Theresa May hat eines ihrer heiligen Versprechen gebrochen. Lange betonte die britische Premierministerin, es werde keine vorgezogenen Neuwahlen geben. Doch am 18. April vollzog sie eine Kehrtwende und kündigte überraschend an, am 8. Juni die Britinnen und Briten ein neues Parlament wählen zu lassen. Das Unterhaus folgte ihrem Vorschlag: Die Brexit-Gegner witterten ihre Chance, und die Tories frohlockten in der Erwartung eines großen Wahlsiegs.
Mays Kalkül ist nicht schwer zu erfassen: Sie will ihre schwache parlamentarische Mehrheit von derzeit 16 Stimmen deutlich vergrößern. Die vergangenen Monate haben ihr gezeigt, dass sich jederzeit eine parteiübergreifende Front von Abgeordneten gegen ihren ultraharten Brexit-Kurs bilden könnte. Ihre Regierung gewann die jüngsten Parlamentsabstimmungen nur, weil Labour unter der miserablen Führung von Jeremy Corbyn schmählich versagt hat. Jetzt sieht May die Chance, die Labour-Opposition für viele Jahre auszuschalten und die einst gefürchtete rechte UKIP zu erledigen, die seit dem Brexit-Referendum kein Thema mehr hat. Außerdem hofft May, dass eine hinreichend große Mehrheit sie innerparteilich stärkt. Dann könnte sie sowohl die Brexit-Skeptiker in ihren eigenen Reihen disziplinieren, als auch gegen den Krakeel einiger rechtsradikaler Tories ernsthaft mit Brüssel verhandeln.