDR vor allem ein Vehikel, zu Freiheit und Wohlstand zu gelangen.
So betrachtet war das Streben nach der deutschen Vereinigung, vor allem aus östlicher Perspektive, ein normaler Vorgang.
Trotzdem rechtfertigt dies nicht, daß die Deutschen nach der Vereinigung, nach dieser "unerhörten Begebenheit" (Wolf Lepenies), einfach zur Tagesordnung übergingen. Notwendig gewesen wäre eine öffentliche Debatte, in der das geistige und politische Profil des neuen Deutschland auch im Streit hätte sichtbar werden können, seine Traditionsbezüge zwischen 1871, 1933 und 1949 ebenso wie die Folgen der Vereinigung für Deutschland selbst und für Europa. Es gibt, so meine ich, kein Begründungsdefizit der deutschen Einheit, wohl aber ein dramatisches Begründungsdefizit der deutschen Politik, das nach 1989 nur besonders sichtbar und eklatant geworden ist und das in der Tat, wie mir scheint, die wichtigste hausgemachte Ursache für die Politikverdrossenheit ist.