Rußland zwischen Parlamentarisierung und Präsidialherrschaft
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Seit etwa einem Jahr eskalieren die Konflikte an der politischen Oberfläche Rußlands. Dies drückt weniger eine neue Stufe oder einen neuen Charakter des schwierigen Reformprozesses aus, als vielmehr eine weitere Akzentuierung. Die konstitutiven Elemente sind unverändert: Die durch die Erschöpfung des traditionellen sowjetischen Modells und die Umstellungsversuche schwer erschütterte Ökonomie, die Untersteuerung und Insuffizienz der Politik, die Vervielfältigung der Aktionsräume und Eliten, die ungeklärte Verfassung des Staates und selbst der Konstitution, zunehmende soziale Verwerfungen und Entregelungen u.a.m. sind und bleiben für lange Zeit die Rahmenbedingungen der Transformation und des auf sie bezogenen Handelns.
Während die Zwischenbilanz von Systemwandel und Systemwechsel neben vielen Instabilitäten und Risiken auch zahlreiche positive Elemente und Chancen zu nennen hat, werden die Herausforderungen für aktuelle Politik inner- und außerhalb der sich wandelnden Länder eher von der anhaltenden Instabilität bestimmt. Immer neue Erschütterungen und Eruptionen sind nicht ungewöhnlich: Transformationen dieser Größenordnung rufen Abwehr und Gegenkräfte hervor. Viele Menschen, auch ganze soziale Gruppen, sind geistig desorientiert und verlieren materiell. Es sind keine allgemein verbindlichen Spielregeln mehr durchsetzbar.