Zum politischen und gesellschaftlichen Wandel in Rußland
Zu den wenig erfreulichen Dingen, mit denen sich politikbegleitende Forschung in Deutschland bei der Beobachtung der Vorgänge in Osteuropa auseinandersetzen muß, gehört die Fixierung der Öffentlichkeit - und der verantwortlichen Politiker - auf herausragende Einzelpersonen, mit deren Namen in nahezu magischer Weise Erwartungen an politische, soziale und wirtschaftliche Veränderungen verknüpft werden. Die jeweiligen Idole werden zu Fixpunkten in einem politischen Koordinatensystem stilisiert, das sich an dem allzu schlichten Paradigma Reformer-Demokratie-Marktwirtschaft-Optimismus versus Reformgegner-Demokratiefeinde-Staatswirtschaft-Pessimismus orientiert. Sowohl im Falle Gorbatschow wie im Falle Jelzin setzte man Akteur und Programm in eins - die Einzelperson galt als Garant eines umfassenden gesellschaftlichen Wandels. Dabei wurden in der Regel nicht nur Veränderungen in der Verhaltens- und Denkweise des jeweiligen Politikers ausgeblendet - Gorbatschows Rechtsschwenk im Jahre 1990 führte ebensowenig zu einer Revision der Einschätzung wie Jelzins reformpolitisches Versagen 1993 und 1994 -, man nahm häufig auch die komplexen Strukturbedingungen nicht zur Kenntnis, die den Handlungsspielraum der Akteure einengen. Die Fixierung auf Symbolfiguren verstellt aber den Blick auf den realen Charakter des Transitionsprozesses und auf die Risiken, die diesem politischen, sozialen und ökonomischen Wandel innewohnen.