Der "Appel a la vigilance" antwortet auf sich in jüngster Zeit häufende irritierende Nachrichten, die auf eine zunehmende Konfusion im intellektuellen Leben Frankreichs hindeuten. Ein langjähriges Redaktionsmitglied der linksliberalen Tageszeitung "Libération" zum Beispiel machte von sich reden, als es in einem Artikel mit antiisemitischen Tönen für eine Allianz der Kommunisten und der extremen Rechten plädierte, und zwar zum Kampf gegen die Herrschaft des "internationalen Zionismus" und der "Zwerge von Tokio". Die kommunistische Wochenzeitung "Revolution" zögerte nicht, die Mitarbeit des russischen Ex-Dissidenten Eduard Limonow anzunehmen, der sich gleichzeitig in Publikationen von Le Pens Front National rühmt, zwischendurch auf der Seite der serbischen Tschetniks mit der Maschinenpistole in der Hand das christliche Abendland zu verteidigen. Es wurde bekannt, daß sich Funktionäre der KPF mit Strategen der Neuen Rechten treffen und von der Wiederbelebung des Nationalbolschewismus nach Weimarer Muster träumen.
Aber auch prominente linke Intellektuelle wie Regis Debray oder Max Gallo finden nichts mehr dabei, in der Zeitschrift "Krisis", einer Neugründung des führenden Kopfs der Neuen Rechten, Alain de Benoist, zu veröffentlichen und dort in die Nachbarschaft von Strategen des Front National zu beraten. Pierre-André Taguieff, ein der Sozialistischen Partei nahestehender und als Experte für Rechtsextremismus vielzitierter Politologe, hält es inzwischen für angebracht, statt der Neuen Rechten die in Frankreich ohnehin zusammengeschmolzene antirassistische Bewegung zu bekämpfen, und gibt Alain de Benoist Interviews. Die Initiatoren des "Aufrufs zur Wachsamkeit", Intellektuelle unterschiedlicher Herkunft, wenden sich nicht gegen Dialoge zwischen "linken" und "Rechten", wie ihnen in der einen oder anderen Reaktion auf den Appell vorgehalten wurde, sondern plädieren dafür, die Unterschiede zwischen Andersdenkenden und zwischen politischen Hasardeuren nicht zu verwischen. Sich mit Alain de Benoist gemein machen heißt eben nicht, einem Mann die Hand hinstrecken, dessen Überzeugungen sich seit den Tagen der neorassistischen und nazinostalgischen Agitation de 60er und 70er Jahre grundlegend gewandelt haben, sondern bedeutet, sich von einem kulturpolitisch geschickten Strategen ins Schlepptau nehmen zu lassen, der es versteht, zwei verschiedene Kundschaften gleichzeitig anzulocken.
Während sich de Benoist als Herausgeber von "Krisis" ganz weltoffen-vorurteilslos gibt, seine gesammelten Sentenzen "Minima Moralia" überschreibt und Adorno zitiert, bietet er den Kunden der von ihm herausgegebenen Buchreihe "Konservative Revolution" als Treueprämie ein Buch des Nazi-Rassentheoretikers Hans F. K. Günther über Hitler an und läßt die deutschen Übersetzungen seiner vielfältigen Publikationen ausgerechnet in dem Tübinger Grabert Verlag erscheinen, der das vom Bundesgerichtshof verbotene Machwerk "Der Auschwitz-Mythos" veröffentlicht hatte. Der Appell zur Wachsamkeit, in Frankreich aufgrund französischer Vorgänge initiiert, ist alles andere als eine innerfranzösische Angelegenheit.
Denn auch in der Bundesrepublik lassen sich Intellektuelle, sei es aus naiver Uninformiertheit, sei es aus postmoderner Verbissenheit heraus, von Alain de Benoist und seinen hiesigen Satrapen ins Schlepptau nehmen, und es ist abzusehen, daß die Verwirrung weiter um sich greift. Der Begriff Pluralismus wird bemüht um der Konfusion einen demokratischen Heiligenschein umzuhängen: demokratischer Pluralismus enthält jedoch den Appell an die Freiheit, die auch die Freiheit des Unterscheidens und Neinsagens ist, wenn er jedoch den Charakter der Nötigung zum Dialog mit allem und jedem annehmen soll, ist er bereits zur Beute des autoritären Gesellschaftsprojekts geworden, für das die europäische Neue Rechte trommelt - in Moskau bei den großrussischen Chauvinisten laut und brutal, in Westeuropa eher gedämpft. Lothar Baier Wir sind besorgt über die Wiederkehr rechtsextremistischer antidemoratischer Strömungen im geistigen Leben Frankreichs und Europas. Wir sind beunruhigt über den Mangel an Wachsamkeit und Nachdenklichkeit in bezug auf dieses Thema. Aus diesem Grund versammeln sich einige von uns seit Januar 1993 regelmäßig, um Informationen auszutauschen und diese Fragen zu vertiefen. Daß sich die Ideologen der extremen Rechten als Autoren und Verleger in einem Netz antidemokratischer und neonazistischer Kreise betätigen, ist nichts Neues.
Doch diese Aktivität ist neuerdings nicht mehr auf eine Art Untergrundtätigkeit beschränkt. Sie wird offen ausgeübt und jeder, der sich die Mühe macht, sich zu informieren, kann sich leicht ein Bild von ihr machen. Dabei wollen diese Ideologen seit einiger Zeit glauben machen, sie hätten sich geändert. Zu diesem Zweck verfolgen sie eine Verführungsstrategie, die auf demokratische Persönlichkeiten und Intellektuelle gerichtet ist, von denen einige dafür bekannt sind, daß sie links stehen. Da diese weder über diese Aktivität noch über das Netz rechtsextremistischer Zirkel ausreichend informiert sind oder sie überhaupt nicht kennen, haben sie sich auf Artikel in Zeitschriften eingelassen, die von diesen Ideologen herausgegeben werden. Diese Veröffentlichung en werden dann als die offensichtliche Beglaubigung dafür ausgegeben, daß der angebliche Wandel Wirklichkeit geworden sei. Dies ist kein vereinzeltes Vorgehen, vielmehr Teil der gegenwärtigen Strategie einer Legitimierung der extremen Rechten, die allenthalben auf dem Vormarsch ist. Dieser Strategie kommen die vielfältigen Dialoge und Debatten entgegen, die sich über Themen entspinnen, welche man - gelinde gesagt - leichtfertig das Ende der Ideologien, die vermeintliche Überwindung jeder politischen Spaltung zwischen der Linken und der Rechten, die angebliche Erneuerung der Idee der Nation und der kulturellen Identität genannt hat.
Diese Strategie erhält auch durch die jüngste ModeThese Nahrung, die den Antirassismus als überholt und als gefährlich zu diskreditieren sucht. Unter Autoren, Verlegern und verantwortlichen Personen in Presse, Rundfunk und Fernsehen scheinen diese Manöver bisher noch nicht das gebotene Mißtrauen hervorgerufen zu haben. Aus Mangel an Informationen oder Wachsamkeit, aus Respekt vor der Freiheit des Wortes, aus Sorge um uneingeschränkte Toleranz leisten viele von ihnen, darunter die Verdienstvollsten, dieser Legitimierungsstrategie Vorschub. Durch diese ungewollte Komplizenschaft, so fürchten wir, werden in unserem geistigen Leben bald Diskurse alltäglich werden, die bekämpft werden müssen, weil sie gleichermaßen die Demokratie und das Leben der Menschen bedrohen. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Worte der extremen Rechten nicht bloße Ideen unter anderen sind, sondern den Anreiz zu Ausschluß, Gewalt und Verbrechen enthalten. Darum haben wir uns im Juli 1993 dazu entschlossen, ein "Komitee der Wachsamkeit" zu gründen, das es sich zur Aufgabe macht, alle Informationen zu sammeln und so weit wie möglich zu verbreiten, die dazu dienen können, das Netz der extremen Rechten und ihrer Verbindungen zum geistigen Leben (Verlage, Presse, Hochschulen) erkennbar zu machen. Und wir werden zu jedem Fall, der mit diesen Fragen in Zusammenhang steht, öffentlich Stellung beziehen. Wir verpflichten uns, jede Zusammenarbeit mit Zeitschriften oder Sammelwerken, die Mitwirkung an Rundfunk- und Fernsehsendungen sowie die Teilnahme an Kolloquien abzulehnen die von Personen geleitet werden, deren Verbindungen mit der extremen Rechten sich bestätigen sollten.
Frankreich ist bestimmt nicht das einzige europäische Land, in dem sich diese verschiedenen Strategien ausbreiten. Darum appellieren wir an ein Europa der Wachsamkeit und laden jeden ein, der unsere Initiative gutheißt, dieses Manifest zu unterzeichnen.
Unterzeichnerinnen und Unterzeichner: Miguel Abensour, Henri Atlan, Marc Auge, Lothar Baier, Norbert Bensaid, Ives Bonnefoy, Pierre Bourdieu, Georges Charpak, Claude Cohen-Tannudji, Michel Deguy, Jacques Derrida, Louis-Rene Des Forets, Georges Duby, Olivier Duhamel, Jacques Dupin, Umberto Eco, Arlette Farge, Lydia Flem, Nadine Fresco, Jacques Glowinski, Francoise Heriber, Yves Hersant, Francois Jacob, K. S. Karol, Jean-Marie Lehn, Nicole Loraux, Patrice Loraux, Charles Malamoud, Andre Miquel, Phiippe Nozieres, Maurice Olender, Michelle Perrot, Evelyne Pisier, Leon Poliakov, Jean Pouillon, Jacques Revel, Rossana Rossanda, JeanPierre Vemant, Lucy Vines, Paul Virilio.
Übersetzung: Hans-Hagen Bremer