Jean-Marie Guehennos imperiale Verabschiedung der Demokratie
Sollten Sie bei diesem Titel erschrecken, kann ich Sie - vorerst - beruhigen. Nicht das Vierte Reich ist im Anmarsch. Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, intellektuelle Flirts mit "faschistoiden" Gedankengängen - all das sind nicht dessen Vorboten, sondern nur Epiphänomene einer verblassenden nationalstaatlichen Fixierung - schlimm, aber letztlich ohne Bedeutung, Gekräusel auf der Oberfläche stiller Gewässer, die bekanntlich tief sind. Aus dieser Tiefe funktionaler Lebensnotwendigkeiten drängen ganz andere Kältewellen nach oben, auf die wir golfstromverwöhnten Europäer nicht vorbereitet sind - hört man aus Frankreich. In Zeiten, die als Zeitenwende empfunden werden, steigt die Nachfrage nach Perspektivenliteratur. Gefordert sind die bestsellerschreibenden Experten für den Panoramablick.
Wiederaufgreifen des Reichsgedankens
Auch und besonders in Frankreich findet seit etwa zehn Jahren ein Diskurs Über die nationale Identität statt. Aber stärker als hierzulande hat gerade die Rechte - sowohl die extreme in ihren beiden Varianten, dem metapolitischen Intellektuellenzirkel GRECE mit seinen Vordenkern Al de Benoist und Guillaume Faye sowie Le Pens Front National, wie auch die liberalkonservative Rechte die Frage nach der nationalen Identität stets mit der nach der Zukunft Europas verbunden.