Nach 50 Jahren ihres Bestehens hat die Bundesrepublik, 1949 ausdrücklich als Provisorium gegründet, bereits die Dauer des deutschen Kaiserreichs übertroffen, dessen entsprechendes Jubiläum in das Jahr 1921 gefallen wäre. Mit diesem Rekord an Stetigkeit neuerer deutscher Geschichte korrespondiert das relativ geringe Interesse an der Bundesrepublik als historischem Phänomen. Die katastrophischen Zeiten, vor allem das "Dritte Reich", und mittlerweile auch die düsteren polizeistaatlichen ebenso wie die kulturell skurril anmutenden Seiten der DDR, scheinen die Aufmerksamkeit der historisch interessierten Öffentlichkeit weitgehend zu absorbieren. Zudem wird mitunter argumentiert, es sei seit 1989/90 anachronistisch geworden, die Geschichte der Bundesrepublik gesondert zu untersuchen. Deutsche Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg könne nur noch als deutsch-deutsches Wechselverhältnis beschrieben werden. Diese Auffassung ist nur scheinbar plausibel und nur partiell richtig. Natürlich stellt sich Deutschland im 20. Jahrhundert (bis 1990) als "dreifache Zeitgeschichte" (Hans Günter Hockerts) des in das "Dritte Reich" mündenden Nationalstaats und der beiden Nachfolgestaaten Bundesrepublik und DDR dar.
In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn.