Nach 50 Jahren ihres Bestehens hat die Bundesrepublik, 1949 ausdrücklich als Provisorium gegründet, bereits die Dauer des deutschen Kaiserreichs übertroffen, dessen entsprechendes Jubiläum in das Jahr 1921 gefallen wäre. Mit diesem Rekord an Stetigkeit neuerer deutscher Geschichte korrespondiert das relativ geringe Interesse an der Bundesrepublik als historischem Phänomen. Die katastrophischen Zeiten, vor allem das "Dritte Reich", und mittlerweile auch die düsteren polizeistaatlichen ebenso wie die kulturell skurril anmutenden Seiten der DDR, scheinen die Aufmerksamkeit der historisch interessierten Öffentlichkeit weitgehend zu absorbieren. Zudem wird mitunter argumentiert, es sei seit 1989/90 anachronistisch geworden, die Geschichte der Bundesrepublik gesondert zu untersuchen. Deutsche Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg könne nur noch als deutsch-deutsches Wechselverhältnis beschrieben werden. Diese Auffassung ist nur scheinbar plausibel und nur partiell richtig. Natürlich stellt sich Deutschland im 20. Jahrhundert (bis 1990) als "dreifache Zeitgeschichte" (Hans Günter Hockerts) des in das "Dritte Reich" mündenden Nationalstaats und der beiden Nachfolgestaaten Bundesrepublik und DDR dar.
In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.