Skandale und Krisen bergen immer auch die Chance zur Besinnung und zum Neuanfang. Der Bedarf nach solchen kathartischen Prozessen könnte in der europäischen Politik momentan nicht größer sein. Seit Monaten steht die Europäische Kommission in den Schlagzeilen, und zwar nicht wegen eines erfolgreichen Managements der gewaltigen politischen Aufgaben - Reform zentraler Politikbereiche, neue Finanzarchitektur und Osterweiterung -, sondern wegen einer nicht enden wollenden Kette von Enthüllungen über Betrügereien. Bereits seit Beginn der 90er Jahre mehrten sich die Berichte über Unregelmäßigkeiten, Betrug und die Verschwendung von EU-Geldern. Schon 1989 hatte man auf Druck des Europäischen Parlamentes im Generalsekretariat der Kommission eine zentrale Koordinierungseinheit für die Betrugsbekämpfung (UCLAF) eingerichtet, deren Ressourcen 1994 - wieder aufgrund parlamentarischen Drucks - erheblich erweitert wurden. Trotz eines jährlich vorgelegten Arbeitsprogramms der Kommission, die inzwischen auch einen integrierten Ansatz zur Korruptionsbekämpfung entwickelte, 1) war eine Entschärfung des interinstitutionellen Konfliktes nicht festzustellen.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.