Reformprozesse, zumal in Deutschland, folgen einem stets gleichen Verlaufsmuster. Auf die Problemleugnung folgt eine langdauernde Phase der Symptombekämpfung. Mögen die dabei ergriffenen Maßnahmen noch so ineffizient sein, aus der Perspektive stimmenmaximierender Politik haben sie den unschätzbaren Vorteil, notwendige strukturelle Eingriffe zunächst vermeiden zu können. Erst wenn sich die Symptombekämpfung durch immer kurzatmigere Maßnahmen selbst ad absurdum führt, entsteht ein Zwang, neue Weichenstellungen vorzunehmen. Dies war bei der Rentenreform so, wo Norbert Blüm als zuständiger Minister lange Zeit gebetsmühlenartig zu versichern wusste: "Die Renten sind sicher". Und es ist bei der Gesundheitsreform kaum anders. Die Auflösung eines über lange Zeit bestehenden Reformstaus führt im konsensorientierten deutschen Politikmodell freilich in den seltensten Fällen zu mehr als einer Weiterentwicklung des bestehenden Systems.
So wird bei der Rentenreform mit dem Einstieg in eine ergänzende und zunächst freiwillige "private Altersvorsorge" das bestehende System der beitragsfinanzierten gesetzlichen Altersrente stabilisiert, ohne dass an seine Grundfesten - etwa durch Einführung einer steuerfinanzierten Grundrente - gerührt würde.