Die Demokratiepreis-Verleihung der "Blätter" am 10. März 1997 (vgl. die Texte im Aprilheft, S. 403 ff.) hatte ein reges Presseecho zur Folge, das wir nachstehend in einer Auswahl dokumentieren. Wir konzentrieren uns dabei auf Kommentare deutschsprachiger Tages- und Wochenzeitungen. (Den vollen Wortlaut dieser und weiterer Kommentare und Berichte finden Sie in der Anfang Mai erscheinenden Edition Blätter 2; vgl. die Anzeige auf der 4. Umschlagseite.) Eine gewisse Verblüffung, die der Abend hier und da, mal links, mal rechts, bei den Kommentatoren hinterlassen hat, gibt einmal mehr Anlaß, über die Hinderlichkeit vorgefaßter Meinungen bei der Begegnung mit neuen Wirklichkeiten nachzudenken. Die Reden des Abends wurden übrigens auch in der Hamburger "Zeit" vom 14. März (Jürgen Habermas), in der "Süddeutschen Zeitung" vom 15. März (Daniel J. Goldhagen) und im Westdeutschen Rundfunk (Jan Philipp Reemtsma in der Sendung "Dokumente und Debatten" am 14. März) abgedruckt bzw. ausgestrahlt. Ausdrücklich hinweisen möchten wir bei dieser Gelegenheit auf das Rimsky-Korsakow-Quartett aus St. Petersburg (abgebildet auf S. 405 des Aprilhefts). Es spielte Sätze aus dem Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110 "Zum Gedenken an die Opfer von Faschismus und Krieg" von Dmitri Schostakowitsch und aus dem Streichquartett Nr. 3 op. 46 des in Auschwitz umgebrachten Komponisten Viktor Ullmann und hat damit den eindrucksvollen Abend in der Bonner Beethovenhalle mit geprägt. D. Red.
US-Autor Daniel Jonah Goldhagen, 38, über die positive Aufnahme seines Bestsellers "Hitlers willige Vollstrecker" in Deutschland. Für das Buch erhält er diesen Montag in Bonn den Demokratiepreis der "Blätter für deutsche und internationale Politik." ["Der Spiegel"] (...) Spiegel: Sie haben eine heftige Debatte entfacht. Wollen Sie mit neuen Thesen zum Thema nachlegen? Goldhagen: Ich habe eine Menge wissenschaftlicher Interessen. Als nächstes möchte ich eine vergleichende Studie über den Völkermord im 20. Jahrhundert schreiben ... Spiegel: ... wobei Sie unweigerlich den ganzen Historikerstreit aufrollen müssen, aus dem das fatale Aufrechnen von Massenmorden noch in übler Erinnerung ist. Goldhagen: Vergleichen an sich ist als Methode vollkommen legitim - solange es nicht bloß für politische Umwertungen benutzt wird, sondern wissenschaftlicher Aufklärung dient. Spiegel: Läßt sich das so einfach trennen? Die Ehrung, die jetzt an Sie geht, liefert möglicherweise jenen Unbelehrbaren, die kürzlich in München wieder aufmarschierten, neue Vorwände. Goldhagen: Ach, die wollen Politik machen. Das wird es immer geben. Mir geht es um historische Einsicht und darum, daß Leute von der Geschichte etwas lernen. Denn das kann sie auch zum Nachdenken anregen, welchen Prinzipien ihre eigene, heutige Gesellschaft folgen sollte. Solche Zukunftsfragen müssen natürlich hier, im vereinigten Deutschland, ausgiebig diskutiert werden. "Der Spiegel", 11/1997: "Ich bin nur ein Bote"
(...) Nachdrücklich wandte sich der amerikanische Historiker dagegen, einen "Schlußstrich" zu ziehen. Diese Strategie sei zum Scheitern verurteilt. Die Vergangenheit hinter sich zu lassen, sei ausschließlich in einem Sinn möglich: "sie auf Abstand zu halten, um sicherzugehen, daß sie nicht zu einer nach dem Bild dieser Vergangenheit geschaffenen Zukunft wird." Das aber könne nur heißen, die Vergangenheit in den Köpfen lebendig zu erhalten. Goldhagen: "Wer im der Dunkelheit wandert, weiß nicht, wohin er gerät." (...) "Rheinische Post", 11.3.1997: "Modell Deutschland". (Gregor Mayntz) (...)
Der junge amerikanische Historiker Daniel Goldhagen schlug gestern bei der Verleihung des Demokratiepreises, einer renommierten politischen Zeitschrift des linken Spektrums versöhnliche Töne an. Denn bislang war ihm nicht der Ruf vorausgeeilt, es besonders gut mit den Deutschen zu meinen. (...) "Sächsische Zeitung", 11.3.1997 "Bestseller nach Kritik". (Christian Striefler)
Wer bisher Daniel Goldhagen für einen Pauschalisten gehalten hat - jenen US-Autor, der die Deutschen vermeintlich in ihrer Gesamtheit für die Nazi-Verbrechen verantwortlich macht - dem durften die jüngsten Bemerkungen Goldhagens Anlaß geben, sein Urteil zu überdenken: Das Deutschland des Jahres 1997, so stellte der Autor des Bestsellers "Hitlers willige Vollstrecker" in einem Vortrag anerkennend fest, sei ein "Demokratie-Modell" mit weltweiter Ausstrahlung. (...) Spricht so ein Pauschalist, ein Vereinfacher? Wohl kaum (...) "Stuttgarter Nachrichten", 11.3.1997 "Lob von Goldhagen". (Jan Sellner)
Geschichtswunde. Die Aktion ist nicht ohne Geschick. Ein feines, aber nach wie vor kleines Monatsheft, die Blätter für deutsche und internationale Politik, loben einen Demokratiepreis aus, erkennen ihn Daniel Jonah Goldhagen zu, jenem jungen Amerikaner, der im vergangenen Jahr mit seinem Buch über "Hitlers willige Vollstrecker" die kritische Intelligenz in Aufruhr und Debatten gestürzt hat. Und alle kommen. Mehr als 2000 Geladene finden sich in der Bonner Beethovenhalle ein, ergraute Altlinke sind darunter, manche Jüngere, in jedem Fall viele, die einst der Vision des demokratischen Sozialismus nachspürten. Mit Sorgfalt getroffen ist auch die Auswahl der Preis-Redner: Der eine, Jürgen Habermas, hat vor zehn Jahren im Historikerstreit mitgefochten, der andere, Jan Philipp Reemtsma, ist Mitinitiator jener Wehrmachtsausstellung, die in diesen Monaten in verschiedenen deutschen Städten (derzeit in München) zu sehen ist. (...) Distanz zum eigenen Tun, diese "kritische Einstellung gegenüber Eigenem", die Goldhagen gefördert habe, findet auch den Beifall von Jürgen Habermas. Tief hat er sich ins Private zurückgezogen und um das Goldhagen-Buch und die daran anknüpfende Debatte einen weiten Bogen geschlagen. Nun meldet er sich in Bonn doch zu Wort. Unveränderlich wäre das Undenkbare nicht gewesen, sagt er. (...) "Die Täter lebten im einer Welt, in der Nachdenklichkeit, Diskussion und Auseinandersetzung möglich waren." Deshalb beziehe sich das eigentliche Verdienst Goldhagens auf spezifische Überlieferungen und Mentalitäten, auf Denk- und Wahrnehmungsweisen eines bestimmten, kulturellen Kontextes. "Sie bezieht sich nicht auf ein Unveränderliches, in das wir ums zu schicken haben, sondern auf Faktoren, die durch einen Bewußtseinswandel verändert werden können." Und der Preisträger selbst? Der betrachtet nach Abschluß seiner Arbeit und der kraftraubenden anschließenden Debatte manches anders. Differenzierter. Und merklich wohlwollender. Oder hat es mit der Aura der Preisverleihung zu tun? (...) "Badische Zeitung", 12.3.1997 "Heraus aus der Gefahr des historischen Vernebelns?" (Horand Knaup)
(...) Goldhagens Publikum ist jung. Ohne Frage gehört es zur Generation der Enkel der Täter, von denen sein Buch handelt. Ein paar Ältere sind allerdings auch da, in der Halle und draußen auf dem Vorplatz. Die in der Halle zeigen Sympathie für Goldhagen und applaudieren seinen Laudatoren. Für die da draußen hat der Krieg kein Ende: "Warum glaubt ihr nicht euren Vätern?" Es könnte das Motto des Abends sein. Daniel Jonah Goldhagen in Deutschland, dritte Runde. Nach den ersten Diskussionen über sein Buch im letzten Frühjahr, nach dem Bestseller-Erfolg in Deutschland und der triumphalen Tournee im Herbst kehrt Goldhagen jetzt zurück, um sich in aller Form preisen zu lassen. Die "Blätter für deutsche und internationale Politik" haben ihm den "Demokratiepreis 1997" zugesprochen. (...) Daniel Jonah Goldhagen ist zu loben. Der Aufgabe unterziehen sich an diesem Abend Jürgen Habermas und Jan Philipp Reemtsma. Alle drei betätigen sich als Zeithistoriker, ohne Historiker zu sein. Der amerikanische Politologe ist es sowenig wie der deutsche Sozialphilosoph oder der Literaturwissenschaftler aus Hamburg. Goldhagen, Habermas und Reemtsma sind Meister in der Kunst, Streit über die Geschichte zu entfachen, drei Meister des historischen Diskurses in der Medienöffentlichkeit - nicht aber drei Historiker. An diesem Abend wiegt das noch geringer als sonst. Nicht Goldhagens Beitrag zur historischen Forschung ist zu loben, sondern die Wirkung, die sein Buch in der deutschen Öffentlichkeit getan hat. Und von öffentlicher Wirkung verstehen die drei Redner viel. (...) Goldhagen ist es gelungen, die Achse des historischen Diskurses umzudrehen. Lange Zeit hat sich die Erforschung der nationalsozialistischen Verbrechen auf den Massenmord in den Vernichtungslagern konzentriert. Für Mommsen, Jäckel, Hillberg waren die Motive des Verbrechens irrational, die Ausführung hingegen planvoll, industriell. Goldhagen, der sich den individuell verübten Taten zuwendet, sieht rational aufklärbare, ideologische Motive - jetzt ist es die Ausführung, die irrational wird. Die Hintergründe des Verhaltens werden einsichtig: Prinzipiell sei alles erklärbar, hat Goldhagen kürzlich gesagt. Schlagartig gelangt man so wieder zu einem gesicherten Weltbild. Der Einzelne, nach der bisherigen Forschung ein schwer zu beurteilendes Rad in einer komplizierten, kafkaesken Maschinerie, wird wieder in einen Spielraum des Verhaltens gestellt. (...) Goldhagen hat die Geschichte wieder auf den Einzelnen gestellt. Mit dem Einzelnen kann man sich identifizieren, über ihn kann man Abscheu empfinden. Diesen Zugang zur Geschichte der NS-Verbrechen, einmal eröffnet, wird keine Fachhistorie jemals wieder zustellen. (...) Die Projekte Jan Philipp Reemtsmas und Daniel Jonah Goldhagens haben einen gemeinsamen Nenner. Es ist der Schrecken. Doch ihre Pädagogiken des Schreckens weisen Unterschiede auf. Reemtsma will seine Landsleute dazu zwingen, sich in den Schrecken zu vertiefen: "Der Schrecken sollte nachhaltig sein. Sonst stimmt das Sensorium nicht." Goldhagen hat den Schrecken längst hinter sich gelassen. Nach dem Inferno, das die ganz gewöhnlichen Deutschen angerichtet haben, haben sie jetzt, genauso gewöhnlich wie damals, nur ungewöhnlich gut belehrt durch ihre Freunde, das Paradies der exportfähigen Demokratie erreicht. Das "Modell Deutschland" hat Serienreife erlangt, bescheinigt Goldhagen in seiner Dankesrede. Da möchte man doch wieder den Vätern glauben. "Frankfurter Allgemeine Zeitung", 12.3.1997: "Der lange Schrecken". (Ulrich Raullf)
(...) Habermas stemmt sich gegen die seit 1989 sich breitmachende "neue Sorte von vaterländischem Geist", die auf den im Historikerstreit vor zehn Jahren vorgetragenen Revisionismus aufbauen kann. Damals trat der Philosoph als Widersacher des Historikers Ernst Nolte auf. Heute hebt er in dem Zusammenhang von "politischem Selbstverständnis" und "historischem Bewußtsein" die Rolle des Bürgers hervor: Während die Enthüllungen von Verbrechen in den Familien "private Angelegenheiten" blieben, haben die Nachfahren "als Bürger ein öffentliches Interesse am dunkelsten Kapitel ihrer nationalen Geschichte" - für sich selbst und für "ihr Verhältnis zu den Opfern und deren Nachkommen". So entsteht Habermas zufolge aus "einem weit verbreiteten individuell schuldhaften Verhalten in der Vergangenheit das Bewußtsein kollektiver Haftung". Das aber habe mit einer kollektiven Schuld nichts zu tun. Ein Gedanke, der auch der aufgeregten Debatte über die Wehrmachts-Ausstellung ganz guttun könnte. "Frankfurter Rundschau" 12.3.1997 "Was frühere Verbrechen für Bürgerheute bedeuten". (Matthias Arning)
In lauer Abendluft standen einige versprengte Unbelehrbare vor der Bonner Beethovenhalle und beschimpften die Preisverleiher auf Handzetteln als "Goldhagens willige Vollstrecker". Die unerwartet zahlreich herbeiströmenden Gäste nahmen davon keine Notiz. Die Polizei hatte es freilich für nötig befunden, zum Schutz der Veranstaltung mit einigen Mannschaftswagen vorzufahren. Erwies sich diese Maßnahme auch als überflüssig, so wurde doch im Saal selbst zur Genüge deutlich, daß Daniel Goldhagen und sein Buch über "Hitlers willige Vollstrecker" auch im demokratischen Lager immer noch polarisieren. Während liberale und linksliberale Politprominenz in beachtlicher Stärke - von Ante Vollmer über Hans-Ulrich Klose bis zu Joschka Fischer- erschienen war, glänzten zumindest die höheren Chargen der Regierungsseite durch Abwesenheit. Niemand hatte erwartet, daß Peter Gauweiler dem US-Politologen seine Aufwartung machte; aber daß andere, aufgeschlossenere Vertreter im Auditorium fehlten - das war beschämend [...] "Kölner Stadt-Anzeiger", 12.3.1997: "Deutschland als Modell". (Markus Schwering)
(...) Ich kenne kein anderes Land, das so offen und konsequent mit den unrühmlichen und schrecklichen Kapiteln der eigenen Vergangenheit umgeht", sagt der Mann, dem so oft vorgeworfen wird, er wolle ein ganzes Volk zu Massenmördern stempeln. (...) Starker Tobak für die Bewohner des Landes, die sich über Bundesregierung und Geschichtsblindheit erregen, nicht länger hinnehmen wollen, daß die Opfer der mörderischen Hitleranhänger verleumdet und verarmt sterben, nie eine Entschädigung sehen oder von Behörde zu Behörde verwiesen werden, während die Täter "Opferrenten" beziehen und eine Verurteilung vor Gericht kaum zu befürchten haben. Vielleicht ist es die Nähe zu den Dingen, das tägliche Ausgesetzt-Sein, was uns den Blick verstellt, der sich jemandem, der von der amderen Seite des Atlantiks kommt, eröffnet. Daß keineswegs alles zum besten steht, ist Goldhagen natürlich klar: "Die Proteste der letzten Zeit gegen die Wehrmachtsausstellumg machen deutlich, daß noch immer Widerstand gegen grundlegende Wahrheiten geleistet wird", konstatiert der Amerikaner. [Währenddessen] steht vor der Beethoven-Halle ein Dutzend derer, die nicht zuhören wollen: "Wir wollten mit einigen Freunden hier einen sichtbaren Protest anbringen, damit Goldhagen nicht in Amerika erzählen kann, alle Deutschen hätten ihm die Füße geküßt für seine Lügen." "Neues Deutschland", 12.3.1997: "Das Böse ist das verkehrte Gute". (Jochen Börst)
(...) "Geschichtswissenschaft degeneriert zu Geschichtspolitik", so Jürgen Habermas, "sobald die Sicht des analysierenden Beobachters mit der Perspektive verschmilzt, die die Teilnehmer an Selbstverständigungsdiskursen einnehmen. Doch sowohl die Laudatio des Sozialphilosophen als auch die Begründung der preisstiftenden Monatsschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik" ließen keinen Zweifel, daß es sich bei der Demokratiepreis-Verleihung 1997 an Daniel Goldhagen um ein geschichtspolitisch gewolltes Ereignis handelt. (...) Den Protagonisten der gut organisierten Veranstaltung erscheint Goldhagens Oeuvre als Mahnmal gegen die drohende Desensibilisierung eines normalisierten Deutschland. Von den potentiellen Gefahren beim Übergang zur Berliner Republik handelte denn auch die Dankesrede des glücklichen Preisträgers. "Süddeutsche Zeitung", 12.3.1997: "Diskursethischer Segen". (Norbert Seitz) Gipfeltreffen.
(...) Goldhagen: (...) Viele Leute stecken mich nun in eine Schublade. Sie erwarten von mir, daß ich das, was im Buch steht, auf die heutige Bundesrepublik übertrage. Dabei ist doch offensichtlich, daß sich hier eine echte Demokratie entwickelt hat. Das ist kein Widerspruch zu dem, was ich über die Vergangenheit geschrieben habe. Vielmehr war das richtige Verständnis der Geschichte das zentrale Moment für die Entwicklung der Bundesrepublik. Die Deutschen haben aus ihrer Geschichte gelernt. Ein Hitler, der heute von der Rolle des Blutes in der Menschheitsgeschichte schwadronierte, würde für verrückt erklärt. taz: Ist es nicht selbstverständlich, daß gerade die Deutschen sich mit ihrer Vergangenheit intensiver auseinandersetzen als andere? Goldhagen: Die Japaner haben während des Zweiten Weltkrieges ähnliche Verbrechen begangen wie die Deutschen, Japan hat seine Vergangenheit aber nicht annähernd so ausgearbeitet. Die Demokratie kam in Deutschland auch nicht plötzlich. Das war ein schwieriger Prozeß. Von zentraler Bedeutung war die 68er-Bewegung, die bewußte Auseinandersetzung der Kinder mit ihren Eltern und deren Vergangenheit. 1965 hatten viele noch kein rechtes Vertrauen in die Dauerhaftigkeit der deutschen Demokratie. Mitte der 80er hat sich das völlig geändert. (...) Wie oft haben Sie das schon gehört, daß jemand die Deutschen für ihre demokratische Entwicklung so gelobt hat? Dieser Erfolg der Deutschen hat bisher nicht genügend Erwähnung gefunden. Natürlich besteht dabei immer die Gefahr, daß die Leute auf Lob selbstgefällig reagieren. Aber man muß die Wahrheit sagen. Ich hoffe, es wird für die Leute glaubwürdiger, das Lob zu akzeptieren, wenn es ausgerechnet von mir kommt. "die tageszeitung", 13.3.1997: "Die Bundesrepublik ist die größte Erfolgsstory der Nachkriegszeit" - "Man muß die Deutschen loben". (Interview: Markus Franz, Damian Müller)
in derartiges Kompliment hatte an diesem Abend wohl niemand erwartet. Schon gar nicht vom Autor des Bestsellers "Hitlers willige Vollstrecker". Erstaunlich selbstkritisch, lobte Daniel Jonah Goldhagen, seien die Deutschen im Umgang mit ihrer Vergangenheit. Die meisten der zweitausend Zuschauer, die bei der Verleihung des Demokratiepreises der "Blätter für deutsche und internationale Politik" in Bonn dabeisein wollten, mußte dieses Lob ratlos machen. (...) Für die Kritik am deutschen Umgang mit der Vergangenheit gab es Beifall, bei Goldhagens Lob auf eben diesen Umgang malte sich eher verlegene Ratlosigkeit auf den Gesichtern ab. Und gerade deshalb liegt der Verdacht nahe, daß viele nicht nur gekommen waren, um den Preisträger zu ehren, sondern auch, um sich selbst als aufrechte Minderheit inmitten der geschichtsvergessenen Mehrheit zu feiern. Den Thesen von den "willigen Vollstreckern" zuzustimmen heißt für sie, Widerstand gegen einen neokonservativen Zeitgeist zu leisten. (...) Als der DemokratiePreisträger nach seinem Lob für die deutsche Aufarbeitung der Vergangenheit dazu ermahnte, sich für eine angemessene Anerkennung der nichtjüdischen Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik einzusetzen, war im Publikum fast so etwas wie Erleichterung ob der neuen Herausforderung zu spüren - eine Reaktion, so zwiespältig wie der ganze Abend. "Rheinischer Merkur". 14.3.1997: "Ein Lob, das ratlos machte" (Christiane Florin) Schwierigkeiten mit der Normalität.
Ein intellektuelles Ereignis, ein kleines Gipfeltreffen eigener Art: Das war wohl der Grund für das gewaltige Interesse an einem Abend mit Jürgen Habermas, Jan Philipp Reemtsma und Daniel J. Goldhagen diese Woche in Bonn. Die Blätter für deutsche und internationale Politik, ein Forum für aktuelle und grundsätzliche Streitfragen, hatten dem jungen amerikanischen Historiker den "Demokratiepreis 1997" für sein Buch über "Hitlers willige Vollstrecker" verliehen. Die "Blätter", deren Herausgebergremium von Günter Gaus bis Walter Jens, von Rudolf Hickel bis Claus Leggewie, von Jens Reich bis Rosemarie Will für eine große Bandbreite zeitgenössischen Denkens bürgt, hatten Habermas und Reemtsma als Laudatoren eingeladen. Habermas hatte sich zu Goldhagens Thesen bisher nicht geäußert. Viele der intellektuellen Weggefährten des Sozialphilosophen unter den Historikern waren aus fachlicher Sicht auf Distanz zu Goldhagen und seiner Ansicht gegangen, im Genozid hätten "die Deutschen" ihren tiefverwurzelten Antisemitismus nur vollstreckt. Gerade namhafte NS-Forscher, die sich allen Normalisierungsabsichten querstellten, sahen sich plötzlich in der Defensive. Allein deshalb war man gerade auf die Laudatio von Habermas (...) besonders gespannt. In seiner Dankesrede wollte Goldhagen nachweisen, daß vor allem die "Internationalisierung" der Nationalgeschichte zu einer bemerkenswerten historischen Ehrlichkeit in Deutschland geführt habe. Es sei an der Zeit, dieses "deutsche Modell" zu internationalisieren Fast unfreiwillig ging Goldhagen dabei über die Laudatoren hinaus und beförderte sich selbst zum Kronzeugen für eine Entwicklung der Bundesrepublik in die richtige Richtung. Vielleicht war es dieser Zungenschlag, der dazu führte, daß man den Abend doch auch mit gemischten Gefühlen verließ. "Die Zeit", 14.3.1997 "Gipteltreffen". (gho)
(...) Zeiten und Auditorien ändern sich, der "Demokratiepreis" ist geblieben. Heute setzen sich die Blätter für "eine über bündnispolitische und ökonomische Bindungen hinausgehende Westorientierung des Landes" ein, und die Geschichte des "Demokratiepreises" fängt inzwischen anders an: mit der Preisverleihung an die "Demokratiebewegung der DDR", vertreten durch Bärbel Bohley und Wolfgang Ullmann, im Jahre 1990. Zur diesjährigen Preisverleihung am vergangenen Montag in der gefüllten Bonner Beethovenhalle kamen zwar keine Vertreter der UdSSR und der DDR mehr, dafür aber aller im Bundestag vertretenen Parteien, angeführt von den Bundestagspräsidiumsmitgliedern Hans-Ulrich Klose und Antje Vollmer. (...) Eine Neubelebung der Goldhagen-Debatte beabsichtigten die Blätter allerdings mit ihrer Entscheidung nicht. Bisher sei die Anerkennung, die Goldhagen "der Bundesrepublik als einem neuen, in der politischen Zivilisation der Moderne, im Westen endlich (halbwegs) angekommenen Deutschland zollte, so Blätter-Redakteur Karl D. Bredthauer, weitgehend ignoriert worden. Hier gebe es "zwischen deutschen Kritikern und deutschen Befürwortern Daniel Goldhagens (...) eine merkwürdige Übereinstimmung". Mit diesem Mißverständnis hat Goldhagen nun unüberhörbar aufgeräumt. Denn in seiner unter dem Motto "Modell Deutschland" stehenden Dankesrede, konzentrierte er sich diesmal nicht auf Hitlers willige Vollstrecker, sondern auf Deutschlands willige Demokraten, die mit Hilfe des Westens die richtigen Schlüsse aus einem "nationalen Trauma" gezogen hätten (...) So scharfsinnig, wie er sich mit der deutschen Vergangenheit vor 1945 auseinandergesetzt hat, so erschreckend oberflächlich bleibt seine Betrachtung der deutschen Nachkriegsentwicklung und Gegenwart. (...) Um Goldhagen nicht unrecht zu tun: Seine Lobpreisung der "außerordentlichen Errungenschaften der Bundesrepublik" dürfen nicht mißverstanden werden. Er ist nicht der Ansicht, daß nun ein "Schlußstrich" unter die deutsche Vergangenheit gezogen werden könnte. Im Gegenteil: Er fordert, daß sie in den Köpfen lebendig gehalten wird, um eine sonst drohende Wiederholung zu verhindern. Daniel Goldhagen ist ein antifaschistischer Liberaler und bleibt daher ein Haßobjekt für die Geschichts-Entsorger-Fraktion, die immer noch größer ist, als Goldhagen wahrhaben will. Wer allerdings in Goldhagen einen Kronzeugen gegen das wiedererstarkte Deutschland sehen wollte, dürfte spätestens seit letzter Woche kuriert sein. "Junge Welt", 15./16.3.1997: "Gründlich gelernt." (Pascal Beucker)
Ein Lob, das ratlos machte. Nun haben das umstrittene Buch und die verstörte Debatte, die es ausgelöst hat, sozusagen ihren Platz gefunden. So etwa wird man die Verleihung des Demokratie-Preises an den amerikanischen Historiker Daniel J. Goldhagen in der vergangenen Woche in Bonn wohl verstehen dürfen. Aber weder die Fragwürdigkeit seiner Grundthese, im Mord an den Juden hätten die Deutschen nur ihre beispiellose antisemitische Verderbtheit ausgelebt, noch die Mängel, die die Historiker seinem Buch bescheinigten, haben dabei eine Rolle gespielt. Es ist die Wirkung auf die Öffentlichkeit, die als der zu preisende Ertrag der stürmischen Wochen im Herbst übrig geblieben ist. Goldhagen habe, so hieß es in der Begründung der Preisverleihung, die "Sensibilität für Hintergründe und Grenzen einer deutschen 'Normalisierung' geschärft". Den jungen amerikanischen Historiker, der übrigens in seiner Dankesrede seine deutschen Kollegen gar nicht genug loben konnte, gar ein "deutsches Modell" der Vergangenheitsbewältigung ausmachte, kann man für diese nationalpädagogische Wendung nicht in Anspruch nehmen. Sie ist genuin deutscher Herkunft - was man schon an der feinen Distanzierung erkennt, mit der da von "einer deutschen 'Normalisierung'" gesprochen wird, insinuierend, daß dieser nicht recht über den Weg zu trauen sei. Wir kennen die Weise, wir kennen den Text (...) [E]in gut Teil der Auseinandersetzung nach 1989 hat damit zu tun, daß sich Deutschland dem Zustand eines normalen Nationalstaats mehr angenähert hat als je zuvor in seiner Geschichte aber sich gerade damit schwer tut. Wann werden wir gelernt haben, mit Normalität - normal umzugehen? "Der Tagesspiegel", 16.3.1997: "Schwierigkeiten mit der Normalität". (Hermann Rudolph)
Als Daniel Goldhagen (37), Autor des umstrittenen Buches "Hitlers willige Vollstrecker", letzte Woche in Bonn den "Demokratiepreis 1997" erhielt, war die vorangegangene Pressekonferenz - gekommen waren unter anderen sechs Fernsehteams - gerammelt voll. Bei der abendlichen Preisverleihung blieb in der Beethovenhalle kein Platz frei. Man sah SPD-Klose, Bonns OB Bärbel Dieckmann, die Grünen Antje Vollmer, Joschka Fischer, Kerstin Müller, den Bürgerrechtler Ullmann und PDS-Gysi. Als eine Woche davor das Buch "Andere Deutsche unter Hitler" vorgestellt wurde - ein Buch über Deutsche, die Juden vor dem Holocaust retteten und dabei eigenes Leben riskierten -, kam ein knappes Dutzend Journalisten, keine TV-Kamera war aufgebaut (...) "Bild", 18.3.1997: "Und was ist mit dem 'guten Deutschen'?" (Mainhardt Graf Nayhauß)
Mitunter traute man seinen Ohren nicht. Daniel Jonah Goldhagen, dessen Buch über "Hitlers willige Vollstrecker" wie kein anderes historisches Werk in jüngster Zeit Furore gemacht hatte und Anlaß zu heftigsten Auseinandersetzumgen gewesen war, sprach jetzt in Bonn vom "Modell Deutschland" in einem überaus positiven Sinn. (...) Der Abend in der Beethovenhalle stimmte jedenfalls hoffnungsvoll. Man hatte die Stuhlreihen eng zusammengerückt, um wenigstens 2000 Zuhörern Platz zu bieten; zweimal soviel Interessenten mußte man zuvor absagen. Der Abend dauerte dann - mit den drei konzentrierten Reden, zwei Musikstücken und ohne Pause - von 20 bis 22.30 Uhr; keine Unruhe kam auf, keine Müdigkeit; das überwiegend jüngere Publikum zeigte sich dem Anspruch durchaus gewachsen. "Das Parlament", 21.3.1997: "Das Verhalten der Bundesrepublik ist Anlaß zur Genugtuung". (ks)
(...) Nach dem Wirtschaftswunder nun also ein Geschichtswunder? Aus psychoanalytischer Sicht liegt der Verdacht nahe, daß dem begrüßenswerten Perspektivenwechsel in der Historiographie des Nationalsozialismus im Verlauf der "Goldhagen-Debatte" latent ein Moment von Gegenaufklärung innewohnt, das destruktive Wirkungen auf diesen Diskurs entfalten könnte. (...) Folgt man Goldhagens Argumentation, (...) wäre Auschwitz der absolute, unvorstellbare Exzeß des deutschen Antisemitismus, der zugleich diese fatale Tradition bricht. Der "Holocaust" würde zu einem Opfer - entsprechend der ursprünglichen griechischen Bedeutung, das die Deutschen von ihrem spezifischen, eliminatorischen Antisemitismus befreit. Das klingt zynisch angesichts der Millionen Ermordeten und des anhaltenden Leidens der Überlebenden; die immense Publizität von Goldhagens Thesen könnte aber auf dieses entlastende Moment zurückzuführen sein. Der Autor erscheint als Erlöser, der "die Deutschen" aus ihrem historischen Schuldzusammenhang befreit. (...) "Frankfurter Rundschau", 1.4.1997: "Geschichtswunder". (Ilka Quindeau)