Ausgabe Mai 1993

Angst...

Unsere politische Klasse, soweit die ihr Angehörenden an den Schalthebeln der Macht sitzen, verkündet uns dreimal am Tag, alles stünde zum besten. Sie wissen zwar, dem sei nicht so, aber sie glauben, eine ersichtlich beunruhigte Bevölkerung sei trostbedürftig und nur so dazu zu bringen, die Verursacher der Misere bei den nächsten Wahlen in ihren Ämtern zu bestätigen.

Nun, darüber ist nichts weiter zu sagen; einzusehen, daß sie diesen Wahlen mit Bang en entgegensehen. Über die Opposition, sprich SPD, ist überhaupt nichts zu sagen, denn sie ist nur noch auf dem Papier vorhanden, politisch spielt sie den toten Mann.

Nun gibt es aber noch, drittens, eine Miniminderheit von politisch interessierten Intellektuellen jeglicher Couleur, die sich fragen, nachzulesen in Publikationen mit geringer Auflage, nicht in den großen Zeitungen und gewiß nicht in der "Zeit": Verdammt, was ist bloß los mit diesen Deutschen (und also auch mit uns selbst)? Um das herauszufinden, benützen sie gewissermaßen einen Rechenschieber, und wenn sie damit feststellen wollen, wieviel 5 mal 10 ist, kommt 49,9 heraus. Als ich in den 70er Jahren mehrfach in der damaligen UdSSR war, sah ich in Supermärkten Kassiererinnen an einer elektrischen Rechenmaschine sitzen, neben der ein Gestell stand, auf dem bunte Rollen hin- und hergeschoben werden konnten.

Mai 1993

Sie haben etwa 24% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 76% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Chile: Leere Versprechen für die Indigenen?

von Malte Seiwerth

Am 1. Juni hielt der chilenische Präsident Gabriel Boric zum letzten Mal seine jährliche Rede vor den beiden Parlamentskammern des südamerikanischen Landes, eine Tradition, die seit 1833 gepflegt wird. Nach dreieinhalb Jahren im Amt wirkte seine Rede bereits wie ein Abschied.