Ausgabe September 2006

Ausnahmezustand in Permanenz: 9/11 als konstitutiver Akt

Der Schock des 11. September 2001 hat in den Ländern des Westens zu einer beispiellosen Beschleunigung der Transformation des Straf- und Strafverfahrensrechts geführt. Unmittelbar nach dem Gewaltakt, binnen Monaten und manchmal binnen Tagen, haben die Regierungen Regelungen in Kraft gesetzt, die allgemeine und individuelle Freiheitsrechte beschneiden. Dabei handelt es sich um einen regelrechten Systembruch, denn was auf dem Spiel steht, ist nicht weniger als die schiere Existenz der Rechtsstaatlichkeit, wie wir sie kennen.

Die neuen Gesetze kommen der Tendenz sehr entgegen, Verfahrensweisen über das Recht zu stellen, über die Gleichheit vor dem Gesetz und seiner Anwendung. In dieser Hinsicht beunruhigt besonders der Vorrang, der Notstandsverfahren eingeräumt wird. Der Bruch geht so tief, dass die bisher geltende Norm geradezu auf den Kopf gestellt und die Ausnahme zur Regel wird. Meine Schlussfolgerung lautet, dass gegenwärtig Notstandsverfahren dabei sind, Verfassungen als das herrschende Paradigma der Politik abzulösen.1

Traditionsbruch im Strafrecht

Antiterrorgesetze zielen stets darauf ab, für alle Stadien des Rechtsweges Ausnahmeverfahren zu legitimieren, von der Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen bis hin zur abschließenden Urteilsfindung.

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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