Ausgabe Juni 2002

Zum Leben verurteilt

In Straßburg wird ein Urteil gefällt, und die Zeitungen sind voll des Lobes für die Richter, die ihr Mitleid in den Griff bekommen und dem Recht zur Geltung verholfen haben. Die "Frankfurter Allgemeine" wittert gar die Chance, das Rad der Zeit zurückzudrehen: Wenn die Große Kammer das Urteil nicht "korrigiert", "dann wird es sich auf die niederländische und belgische Gesetzgebung zur aktiven Sterbehilfe auswirken m ü s s e n". 1) Was ist geschehen? Am 29. April entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) den Fall Pretty vs. the United Kingdom. Diane Pretty hatte in Großbritannien vor den dortigen Gerichten die Zusage erstreiten wollen, dass ihr Mann straffrei ausgeht, wenn er ihr beim Suizid assistiert. Die 43jährige Britin, die am 11. Mai starb, litt an einer unheilbaren Muskelkrankheit, war vom Hals abwärts gelähmt. Ihr drohte ein qualvoller Tod durch Ersticken. Auf Grund ihrer Lähmung hätte sie einen Suizid nicht ohne fremde Hilfe durchführen können. Nachdem sie im November letzten Jahres vor dem obersten britischen Zivilgericht gescheitert waren, versuchten die Eheleute Pretty in Straßburg unter Berufung auf die Menschrechtskonvention, eine prinzipielle Straffreiheit für assistierten Suizid zu erstreiten.

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