Wer Mythen erzählt, will betrügen. So jedenfalls lautet die landläufige Meinung, wonach im Falle des Mythos das Berichtete nicht der Wahrheit entspricht – zumeist jedenfalls. Seit den alten Griechen stehen Wahrheit und Mythos in einem Spannungsverhältnis zueinander. Im 5. und 4. vorchristlichen Jahrhundert traten dort Philosophen auf, die den Logos gegen den Mythos ausspielten und den Anspruch erhoben, die Erzählungen der Dichter und Sänger von der Entstehung der Welt, dem Wirken der Götter, den Taten der Helden und den damit verbundenen Erklärungen, wie alles gekommen sei, richtigzustellen: Physische Kräfte und metaphysische Ideen sollten an die Stelle der menschengestaltigen Götter treten, die sich auch noch, was die Philosophen den Mythenerzählern besonders vorhielten, überaus menschlich verhielten.1 Die Dichter lügen, heißt es bei Platon. Was zugleich bedeutete, dass die Philosophen, zumindest die platonischen Philosophen, für sich die Wahrheit beanspruchten.
Mythos oder Logos ?
Diese Gegenüberstellung von Mythos und Logos wirkt bis heute fort: Entweder wird der Mythos gänzlich als eine Gestalt des Unwahren und Irrationalen abgetan, oder er wird als eine Form früheren, längst überwundenen Denkens begriffen, dessen sich weiterhin zu bedienen einer intellektuellen Regression gleichkommt.