Ausgabe September 1997

Von wegen Balkanisierung

"Krieg in Europa", "der europäische Krieg" - in Buch- und Aufsatztiteln des Jahres 1991 ist noch das Erschrecken darüber zu spüren, daß Menschen wie wir, die über ein Wohnzimmer mit Video und Couchgarnitur verfügen, von Beruf Elektriker oder Englischlehrerin sind, unter Umständen einmal mit zwei Plastiktüten von Benetton vor ihren brennenden Einfamilienhäusern stehen können, ähnlich, aber doch viel bedrohlicher, als wir es von Fernsehbildem aus Vietnam oder Somalia kennen. Fruchtbar ist dieses Erschrecken über den Krieg im früheren Jugoslawien dann aber nicht geworden.

Schon bald setzte der mediale Nachhilfeunterricht über "Balkanvölker" und ihre Geschichte ein und tröstete uns damit, daß sich hinter der westlichen Fassade des Südslawen ein primitiver Stammeskrieger verbirgt. 1991, als die Jugoslawische Volksarmee kroatische Städte beschoß und einnahm, wollten viele noch an einen Krieg zwischen Zivilisation und Barbarei glauben. Als zwei Jahre später in Bosnien Kroaten und Muslime einander bekämpften und klar wurde, daß der Konflikt sich nicht über die Grenzen des früheren Jugoslawien ausbreiten würde, konnte in Europa auch das geistige containment erfolgreich abgeschlossen werden: Der "Herd" war politisch und kulturhistorisch eingekapselt.

September 1997

Sie haben etwa 10% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 90% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema