Ausgabe April 1995

Naht ein Viertes Reich?

Jean-Marie Guehennos imperiale Verabschiedung der Demokratie

Sollten Sie bei diesem Titel erschrecken, kann ich Sie - vorerst - beruhigen. Nicht das Vierte Reich ist im Anmarsch. Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, intellektuelle Flirts mit "faschistoiden" Gedankengängen - all das sind nicht dessen Vorboten, sondern nur Epiphänomene einer verblassenden nationalstaatlichen Fixierung - schlimm, aber letztlich ohne Bedeutung, Gekräusel auf der Oberfläche stiller Gewässer, die bekanntlich tief sind. Aus dieser Tiefe funktionaler Lebensnotwendigkeiten drängen ganz andere Kältewellen nach oben, auf die wir golfstromverwöhnten Europäer nicht vorbereitet sind - hört man aus Frankreich. In Zeiten, die als Zeitenwende empfunden werden, steigt die Nachfrage nach Perspektivenliteratur. Gefordert sind die bestsellerschreibenden Experten für den Panoramablick.

Wiederaufgreifen des Reichsgedankens

Auch und besonders in Frankreich findet seit etwa zehn Jahren ein Diskurs Über die nationale Identität statt. Aber stärker als hierzulande hat gerade die Rechte - sowohl die extreme in ihren beiden Varianten, dem metapolitischen Intellektuellenzirkel GRECE mit seinen Vordenkern Al de Benoist und Guillaume Faye sowie Le Pens Front National, wie auch die liberalkonservative Rechte die Frage nach der nationalen Identität stets mit der nach der Zukunft Europas verbunden.

April 1995

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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