Ausgabe Februar 2017

Die Tragödie der Sinti

Auf dem Weg ins Gebirge kamen wir häufig an jener Waldecke zwischen zwei Ortschaften vorbei, wo meine Mutter den Vater bat, langsamer zu fahren. Für einen kurzen Augenblick bot sich ein Einblick in das Lager der Zigeuner mit ihren Wohnwagen und, wie immer bemerkt wurde, mit dem Daimler davor. Das war in den 1960er Jahren. Das damals mitschwingende Gefühl eines andersartigen, geheimnisvollen, aber irgendwie faszinierenden Lebens blieb in Erinnerung.

Doch ein Bewusstsein darüber, was hinter dem Wort „Zigeuner“ steckt, ein Wissen um Geschichte und Schicksal, wie es Heiko Haumann heute in seiner „Lebenschronik einer deutschen Zigeunerin“ auf dem Boden eigener und inzwischen tradierter Forschungen ausbreiten kann, gab es damals nicht – oder besser: nicht mehr. Zu dicht war der Vorhang aus Lüge und Vorurteil, aus verdrängter Schuld und Ignoranz gewebt. Wer wusste schon die Begriffe „Sinti“ und „Roma“ zu benutzen? Wer konnte die Jenischen davon unterscheiden? Wer wusste von den Wittgensteiner Zigeunern mit ihrer vergleichsweise tiefen Integration in die Gesellschaft? Haumann setzt das Wort „Zigeuner“ in Anführungszeichen, wo es die rassistische Diskriminierung bezeichnet, benutzt es direkt, wo es die Selbstbezeichnung bewusster Sinti nachvollzieht.

Sie haben etwa 14% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 86% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1.00€)
Digitalausgabe kaufen (10.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Micha Brumlik: Ein furchtloser Streiter für die Aufklärung

von Meron Mendel

Als die Hamas am 7. Oktober 2023 Israel überfiel und anschließend der Krieg der Netanjahu-Regierung in Gaza begann, fragten mich viele nach der Position eines Mannes – nach der Micha Brumliks. Doch zu diesem Zeitpunkt war Micha bereits schwer krank. Am 10. November ist er in Berlin gestorben.

Warnungen aus Weimar

von Daniel Ziblatt

Autokraten sind vielerorts auf dem Vormarsch. Ihre Machtübernahme ist aber keineswegs zwangsläufig. Gerade der Blick auf die Weimarer Republik zeigt: Oft ist es das taktische Kalkül der alten Eliten, das die Antidemokraten an die Macht bringt.