Die Katastrophenperiode 1943 bis 1948
Für die Beobachtung des gesellschaftlichen Wandels in Deutschland erweist sich die einschneidende politische Zäsur von 1945 nicht als ein Fixpunkt. Die Sozialgeschichte läuft nicht synchron mit der politischen. 1) In der neueren Forschung wird die These vertreten, daß sich der Wandel der deutschen Gesellschaft in einem mehrjährigen Prozeß vollzog, und zwar in den Not- und Krisenjahren zwischen 1943 und 1948. In diesem Jahrfünft "zwischen Stalingrad und Währungsreform" - so der Titel einer großen sozialgeschichtlichen Untersuchung des Münchener Instituts für Zeitgeschichte 2) - wurde die deutsche Gesellschaft regelrecht durcheinandergewirbelt. Wie läßt sich das erste Eckdatum, das Jahr 1943, sozialhistorisch begründen?
Die Antwort ist mehrgleisig: Mit der deutschen Niederlage in Stalingrad 1943 begann das, was man in der Literatur die "Erosion politischer Loyalitäten" 3) genannt hat, womit der allmähliche und partielle Ablösungsprozeß vieler Deutscher vom Nationalsozialismus gemeint ist. Sodann ist die zunehmende Totalisierung des Krieges zu nennen, die im Reich und in den besetzten Gebieten neuerliche Wanderungsbewegungen in Gang setzte.