War da was? Dies ist man ein gutes halbes Jahr nach Ablehnung des EU-Verfassungsvertrags durch Frankreich und die Niederlande geneigt zu fragen. Zumindest bei der EU-Kommission war die Krisenstimmung jedenfalls schnell verflogen; business as usual heißt die Devise. Mehr noch: Kommissionspräsident José Manuel Barroso nutzte die unter dem englischen Ratsvorsitz sich noch verstärkende antieuropäische Stimmung für eine höchst zweifelhafte Argumentation. Während die tatsächlichen Motive und Hintergründe der Abstimmungsergebnisse in Frankreich und den Niederlanden unterschiedlicher nicht sein könnten, will Barroso sie vor allem als Reaktion auf die ausufernde Regelungsmacht der EU verstanden wissen. Angesichts der Massenarbeitslosigkeit in Europa müsse sich die Union deshalb auf wesentliche Kernbereiche besinnen und vor allem Bürokratie abbauen.
Bereits einige Monate vor den Referenden hatte Barroso vom Europaparlament eine Entschließung zur Lissabon- Strategie für Beschäftigung verabschieden lassen, deren schwammige Formulierungen der Deregulierung Tür und Tor öffneten. Der ideologische Rahmen war bereits lange vorher von Interessenverbänden vorgezeichnet worden: Seit Ende der 90er Jahre haben sich in Brüssel immer mehr Industrielobbys, vermehrt auch US-amerikanischer Herkunft, niedergelassen, die die Debatten der EU-Institutionen im Bereich der Lissabon-Strategie gezielt beeinflus- sen.