Die Auseinandersetzung um das Kruzifix-Urteil hat überraschend und aufschlußreich Grundeinstellungen wichtiger intellektueller und politischer Eliten in Deutschland aufgedeckt: In der ebenso vehementen wie maßlosen Kritik an diesem Urteil wurde deutlich, wie oberflächlich ihr Verständnis der elementaren Normen unserer freiheitlichen Demokratie wie der sie begründenden jüdischchristlichen Tradition noch immer - oder wieder - ist *).
Die scharfe Schelte und die unverhohlene Aufforderung zum Ungehorsam gegenüber der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts folgte im wesentlichen drei Argumentationslinien, die in sich widersprüchlich sind und insgesamt auf die Mißachtung des Rechts der Minderheit und damit der Würde der Person als der Legitimation der freiheitlichen Demokratie hinauslaufen:
1. Das Urteil versehe sich an dem Tatbestand, daß die liberale Demokratie auf der christlichen Tradition beruht.
2. Das Urteil mute der Mehrheit den Verzicht auf ihre Überzeugung zu, um einer Minderheit Genüge zu tun.
3. Das Kruzifix an der Wand könne niemanden in seiner weltanschaulichen Überzeugung beeinträchtigen, weil dieses Symbol niemanden anhalte oder gar zwinge, sich nach der christlichen Botschaft zu richten, sich überhaupt um sie zu kümmern.