Mit der Doppelwahl in der Ukraine – der Wahl des Kiewer Parlaments am 25. Oktober und der in den selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk am 2. November – haben sich die Gräben zwischen den Konfliktparteien weiter vertieft. Den Erwartungen weitgehend entsprechend sind die bestehenden Mächte beiderseits der Front im Amt bestätigt worden. Ein Jahr nach dem Beginn der Maidan-Proteste und ein halbes Jahr nach den Unabhängigkeitserklärungen in Donezk und Luhansk entwickelt sich die Lage in Kiew und im Osten im dialektischen Gleichschritt: Im Zuge der Proteste haben sich auf beiden Seiten die politischen Identitäten in rasantem Tempo herausgebildet und -kristallisiert. Die anfängliche Pluralität und Unbestimmtheit auf dem Maidan wurden von nationalistischen Feindbildern und Handlungsmustern abgelöst, die das Bedürfnis nach politischer Identitätsbildung bedienten. In den sogenannten Volksrepubliken vollzog sich eine ähnliche Dynamik: Soziale und antioligarchische Forderungen wurden hier selektiv aufgenommen und einem grundsätzlich nationalistischen Projekt unterworfen. In diesem Kontext besteht die Aufgabe der ukrainischen Linken darin, die soziale Frage aus der nationalen herauszulösen und der nationalistischen Hegemonie auf beiden Seiten entgegenzutreten.
In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.