Progressive Kräfte haben die wirtschaftliche Integration Europas stets unterstützt. Das geschah aber nicht aus Liebe zum Binnenmarkt, sondern in der Hoffnung, die ökonomische Integration werde die politische und die soziale Integration nach sich ziehen. Diese Hoffnung zieht sich bis heute durch die Europa-Rhetorik des Mitte-links-Spektrums. Es wird Zeit, diese Rhetorik zu überdenken und an die Realitäten anzupassen. Denn das Ungleichgewicht zwischen der wirtschaftlichen und der sozialen Integration hat sich wider Erwarten nicht eingeebnet. Es ist vielmehr größer geworden.
Heute sind die Zollschranken abgebaut, ist der Binnenmarkt verwirklicht und wurde ein starkes europäisches Wettbewerbsrecht geschaffen. Das wirtschaftlich integrierte Europa erfreut sich an Grundfreiheiten, die auf alle nur denkbaren Politikfelder ausstrahlen. Aber die grundlegendsten Forderungen nach einem sozialen Europa sind heute noch genau dieselben wie in den 1980er Jahren, als man im Europa der zwölf Mitglieder über die Verwirklichung des Binnenmarktprogramms sprach.
Wie erklärt sich diese Asymmetrie? Alle ambitionierten Projekte der sogenannten positiven Integration – die also auf europäischer Ebene marktkorrigierend wirken – sind auf politische Einvernehmlichkeit angewiesen. Wenn dazu Kompetenzen erst auf die europäische Ebene verlagert werden müssten, erfordern sie sogar Einstimmigkeit.