Deutsches politisches Bewußtsein nach 1945
Im doppeldeutschen Jubiläumsjahr 1999 legen die beiden Staatsgründungen von 1949, die auch schon der Historisierung anheimfallenden Umwälzungen des Jahres 1989 und der Streit um die geistigen Grundlagen der fortbestehenden Bundesrepublik es nahe, sich intensiver mit der Entwicklung des politischen Bewußtseins nach dem Untergang des Deutschen Reiches zu befassen. Gesine Schwan erörtert im folgenden zwei Grundmuster bundesrepublikanischer "Theorie und Praxis". Ihr Text vermittelt einen ersten Überblick über Basis und Resultate eines mehrjährigen Projekts, das sie mit einer empirischen Befragung abschloß. Das Ergebnis wird im Frühjahr 1999 bei Nomos als Buch erscheinen. - D. Red.
Alte Hasen und sogenannte Realisten in der Politik glauben, daß nichts so sehr zusammenschweißt wie ein gemeinsamer Feind. Entsprechend dieser Devise schien nach 1945 für die neu entstandene westdeutsche Bundesrepublik nicht ein positives demokratisches Bekenntnis, sondern die Gegnerschaft gegen den Kommunismus die gemeinsame ideelle Grundlage zu stiften. Der Antikommunismus galt für eine Reihe von Historikern der Nachkriegszeit als die neue deutsche Staatsräson. Ihm wurde als Pendant und dann doch auch positive Grundeinstellung in der Einschätzung vieler Zeitanalytiker der Proamerikanismus zur Seite gestellt.