Erklärung des Deutschen Richterbundes vom 16. Juni 1998 (Wortlaut)
Mit der Fusion von Innen- und Justizressort gedachte NordrheinWestfalens neuer Ministerpräsident "das wohl deutlichste Signal zur Regierungs- und Verwaltungsreform" zu setzen. Kritik wies Wolfgang Clement mit dem Argument zurück, "Deutschland könne sich in der modernen Welt nicht mit Verwaltungsstrukturen des 19. Jahrhunderts behaupten." (Beide Zitate aus der "Frankfurter Rundschau", 15.6.1998). Der Präsident des Bundesgerichtshof, Geiß, rügte in einem Gespräch mit dem neuen Düsseldorfer "Superminister" Behrens, mit der Fusion "werde eine gewachsene Struktur zerstört, nur um dem Wähler die politische Botschaft 'Wir sparen' zu präsentieren." Geiß sieht den Vorgang im Zusammenhang mit einer "Rechtsstaatsmüdigkeit, die in die Köpfe der Menschen eingekehrt ist." ("Frankfurter Allgemeine Zeitung", 27.6.1998) Obwohl die Verwischung der Grenzen zwischen dem Innen- und dem für die Dritte Gewalt zu ständigen Justizministerium als ein Vorgang innerhalb der Exekutive die Gewaltenteilung nicht unmittelbar berührt, gibt sie Anlaß, das Verhältnis der vollziehenden Gewalt zu den beiden anderen (Legislative und eben Jurisdiktion) unter die Lupe zu nehmen. - Im folgenden dokumentieren wir eine Entschließung der deutschen Gerichtspräsidenten vom 17. Juni, ein Protestschreiben der nordrhein-westfälischen Gerichtspräsidenten an Ministerpräsident Clement vom 25. Juni und eine Erklärung des Deutschen Richterbundes vom 16. Juni d.J. - D. Red.
Die Entscheidung des Ministerpräsidenten ist rückwärtsgewandt und widerspricht modernem, aufgeklärtem Verfassungsverständnis. Sie ignoriert die seit fast zwei Jahrhunderten in Deutschland gewachsene Verfassungswirklichkeit, die - aus Gründen der Machtbeschränkung des Staates - die Verantwortung für Inneres und Justiz verschiedenen Ressorts zuordnet.
Das Justizministerium nimmt über die Rechtsförmlichkeitsprüfung die wichtige Aufgabe der Verfassungs- und Rechtskontrolle innerhalb der Regierung wahr. Es ist - nach klassischem Verständnis ein unpolitisches Ressort, das nicht vorrangig der Umsetzung der Regierungspolitik durch Exekutivmaßnahmen verpflichtet ist. Gerade dieses ist aber Aufgabe des Innenministeriums, was sich in besonders deutlicher Weise in dessen Zuständigkeit für die Bereiche öffentliche Sicherheit und Ordnung und polizeiliche Angelegenheiten manifestiert.
Der Justizminister vertritt demgegenüber die Belange der rechtsprechenden Gewalt gegenüber Parlament und Öffentlichkeit. Die unabhängigen Gerichte haben von Verfassungs wegen u.a. über die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns zu wachen, also die verfassungsmäßigen und gesetzlichen Rechte jedes einzelnen zu gewährleisten.
Im Konfliktfall hat der Justizminister die Unabhängigkeit der Gerichte und die Bindung der Staatsanwälte an den Legalitätsgrundsatz zu schützen. Die Verfassungsgeschichte - auch gerade der letzten 50 Jahre bietet hinreichend Beispiele für Konflikte zwischen Innen- und Justizministerium, die aus dieser Konstellation entstanden sind, sie werden sich auch künftig zwangsläufig ergeben. Es gehört zu den Errungenschaften eines freiheitlichen demokratischen Rechtstaates, daß solche Konflikte nicht unterdrückt, sondern offen ausgetragen und entschieden werden.
Dies ist bei einer Eingliederung des Justizministeriums in das Innenressort nicht mehr gewährleistet. Mit ihr wird die ohnehin sensible Balance des staatlichen Machtgefüges zu Lasten der Dritten Gewalt und damit zu Lasten der Bürger- und Freiheitsrechte des einzelnen beschädigt. Hinweise auf Kosteneinsparungen und eine Steigerung der "Verwaltungseffizienz" sind in diesem Zusammenhang abwegig. Das Leitbild des "schlanken Staates" darf nicht dazu führen, daß Zuständigkeiten verwischt und Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt werden und dadurch die Rechte des einzelnen in Gefahr geraten, beeinträchtigt zu werden.
Entschließung der 50. Tagung der deutschen Gerichtspräsidenten vom 17. Juni 1998
Die Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs sieht die Zusammenlegung des Justiz und des Innenressorts in Nordrhein-Westfalen mit großer Sorge.
Sie ist sich zwar bewußt, daß der Ministerpräsident den Zuschnitt der Landesregierung bestimmt, und sie unterstützt Bemühungen, den öffentlichen Dienst effizient und kostengünstig zu gestalten. Die Justiz ist aber nicht Bestandteil der Exekutive. Seit nahezu 200 Jahren sind Rechtsprechung und Verwaltung auch in der politischen Verantwortung getrennt, weil damit jeder Anschein einer Interessenvermischung vermieden wird. Die in dieser Trennung zum Ausdruck kommende Gewaltenteilung gehört zu den Grundlagen des Verständnisses unseres Rechtsstaats, Sie ist wesentliches Element der Akzeptanz des Rechtsstaats auch in den neuen Bundesländern. Die Beseitigung der eigenständigen politischen Repräsentanz der Justiz stört das System der wechselseitigen Kontrolle der Gewalten. Der Stellenwert der Justiz wird gemindert. Ihre Eingliederung gefährdet das Vertrauen der Bürger in die Unabhängigkeit der Justiz und widerspricht damit auch dem Selbstverständnis der Dritten Gewalt.