Ob Lux-Leaks, Swiss-Leaks, die Panama Papers oder nun die Paradise Papers: All diese Enthüllungen zeigen, wie nicht nur Kriminelle, sondern auch Politiker, Millionäre und vor allem international tätige Konzerne ihre Steuerzahlungen vermindern oder gleich ganz vermeiden. Mehr als 120 Staats- und Regierungschefs und Politiker aus 47 Ländern tauchen in den Paradise Papers auf, aber auch renommierte, global agierende Unternehmen wie Sixt oder Siemens, Allianz oder Bayer. Das verdeutlicht, wie verbreitet und selbstverständlich die Nutzung von Steueroasen noch immer ist.
Und es sind nicht nur ferne Inseln in der Karibik, die Steuerflüchtlinge mit niedrigen Sätzen, komplizierten Firmenkonstruktionen und einer laxen Finanzverwaltung anlocken. Vom nun aufgedeckten systematischen Steuerdumping profitieren auch unsere direkten Nachbarn inmitten der Europäischen Union: allen voran die Niederlande, Großbritannien – und Malta.
In dem kleinen Mittelmeerstaat hat sich die Lage schon seit Jahren zugespitzt. Doch erst kurz vor Veröffentlichung der Paradise Papers rückte ein brutaler Mord das Inselland ins Scheinwerferlicht der Medien: Am 16. Oktober ermordeten Unbekannte die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia mit einer Autobombe. Das Opfer war nicht zufällig gewählt: Galizia war es, die Licht in ein System von Geldwäsche und Korruption auf Malta gebracht hatte.
Sie legte den Finger in die offenen Wunden der Insel: Briefkastenfirmen von Regierungsmitgliedern, die durch die Panama Papers bekannt geworden waren, der Verkauf von Pässen an sogenannte Investoren, die damit Zugang zum Schengen-Gebiet und zu europäischen Bürgerrechten erwarben, Steuerumgehung für multinationale Unternehmen im großen Stil sowie eine große Zahl von Briefkastenfirmen zur Verschleierung von Besitzverhältnissen und zur Steuerreduktion und schließlich das Florieren des Online-Glücksspiels, basierend auf schwacher Aufsicht und extrem niedriger Besteuerung.
Solche oder ähnliche Angebote gibt es in vielen Steueroasen. Malta aber ist besonders attraktiv, weil es all diese Geschäfte innerhalb der EU und in einem angelsächsischen Rechtsrahmen anbieten kann. Denn für alle Finanzgeschäfte ist Rechtsstaatlichkeit von entscheidender Bedeutung. Die meisten Investoren fordern geradezu eine effiziente Regierung und ein hohes Maß an Rechtssicherheit.
Eine Insel der Straflosigkeit
Doch die Rechtsstaatlichkeit Maltas wird zunehmend untergraben. Denn der Mord an Daphne Galizia bildet nur die Spitze des Eisbergs. Die Regierung unter dem sozialdemokratischen Premierminister Joseph Muscat hat zwar entschiedene Ermittlungen zur Ergreifung der Täter und Hintermänner des Mordes gefordert. Das kann aber nicht davon ablenken, dass in dem Inselstaat auch sonst einiges im Argen liegt.
Zu diesem Schluss kam jüngst auch das Europaparlament, als es am 15. November die Resolution „Rechtsstaatlichkeit in Malta“ verabschiedete. Ihr dramatischer Befund lautet: In Malta ist die Rechtsstaatlichkeit ernstlich verfallen. Fälle schwerer Geldwäsche und Korruption blieben straffrei.
So haben die maltesischen Strafverfolgungsbehörden versäumt, aus den schwerwiegenden Untersuchungsergebnissen ihrer eigenen Anti-Geldwäsche-Behörde (FIAU) Konsequenzen zu ziehen. Die FIAU hatte festgestellt, dass sozialdemokratische Regierungsmitglieder Einnahmen aus Korruption mittels Briefkastenfirmen waschen wollten.
Doch anstatt strafrechtliche Ermittlungen einzuleiten, ließ die Polizei die Untersuchungsergebnisse der Geldwäsche-Experten einfach in der Schublade verschwinden. Wichtige Mitarbeiter der FIAU wurden gekündigt oder traten zurück. Eine zentrale Whistleblowerin der maltesischen Panama-Papers-Enthüllungen sah sich sogar gezwungen, das Land zu verlassen. Die an den Geschäften beteiligte Pilatus-Bank hingegen konnte weitermachen wie bisher: Die Bankenaufsicht ließ sie unbehelligt, als die schmutzigen Geschäfte bekannt wurden. Auch für den Finanzdienstleister Nexia BT hatte die Vermittlung von Briefkastenfirmen für politisch exponierte Personen keine Konsequenzen, obwohl aus den Panama Papers eindeutig hervorging, dass die Firma die geldwäscherechtlich gebotene Sorgfalt vermissen ließ.
Erst als Daphne Galizia die geheimen Untersuchungsergebnisse der FIAU kurz vor der Parlamentswahl Anfang Juni 2017 öffentlich machte, nahmen eigens eingesetzte Untersuchungsrichter die Ermittlungen auf. Allerdings zeigen sich auch bei den Ermittlern schwere Interessenkonflikte etwa durch Verwandtschaftsbeziehungen zu Beschuldigten.
Dennoch wurde die sozialdemokratische Regierung bei der Parlamentswahl am 3. Juni 2017 im Amt bestätigt. Daran konnten auch die von der Opposition erhobenen schweren Korruptionsvorwürfe gegen Regierungsmitglieder in Bezug auf Briefkastenfirmen nichts ändern. Denn die Wirtschaft in Malta brummt, nicht zuletzt wegen des boomenden Geschäfts mit der Steuervermeidung und den steuerbegünstigten Online-Glücksspielen.
Seither ist von den Ermittlungen gegen Regierungsmitglieder praktisch nichts mehr zu hören. Zwar erschienen nach Veröffentlichung der Panama Papers eine Reihe kritischer Medienberichte über die Situation auf der Insel. Und das Europaparlament sandte im Rahmen des Untersuchungsausschusses zu den Panama Papers eine Delegation nach Malta, um die Vorwürfe näher zu untersuchen. Vor ihr sagte auch Daphne Galizia aus. Doch nach kurzer Zeit scherte sich niemand mehr um das kleine, wirtschaftlich unbedeutende Inselland. Das änderte sich erst wieder mit dem Mord an der Journalistin.
Das Geschäft mit dem Glücksspiel
Dabei geht es nicht allein um die Vorwürfe der schweren Korruption und Geldwäsche durch Regierungsmitglieder. Vielmehr kam es im Zusammenhang mit der Wahl auch zu einer mysteriösen Ausweitung öffentlicher Beschäftigung in umkämpften Stimmbezirken, die bis heute nicht umfassend untersucht ist. Der Vorwurf des Stimmenkaufs steht im Raum.
Zudem hat sich Malta innerhalb weniger Jahre zum Zentrum des Online-Glückspiels in Europa entwickelt. Über 500 Lizenzen wurden vergeben und die Lizenznehmer lange kaum beaufsichtigt. Das geht aus den Unterlagen hervor, die ein ehemaliger Aufseher in Malta internationalen Medien zuspielte. Online-Glücksspiele anzubieten ist vielfach illegal, denn dafür wird auch im europäischen Binnenmarkt jeweils eine nationale Lizenz benötigt. In Deutschland wird diese Lizenz für die meisten Glücksspielarten nicht vergeben, so dass praktisch alle Nutzer von Online-Glücksspielen hierzulande gegen geltendes Recht verstoßen.
So weichen die Betreiber nach Malta aus und verdienen sich dort eine goldene Nase. In dem Inselstaat zahlen sie weder eine gewinnabhängige Unternehmensteuer noch Lotteriesteuern, sondern lediglich eine niedrige Pauschalsteuer. Angesichts der bestens laufenden Geschäfte mit dem Online-Glücksspiel verwundert es nicht, dass dieses Business in Malta parteiübergreifend unumstritten ist. Auch die Banken profitieren: Sie bieten die Infrastruktur für die Abwicklung von Geschäften, die hierzulande illegal sind. Allein in Deutschland streichen sie dabei nach Schätzungen des Glücksspielforschers Ingo Fiedler rund eine Mrd. Euro jährlich an Zahlungsverkehrsgebühren ein. Dennoch hat es die deutsche Bankenaufsicht BaFin jüngst abgelehnt, Konsequenzen zu ziehen, obwohl diese illegalen Geschäfte für die Banken mit erheblichen Risiken verbunden sind.
Die Tatenlosigkeit der BaFin wird jedoch von den Zuständen in der maltesischen Finanzaufsicht deutlich übertroffen. Der Präsident von Maltas Allfinanzaufseher MFSA, Joseph Bannister, ist zugleich Vizepräsident der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Finance Malta – beide Ämter stehen eigentlich in einem klaren Interessenkonflikt. Die Doppelfunktion Bannisters signalisiert: Bei uns ist die Finanzaufsicht nicht in erster Linie für strenge Kontrollen, sondern dafür zuständig, neue Investoren im Finanzsektor zu gewinnen. Daran änderten auch zahlreiche Rücktrittsforderungen an Bannister nichts, als durch die Panama Papers bekannt wurde, dass er überdies noch Direktor von Briefkastenfirmen auf den Kaiman-Inseln war.
Über all diese Missstände berichtete Daphne Galizia. Ihr Tod reißt eine klaffende Lücke in die maltesische Presselandschaft und ist zugleich eine Warnung an all jene, die sich zu sehr für die Zustände in dem Inselstaat interessieren. Zwar verfügt dieser bei lediglich rund 450 000 Einwohnern über ein erstaunlich großes Netz an unterschiedlichen Zeitungen, Fernsehsendern, Nachrichten-Webseiten und Radiostationen, so dass von einem Meinungsmonopol wahrlich nicht die Rede sein kann. Allerdings stehen die meisten reichweitenstarken Medien einer der beiden großen Parteien nahe: der christdemokratischen Nationalistischen Partei und der sozialdemokratischen Labour Party. Es ist daher nicht leicht, in Malta einflussreiche Journalisten oder auch nur Vertreter der Zivilgesellschaft zu finden, die sich keinem der beiden Lager zuordnen.
Die blockierte EU
Angesichts dessen ist es umso wichtiger, dass die EU Druck auf die maltesische Regierung ausübt. Zumindest im Europaparlament hat der Mord an Galizia zu Handlungswillen geführt. Die Fraktionen wollen nicht nur eine Delegation nach Malta schicken, um dem Mangel an Rechtstaatlichkeit und der Geldwäsche nachzugehen, das Europaparlament beschloss auch, einen „europäischen Galizia-Preis für investigativen Journalismus“ nach dem Vorbild des Sacharow-Preises zu begründen. Zudem verabschiedete es eine scharfe Resolution, die eine Untersuchung der Vorwürfe durch Maltas Regierung, die EU-Kommission und das Europaparlament fordert.
Doch das reicht bei weitem nicht aus, um die kriminellen Machenschaften in Malta einzudämmen: Dazu muss erstens ein internationaler Ermittler benannt werden, der in die laufenden Ermittlungen zur Geldwäsche in Malta voll einbezogen wird. Solche internationalen Ermittler haben etwa auf Island bei der Aufklärung der Bankenkrise oder in Afghanistan bei Korruptionsvorwürfen eine hilfreiche Rolle gespielt. Zweitens sollte Malta endlich der europäischen Staatsanwaltschaft beitreten, die bei Verletzung finanzieller Interessen der Gemeinschaft selbst europaweit ermitteln kann. Malta gehört nicht zu den 20 EU-Staaten, die diese neue Behörde ins Leben gerufen haben. Drittens muss die Europäische Kommission eine ernsthafte Untersuchung der Rechtsstaatlichkeit in Malta und ein systematisches Vertragsverletzungsverfahren zur Durchsetzung der Anti-Geldwäscherei-Gesetze einleiten. Und schließlich ist angesichts der Schwere der Vorwürfe die Forderung der Familie Galizias unterstützenswert, dass die Regierung Muscat zurücktreten sollte.
Doch zu all dem wird es womöglich nicht kommen – zu groß sind die Widerstände auch innerhalb der EU. So konnten sich die Sozialdemokraten im Europaparlament noch nicht einmal dazu durchringen, der Malta-Resolution zuzustimmen. Wieder einmal stellte damit eine Fraktion ihre Unterstützung der eigenen Parteifreunde über die Verteidigung europäischer Werte und Grundprinzipien – ganz so, wie es zuvor die Christdemokraten gegenüber Viktor Orbáns Ungarn und Sozialdemokraten und Liberale angesichts des Rechtsstaatsabbaus in Rumänien getan hatten. Dieses Wegschauen aber schadet dem Ansehen der europäischen Institutionen und enttäuscht die Hoffnungen all jener Menschen, die sich von der EU ein entschiedeneres Vorgehen gegen Korruption in ihren Ländern wünschen.
Steuerdumping ohne Grenzen
Das Gleiche gilt auch mit Blick auf die systematische Steuervermeidung. Erst kürzlich stellte der Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments für Geldwäsche, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung in seinem Abschlussbericht fest: Mehrere EU-Mitgliedsländer haben Steuerdumping für Unternehmen und Vermögende zum Geschäftsmodell gemacht und damit anderen EU-Ländern massiv geschadet.
So richteten Banken und Kanzleien in Luxemburg, Großbritannien, Zypern und Malta massenweise Briefkastenfirmen über Panama ein, auch zugunsten von Bürgern anderer EU-Länder und zu Lasten der dortigen nationalen Haushalte. Doch obwohl diese Länder gegenüber der Steuergerechtigkeit und dem fairen europäischen Wettbewerb schwere Schuld auf sich geladen haben, ist die EU-Kommission ihrer Rolle als Hüterin der Verträge nicht nachgekommen. Sie hat beispielsweise nicht die gebotenen Vertragsverletzungsverfahren wegen fehlender Umsetzung der Geldwäsche-Richtlinie eingeleitet.
Auch die Bundesregierung tritt auf die Bremse. So wird seit langem diskutiert, dass große Unternehmen offenlegen sollen, in welchem Land sie welche Geschäfte machen und wie viel Steuern bezahlen. Doch eine entsprechende Regelung auf EU-Ebene blockiert Berlin seit Jahren.
Das aber führt zu einem erheblichen Vertrauensverlust in die politischen Institutionen. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass es zwei Formen des Rechtsstaats gibt: einen für die kleinen Leute und einen anderen für jene, die vermögend und mächtig sind. Sie bezweifeln, dass es dem demokratischen Staat gelingt, auch dort das Gemeinwohl durchzusetzen, wo die Interessen der Mächtigen berührt sind. Das ist fatal und fördert nicht nur den Europa-Verdruss, sondern auch autoritäre Tendenzen – und gefährdet damit letztlich den Zusammenhalt in der EU. Schon allein deshalb muss Brüssel endlich eingreifen und die Steueroasen stilllegen. Bislang aber fehlt dafür der klare politische Wille.