Ausgabe August 1996

Von der Sonderkultur zum Integrationsfaktor

Der Katholizismus in der modernen deutschen Gesellschaft am Beispiel der Katholikentage

Der Katholizismus ist in der Regel kein Thema für Politikwissenschaftler. Den meisten Politologen ist dieser Gegenstand ganz und gar fremd, einigen vielleicht sogar ein wenig unheimlich. Jedenfalls ist das meine Erfahrung, wenn ich in Kollegenkreisen davon erzähle, daß ich mich für den Katholizismus interessiere. Überwiegend stoße ich dann auf Unverständnis, oft auf Spott, nicht selten aber auch auf Distanz, auf Abwehr. Ich bin überzeugt, daß die jahrhundertelange Konfessionsfehde in Deutschland noch heute in den Untergründen der kollektiven Mentalitäten nachwirkt, auch bei aufgeklärten universitären Zeitgenossen. Wer im protestantischen Bildungsbürgertum groß geworden ist, hat sehr wahrscheinlich eine Menge schon früh erlernter Skepsis gegenüber allem Katholischen mit auf den Lebensweg bekommen. Er oder sie wird in den meisten Fällen den Katholizismus als etwas dumpf Reaktionäres, als eine diktatorisch von Rom gesteuerte papistische Bewegung, als Inkarnation von Intoleranz, Dogmatismus, Illiberalität und Wissenschaftsfeindlichkeit ansehen. Und die deutsche Universität ist lange eine ganz überwiegend protestantisch geprägte Institution gewesen, eine Tradition, die nicht einfach verschwunden ist.

August 1996

Sie haben etwa 5% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 95% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Die Rückkehr des Besatzers

von Sergej Lebedew

Vor fünfzig Jahren, am 1. August 1975, wurde mit der Unterzeichnung des Abkommens von Helsinki die Unverletzlichkeit der nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Grenzen anerkannt. Wie wir wissen, dauerte die Ordnung von Helsinki etwa fünfzehn Jahre. Die Sowjetunion hörte auf zu existieren, und die Länder Ost- und Mitteleuropas fanden ihren Weg zu Freiheit und Eigenstaatlichkeit.