Was ist alltäglicher als die Klagen über die Demokratiedefizite der Europäischen Union: die mangelnden Kompetenzen des Europäischen Parlamentes; die Nichttransparenz der Gesetzgebungsarbeit des Rates; die Expertokratie und Lobbyismusabhängigkeit der Kommission. Die Klagen sind allesamt so notorisch wie berechtigt. Aber die Forderungen, die an sie geknüpft zu werden pflegen, offenbaren in fast allen Fällen ein erschreckendes Ausmaß an Unkenntnis der Unionsverfahren wie der Unionsinstitutionen. Natürlich können Informationsdefizite abgestellt werden, besonders angesichts der nahezu unbegrenzten Möglichkeiten, die die moderne Informationstechnik dafür bereit hält! Aber das Informationsdefizit ist lediglich Symptom eines viel tiefer liegenden Problems, das durch das erschreckend niedrige Niveau der Beteiligung an der letzten Europawahl zum Vorschein kam: das fehlende öffentliche Bewußtsein dafür, daß es sich bei der Europäischen Union um eine politische Initiative handelt, bei der es um nichts Geringeres geht als die Zukunft der Demokratie in Europa. Deren Vergangenheit war nationalstaatlich. Die Zukunft der Demokratie, auch die der nationalstaatlichen, wird supranational sein - oder sie wird gar keine Zukunft haben.
In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.