Ausgabe Dezember 2005

Große Koalition aus englischer Sicht

Wenn es nicht gerade um Adolf Hitler, Welt- oder „Blitzkrieg“ geht, kommt die Bundesrepublik bei den Briten in der Regel kaum vor. Ihnen ist Deutschland immer noch irgendwie unheimlich, unberechenbar und eher gefährlich. Nun hat Deutschland im vergangenen Jahrhundert ja auch allerlei Veranlassung gegeben, ihm zu misstrauen – und so wenig Großbritannien vollends in die Hände der Brüsseler Bürokratie oder gar in die Abhängigkeit vom Euro geraten möchte, so sehr will man Abstand zu den Deutschen halten. Umso mehr jetzt, da die britische Wirtschaft, die jahrelang brummte, höhere Löhne und mehr Wohlstand brachte, neuerdings ins Schleudern gerät. Die jüngeren deutschen Aktivitäten in Großbritannien, vor allem die von BMW, sind unvergessen – wurden sie doch als ausgesprochen aggressiv empfunden.

Die Briten können auch das deutsche Verhältniswahlrecht nicht verstehen, das es dem Wählerwillen so gerecht wie nur irgend möglich machen möchte – und genau so fremd ist ihnen die traditionelle Pflicht einer Partei ohne absolute Mehrheit, sich einen Koalitionspartner zu suchen, um regieren zu können. In Großbritannien gilt in jedem Wahlkreis das absolute Mehrheitswahlrecht. Wer gewinnt, kommt ins Parlament – und die Stimmen für den Verlierer werden nicht etwa über Landeslisten gutgeschrieben und gar in so genannten Überhangmandaten verrechnet – sie sind einfach verloren.

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In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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