Ausgabe Mai 1995

Der Eingemauerte

Eine Jünger-Nachlese

"Dieser Mann ist wahrlich mit Bewußtheit geschlagen. Keinen Winkel gibt es zwischen Himmel und Erde, keine Stunde im Jahr, wohin er sich nicht mitzuschleppen verurteilt ist. Die vielen Bereiche, durch die er sich rezeptierend, katalogisierend, summierend bewegt, und auch die Menschen, die ihm begegnen - sofern sie nicht sehr starke oder sehr naive Naturen sind -, verlieren ihre Vielgestaltigkeit, ihren natürlichen Reichtum und werden zu Bestandteilen der 'Provinz Jünger'. Sie ist so künstlich, daß selbst die Unordnung künstlich in sie hineingetragen werden muß. Die Blumen, die dort wachsen, sind aus Blech gestanzt, und an die Beine der Käfer sind kleine Zettel mit lateinischen Namen geknüpft. Ein starkes Licht, das keine Quelle zu haben scheint, erhellt sie. In einem künstlichen Teich aber schwimmt ein schimmernder Fisch und wird allein um seines Namens willen, Goldorphe, zum Mythos und Symbol erhoben. Symbol wofür? Zum großen Teil besteht Jüngers Mystik darin, daß er diese Frage nicht beantworten kann. Der Trick mit der 'Goldorphe' erinnert an den Budenbesitzer, der drei Seehunde in einer Badewanne als die blutdurstigsten Ungeheuer der arktischen Urwelt anpreist. (...) Ein Mensch, der nicht aufhören kann zu denken, trennt sich von allem Lebendigen und vereinsamt. Seine unermüdliche Denktätigkeit hat auch seine Schreibweise verheert.

Mai 1995

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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