Bis zum Jahr 1990 war die Frage, worauf sich die Zusammengehörigkeit der Bürger der BRD gründet, kein sonderlich aktuelles Thema. Es geisterte allenfalls durch Festtagsreden und den akademischen Diskurs über die "Identität der Deutschen", wurde aber kaum als ein praktisches Problem empfunden. Und zumindest in liberalen und linken Kreisen war es geradezu verpönt, darüber auch nur laut nachzudenken. Weil jede Definition der eigenen Zusammengehörigkeit unvermeidlich die Kehrseite hat, andere als Nichtzugehörige auszuschließen, stand schon ihr Versuch unter Rassismusverdacht.
Das unauffällige Zusammengehörigkeitsbewußtsein der Bonner Republik
Das war alles andere als die heute so gern gescholtene kosmopolitische Blauäugigkeit von Intellektuellen. Die Aversion gegen jeden Versuch, die besonderen Grundlagen ihrer Zusammengehörigkeit explizit zu thematisieren, war bis 1990 in der BRD weithin geteilter, gesellschaftlicher Konsens. Auch wenn es paradox zu sein scheint: Eben dieser Konsens war die Grundlage der bundesdeutschen Zusammengehörigkeit. Die Nichtthematisierung ihrer besonderen Zusammengehörigkeit löste daher den Zusammenhalt der Bonner Republik nicht etwa auf, sondern machte ihn überhaupt erst möglich.