Ausgabe September 2006

Ausnahmezustand in Permanenz: 9/11 als konstitutiver Akt

Der Schock des 11. September 2001 hat in den Ländern des Westens zu einer beispiellosen Beschleunigung der Transformation des Straf- und Strafverfahrensrechts geführt. Unmittelbar nach dem Gewaltakt, binnen Monaten und manchmal binnen Tagen, haben die Regierungen Regelungen in Kraft gesetzt, die allgemeine und individuelle Freiheitsrechte beschneiden. Dabei handelt es sich um einen regelrechten Systembruch, denn was auf dem Spiel steht, ist nicht weniger als die schiere Existenz der Rechtsstaatlichkeit, wie wir sie kennen.

Die neuen Gesetze kommen der Tendenz sehr entgegen, Verfahrensweisen über das Recht zu stellen, über die Gleichheit vor dem Gesetz und seiner Anwendung. In dieser Hinsicht beunruhigt besonders der Vorrang, der Notstandsverfahren eingeräumt wird. Der Bruch geht so tief, dass die bisher geltende Norm geradezu auf den Kopf gestellt und die Ausnahme zur Regel wird. Meine Schlussfolgerung lautet, dass gegenwärtig Notstandsverfahren dabei sind, Verfassungen als das herrschende Paradigma der Politik abzulösen.1

Traditionsbruch im Strafrecht

Antiterrorgesetze zielen stets darauf ab, für alle Stadien des Rechtsweges Ausnahmeverfahren zu legitimieren, von der Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen bis hin zur abschließenden Urteilsfindung.

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In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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