Ausgabe September 2004

Rechtschreibreformdebatte

Springer-Verlag und Axel Springer AG kehren zur klassischen Rechtschreibung zurück. Pressemitteilung vom 6. August 2004 (Wortlaut)

Spiegel-Verlag und Axel Springer AG kehren zur klassischen Rechtschreibung zurück. Pressemitteilung vom 6. August 2004 (Wortlaut) Acht Jahre nach Verabschiedung der Rechtschreibreform, sechs Jahre nach ihrem Inkrafttreten und drei Jahre nach Rückkehr der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zur alten Rechtschreibung kündigten Anfang August d.J.

Spiegel-Verlag und Axel Springer AG kehren zur klassischen Rechtschreibung zurück. Pressemitteilung vom 6. August 2004 (Wortlaut)

Acht Jahre nach Verabschiedung der Rechtschreibreform, sechs Jahre nach ihrem Inkrafttreten und drei Jahre nach Rückkehr der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zur alten Rechtschreibung kündigten Anfang August d.J. der Spiegel-Verlag und die Axel-Springer AG an, fortan ebenfalls wieder auf Grundlage der alten Regeln zu publizieren. Gleichzeitig forderten sie Verlage und Nachrichtenagenturen auf, es ihnen gleich zu tun. Nachdem die Kultusministerkonferenz (KMK) erst im Juni einstimmig die verbindliche Geltung der - in Teilen modifizierten - neuen Rechtschreibung ab August 2005 beschlossen hatte, entfachte dieser Vorstoß die Reformdebatte aufs Neue (vgl. u.a. den Aufruf der Präsidenten deutscher Akademien der Künste und Wissenschaften, in "Blätter", 1/2004, S. 121- 123). Während die "Süddeutsche Zeitung" sich an dem Vorhaben beteiligte, bekräftigten die "Frankfurter Rundschau" und andere Zeitungen, der Philologenverband, die GEW, zahlreiche Schulbuchverlage und die Mehrheit der Bundesländer, an der neuen Rechtschreibung festhalten zu wollen. Ein durch die KMK einzuberufender "Rat für deutsche Rechtschreibung" soll zukünftig die getroffenen Entscheidungen überdenken und die Sprachentwicklung beobachten. - D. Red.

Die Axel Springer AG und der Spiegel-Verlag kehren in ihren Print- und Online-Publikationen zur klassischen deutschen Rechtschreibung zurück. Damit werden die zu den Verlagen gehörenden Titel, die rund 60 Prozent (Quelle: MA 2004/II) der Bevölkerung erreichen, ihre Schreibweise umstellen. Gleichzeitig richten die Verlage einen Appell an andere Verlage sowie an die Nachrichtenagenturen, sich diesem Schritt anzuschließen und gemeinsam dem Beispiel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu folgen, die als einzige Zeitung die Umstellung nach kurzer Zeit wieder rückgängig gemacht hatte. Ziel dieser Maßnahme ist die Wiederherstellung einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung.

Hintergrund der Initiative ist die mangelnde Akzeptanz und die zunehmende Verunsicherung bezüglich des vorgegebenen Regelwerks für die deutsche Schriftsprache. Nach fünf Jahren praktischer Erprobung in den Druckmedien und sechs Jahren in den Schulen hat die Reform weder für professionell Schreibende noch für Schüler Erleichterung oder Vereinfachung gebracht. Im Gegenteil: Die Verunsicherung wächst, Vermischungen von alter und neuer Rechtschreibung sind an der Tagesordnung. Wer vor der Reform sicher schreiben konnte, macht heute Fehler. Eltern benutzen eine andere Orthographie als Kinder. Lehrer sind zutiefst verunsichert.

Heutigen Schülern begegnet der ganz überwiegende Teil der deutschen Literatur und literarischen Überlieferung in der bisherigen Rechtschreibung. Da auch die Mehrheit der deutschsprachigen Schriftsteller - von Grass bis Enzensberger - es ablehnt, daß ihre Werke in neuer Schreibung erscheinen, tut sich eine verhängnisvolle, immer breitere Kluft zwischen gelerntem und gelesenem Deutsch auf. Bereits die erste Version der Reform war mit gravierenden Mängeln behaftet. Eine Vielzahl von Ergänzungen durch die Zwischenstaatliche Kommission und die Wörterbuchredaktionen hat die orthographischen Konventionen in einem Maße erschüttert, daß auf absehbare Zeit die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung verloren scheint. Zahlreiche Umfragen belegen, daß die Reform von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird. Der Grund hierfür liegt nicht in einer angeblichen Reformscheu, sondern in der von vielen Bürgern erkannten oder empfundenen Unausgegorenheit der Neuregelung.

Dr. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, und Stefan Aust, Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", betonen: "Wir befürworten sehr dringend notwendige und sinnvolle Reformen in unserer Gesellschaft. Doch die Rechtschreibreform ist keine Reform, sondern ein Rückschritt. Die deutsche Sprache braucht keine kultusbürokratische Überregulierung. Spätestens die neuerliche Reform einer ohnehin unausgegorenen Reform führt ins völlige Chaos. Wir wollen dazu beitragen, diese Fehlentwicklung zu korrigieren. Die geschichtliche Erfahrung über Jahrhunderte zeigt, daß Sprache sich evolutionär weiterentwickelt. Die Rechtschreibung sollte diese Änderungen nachvollziehen und nicht vorschreiben." Aust und Döpfner stellen fest: "Sechs Jahre nach Einführung der neuen Rechtschreibung müssen wir alle ein erschreckendes Fazit ziehen. In der täglichen Erprobung ist die Reform gescheitert. Die Situation verschlimmert sich, die Konfusion wird größer. Uns kann es als Verlagen nicht gleichgültig sein, wenn Schreib- und Lesefähigkeit und damit die Sprachfähigkeit in diesem Land abnehmen. Aus Verantwortung für die nachfolgenden Generationen empfehlen wir auch anderen die Beendigung der staatlich verordneten Legasthenie und die Rückkehr zur klassischen deutschen Rechtschreibung." Das schließt Neuerungen nicht aus. Auf der Basis der alten Rechtschreibung kann darüber nachgedacht werden, welche Vorschläge übernommen werden können. Die Axel Springer AG, der Spiegel-Verlag und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" werden sich sinnvollen Anpassungen nicht verschließen.

Die technische Umsetzung in den Print- und Online-Publikationen der Verlage soll schnellstmöglich erfolgen.

Pressemitteilung der Kultusministerkonferenz zur Neuregelung der Rechtschreibung vom 6. August 2004 (Wortlaut)

Seit 1998 lernen zirka 12,5 Millionen Schülerinnen und Schüler nach dem reformierten Regelwerk der deutschen Rechtschreibung. Das geschah und geschieht weitestgehend ohne Probleme, wie die Rückmeldungen aus den Schulen zeigen. Ebenso lesen sie in ihrer Freizeit Kinder- und Jugendbücher sowie Jugendzeitschriften, die ebenfalls seit Jahren die neuen Regeln berücksichtigen.

Vor diesem Hintergrund führt die heute bekannt gegebene Entscheidung der Axel Springer AG und des Spiegel-Verlages, in ihren Publikationen wieder die alte Rechtschreibung anzuwenden, in hohem Maße zur Verunsicherung gerade bei Kinder und Jugendlichen.

Die Kultusministerkonferenz hat über Jahre dafür Sorge getragen, dass die unterschiedlichen Interessen in die Diskussion um die Rechtschreibreform einbezogen wurden und die internationale Abstimmung im deutschsprachigen Raum erhalten bleibt. So gehören die Bundesverbände der Zeitschriften- und Zeitungsverleger dem Beirat für deutsche Rechtschreibung an und haben ebenso wie die anderen Mitglieder, wie beispielsweise das PENZentrum Deutschland, der Verband der Schriftsteller, die Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen oder der Börsenverein des deutschen Buchhandels in den vergangenen Jahren den Prozess der Rechtschreibreform zustimmend begleitet. Erst vor kurzem hat sich die größte Journalistengewerkschaft, der Deutsche Journalistenverband, für den Erhalt der Rechtschreibreform eingesetzt, da die neue deutsche Rechtschreibung "in den Redaktionen sich weitgehend durchgesetzt hat".

Mit dem Anfang Juni von der Kultusministerkonferenz (KMK) getroffenen Beschluss, den Übergangszeitraum für die Rechtschreibreform, wie mit Österreich und der Schweiz vereinbart, zum 1. August 2005 enden zu lassen, wurde gleichzeitig die Einrichtung eines Rates für deutsche Rechtschreibung vereinbart. Dies hat die KMK in dem Bewusstsein beschlossen, dass sich Sprache weiterentwickelt und wandelt. Dieser Rat, in dem auch Kritiker des derzeitigen Regelwerks mitarbeiten sollen, hat die Aufgabe die Entwicklung des Schriftgebrauches über einen längeren Zeitraum zu beobachten und gegebenenfalls das Regelwerk anzupassen. Vor dem Hintergrund und auch der Ankündigung anderer Verlage, bei der neuen Rechtschreibung zu bleiben, ist die Frage schon erlaubt, wer hier die Menschen verunsichert.

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