Ausgabe September 2010

Für eine linke Tradition, wider den Konformismus

Zu Ehren von Walter Benjamin

Nur dem Geschichtsschreiber wohnt die Gabe bei, dem Vergangenen den Funken der Hoffnung anzufachen, der davon durchdrungen ist: auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein.“ So heißt es bei Walter Benjamin, dessen tragischer Tod auf der Flucht vor den faschistischen Schergen sich am 26. September zum 70. Mal jährt.[1]

Tatsächlich schien es in den letzten Jahren, als ob die Tradition der Linken verlorengehen, verschwinden, ja vernichtet werden könnte. Denn nach dem Ende des sogenannten realen Sozialismus wurde immer deutlicher, dass nun auch das Ende der Sozialdemokratie drohte. Der Vormarsch des Neoliberalismus schien unaufhaltsam.

Das Bedrückende daran war und ist, dass die Argumente der Linken keineswegs vernünftig widerlegt waren bzw. wurden, wie es sich für die Epoche seit der Aufklärung eigentlich gehörte, sondern sie wurden nach 1989 zunehmend einfach vergessen, ignoriert oder verdrängt. Und wir haben ja reichlich geschichtliche Beispiele dafür, dass nicht das bessere Argument, sondern die bloße Gewalt den Sieg davonträgt. Texte müssen nicht unbedingt verbrannt, sie brauchen bloß nicht mehr gedruckt, nicht mehr gelesen, verkürzt interpretiert oder lächerlich gemacht zu werden.

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In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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