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Die verheerenden Wirbelstürme „Harvey“, „Irma“ und „Katia“, die im August und September die Karibik, Texas und Florida verwüsteten, sind deutliche Boten des Klimawandels: Nicht zuletzt aufgrund der aufgeheizten Weltmeere fielen sie so stark und langanhaltend aus. Grund genug, so sollte man meinen, dass die Weltgemeinschaft auf der kommenden Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen ernsthaft an der Umsetzung der bislang vereinbarten Klimaziele arbeitet. Vom 6. bis 17. November treffen sich dazu in Bonn Diplomaten, Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft aus aller Welt zur „COP23“. 2015 ging aus den COP21-Verhandlungen in Frankreich das Pariser Klimaabkommen hervor.[1] Um den Klimawandel und weltweite Folgeprobleme aufzuhalten, einigte man sich darauf, die Erderwärmung auf weniger als 2 bzw. 1,5 Grad Celsius zu begrenzen sowie in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts Treibhausgasemissionen auf null zu reduzieren.
Kohlekraft auf dem Vormarsch
Doch ob diese vielversprechenden Ziele rechtzeitig erreicht werden, ist alles andere als gewiss – und das nicht erst seit der Aufkündigung des Abkommens durch US-Präsident Donald Trump. Vielmehr hat eine klimafreundliche Energiepolitik noch immer keine Chance gegen die mächtigen Lobbys der Kohlekraft und der Atomenergie.
Die Klimabelastung durch Kohlekraftwerke nimmt weltweit nicht ab, sondern weiter zu. Seit 1992 hat sich die Leistung laufender Kohlekraftwerke mehr als verdoppelt, und auch seit dem Pariser Abkommen gehen jede Woche rund fünf neue Kohlekraftwerke ans Netz. Diese werden mit ihren Emissionen noch in 40 Jahren massiv die Atmosphäre belasten – so lange pustet ein Kohlekraftwerk durchschnittlich Kohlendioxid in die Luft.[2]
Auch die drei größten Kohleverbraucher der Erde – China, Indien und die USA – haben in diesem Jahr die Förderung des fossilen Brennstoffs weiter hochgefahren. Sollte dieser Trend anhalten, könnte das alle Bemühungen, die Klimaziele von Paris zu erreichen, völlig unterminieren. Zusammen sind die drei Staaten für fast die Hälfte des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen verantwortlich. Zwar wollen Indien und China nach wie vor am Pariser Abkommen festhalten, aber die jüngsten Zahlen mindern die Hoffnungen, dass das auch geschieht:Indien produziert derzeit 70 Prozent des Stroms in Kohlekraftwerken, die Kohleförderung ist hier bereits seit Jahren ein regelrechter Trend. Laut der indischen Regierung brauche das Land zwar keine neuen Kraftwerke mehr und wolle den steigenden Bedarf allein aus Solaranlagen decken, jedoch stieg die Kohleförderung der staatlichen Bergwerke dem zuständigen Ministerium zufolge in den ersten fünf Monaten dieses Jahres bereits um vier Prozent.[3]
Dass die Energiegewinnung durch Kohle weiterhin auf dem Vormarsch ist, bleibt nicht folgenlos: Schon 2015 ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre erstmals auf über 400 ppm (parts per million) gestiegen. Eine Konzentration von 450 ppm würde in vielen Regionen der Welt plötzliche und drastische Klimaänderungen hervorrufen, mit noch unabsehbaren Konsequenzen für die Entwicklung der Menschheit. Zu den bereits absehbaren Folgen gehören – neben vielen weiteren – das Schmelzen des arktischen, grönländischen und westantarktischen Eises, eine verstärkte Methanfreisetzung durch das Tauen von Permafrostgebieten, das Abtauen des tibetischen Hochlands, Störungen des indischen und westafrikanischen Monsuns sowie das Austrocknen des amazonischen Regenwalds. Die Menschen in Indien, Nepal und Bangladesch leiden in diesem Jahr unter einer extremen Regenzeit, der bislang bereits mehr als 1500 Menschen zum Opfer gefallen sind und die zu verheerenden Hochwassern geführt hat. Millionen von Menschen sind obdachlos geworden und ein Großteil der Ernte ist vernichtet.
Deutschland bleibt der Kohle treu
Trotz allem hinkt die Politik den wohlfeilen Worten der Klimakonferenz weltweit hinterher. Auch in der Bundesrepublik ist eine Verringerung der Treibhausgasemissionen entsprechend dem Pariser Klimaabkommen nicht zu erkennen.[4] Der seit 1990 erreichte Rückgang von 27,6 Prozent ist weit entfernt vom „Klassenziel“ von Paris, nämlich einer Minderung um 40 Prozent bis zum Jahr 2020.[5] Vor allem ist dieser nicht allein klimapolitischen Maßnahmen zu verdanken, sondern erklärt sich zum Großteil aus dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft nach der Wende.
Obwohl Braun- und Steinkohle die klimaschädlichsten Energieträger sind, machen sie hierzulande noch immer mehr als 40 Prozent der Kohlendioxidemissionen aus. Im derzeitigen Strommix der Bundesrepublik beläuft sich der Anteil dieses fossilen Energieträgers ebenfalls auf 40 Prozent. Seit dem Jahr 2000 gingen in der Bundesrepublik sogar 17 neue Kohlekraftwerke ans Netz,[6] drei weitere sind geplant: Datteln IV (Eon) befindet sich bereits im Bau, Dow Chemical plant ein Kraftwerk in Stade und RWE hält noch immer an seinen Plänen zum Bau eines Blocks (BOA) am Standort Niederaußem fest.
Allerdings bleibt das Festhalten an der Kohle nicht ohne Widerspruch: Seit einigen Jahren organisieren zivilgesellschaftliche Initiativen Proteste. Jüngst kam das Bündnis „Ende Gelände“ zum dritten Mal zusammen, um unter dem Slogan „Kohle stoppen. Klima schützen“ einen sofortigen Ausstieg aus der Kohleverbrennung einzufordern.[7] Doch trotz diverser Besetzungsaktionen und zivilen Ungehorsams in Abbaugruben bleiben deutsche Konzerne und Politiker der Kohle treu und verteidigen sie als notwendige „Brückentechnologie“.
Der Widerspruch zwischen politischen Absichtserklärungen und realem Handeln der Bundesregierung wird einmal mehr durch den Ende 2016 vorgelegten „Klimaschutzplan 2050“ deutlich. In diesem sind zwar Minderungsziele für die Bereiche Verkehr, Landwirtschaft und Energiewirtschaft aufgelistet – allerdings gänzlich unverbindlich. Das Ziel dieses Plans: weitgehende Treibhausgasneutralität bis 2050.[8] Diese Rechnung wird allerdings hinten und vorne nicht aufgehen, wenn nicht endlich grundlegend umgelenkt wird.
Renaissance der Atomkraft
Hinzu kommt ein Weiteres: Anstelle eines umfassenden Ausbaus erneuerbarer Energien setzen viele Länder neben der Kohlekraft unvermindert auf die Nutzung von Atomkraft für die Stromerzeugung – und verkaufen diese sogar als „green energy“: In Indien soll sie bei der Beseitigung der grassierenden Energiearmut helfen. Derzeit sind dort 20 Reaktoren in Betrieb, die Kapazitäten von 5,8 Gigawatt aufweisen. Premierminister Manmohan Singh möchte die Leistung durch den Bau mehrerer Mega-AKW-Parks bis zum Jahr 2050 auf 470 Gigawatt steigern – allen Risiken und ungeklärten Müllproblemen zum Trotz.
Doch nicht nur in Indien gilt Atomkraft als „grüne“ Energie: Auch China will durch den Bau von 80 neuen Meilern seine Treibhausgasemissionen bis 2030 kappen.[9] Und auch Frankreich setzt weiterhin auf Atomenergie, um Kohlekraftwerke zu ersetzen: Bereits im Jahr 2022 will das Land keinen Kohlestrom mehr beziehen und damit früher als alle anderen auf Kohle verzichten. Doch was spektakulär klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Nebelkerze: Denn die Kohle trägt in Frankreich schon jetzt nur noch rund fünf Prozent zur Energiegewinnung bei[10], zugleich wird der Verzicht auf sie mitnichten durch erneuerbare Energien kompensiert. Vielmehr sind in unserem Nachbarland 55 Atomreaktoren am Netz. Seit Ende 2007 baut der Konzern „Areva“ am Standort Flamanville zudem einen neuen Reaktor, dessen geplante Baukosten von 3,3 Mrd. Euro sich bislang mehr als verdreifacht haben und dessen Bauzeit massiv überschritten wurde.[11] Von einer grünen Wende kann in Frankreich also keine Rede sein.
Denn anders als deren Befürworter glauben machen wollen, ist Atomkraft keineswegs eine „grüne Energie“: Allein der Uranabbau gefährdet Mensch und Umwelt, und bis die Brennstäbe einsatzbereit sind, wird bereits viel Energie – nicht zuletzt aus Kohle – aufgewandt. Nach wie vor ist auch die Frage der sicheren Endlagerung des Atommülls ungeklärt, sie stellt Politiker und Wissenschaftler seit Jahrzehnten vor – vielleicht unlösbare – Probleme.[12] Der derzeit in Zwischenlagern untergebrachte Atommüll kontaminiert vielerorts bereits jetzt die Umgebung. Und nicht zuletzt birgt jedes AKW die Gefahr eines verheerenden Unfalls, dem – einmal im Gang – niemand Einhalt gebieten kann. Aus Sorge vor einer Havarie im maroden belgischen Kernkraftwerk Tihange werden in der Region um Aachen seit Kurzem sogar vorsorglich Jodtabletten verteilt. Diese sollen im Havariefall die Aufnahme von radioaktiv verseuchtem Jod durch die Schilddrüse verringern. Bereits 2012 wurde der Reaktor 2 in Tihange wegen Rissen im Reaktorbehälter abgeschaltet, 2016 jedoch – trotz Protesten – wieder in Betrieb genommen.[13] All das zeigt deutlich: Atomkraft darf die fossilen Brennstoffe nicht ersetzen. Deshalb ist es unerlässlich, während der Weltklimakonferenz im November laut und deutlich zu sagen, dass Atomkraft keine Alternative ist.
Das sieht die Atomlobby selbstredend anders und lässt keine Gelegenheit aus, für ihre Form des Klimaschutzes zu werben. Unter dem Dach von „Foratom – the Voice of the European Nuclear Industry“ versammeln sich nach eigenen Angaben 150 Organisationen, Verbände und Einzelpersonen, die sich auch gern als Graswurzelbewegung ausgeben. Mit ihrer Kampagne „Nuclear for Climate“ ist sie bei allen COP-Treffen präsent und drängt darauf, ein Recht der Staaten auf den Ausbau von Atomkraft als Mittel zur Reduktion von CO2-Emissionen in Dokumenten und Beschlüssen festzuschreiben. Bereits 2015 formulierte die Interessenvertretung der Atomindustrie offen ein solches Recht und rief die Verhandlungspartner der COP21 zu dessen Gewährleistung auf.[14] Diesen Standpunkt wiederholt unter anderem die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) in ihrer Publikation „Climate Change and Nuclear Power 2016“. Ebenso wird er seit der COP22 in Marrakesch insbesondere von der russischen Behörde „Rosatom“ propagiert.
Mit ihren Bemühungen sind die Atomlobbyisten überaus erfolgreich: Inzwischen ist nicht mehr ausgeschlossen, dass der seit gut sieben Jahren existierende „Green Climate Fund“ der Vereinten Nationen auch Projekte zum Atomenergieausbau finanziell unterstützt. Gegründet, um Geld für Projekte zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen sowie zur Anpassung an den Klimawandel in Entwicklungsländern bereitzustellen, könnte mit ihm nun die Nutzung der Atomenergie gefördert werden. Dabei werden diese Gelder dringend benötigt, um die Folgen der globalen Erwärmung insbesondere in Afrika wenigstens in Ansätzen zu lindern. Sollte es tatsächlich zur Förderung von Atomprojekten kommen, hat beispielsweise die österreichische Umweltschutzorganisation „GLOBAL 2000“ angekündigt, ihre Vertreterinnen und Vertreter im Fonds zu einem Veto aufzufordern. Auch rund um die Klimakonferenz im November werden Aktivisten mit der Kampagne „Don‘t nuke the climate“ jene öffentlich kritisieren, die Atomkraft als „Alternative“ zu den CO2-Emittenten vermarkten.[15]
Bizarr und widersprüchlich ist zugleich das Verhalten der Bundesregierung: Zwar ist der hiesige Atomausstieg bis zum Jahr 2022 beschlossene Sache, doch noch immer trägt Deutschland nach den USA und Japan den drittgrößten Anteil zum 350 Mio. Euro umfassenden Haushalt der IAEO bei. Seit 1956 entsendet sie einen Vertreter an die IAEO und ist noch immer im Gouverneursrat der 186 Mitgliedstaaten vertreten, dem Lenkungsorgan der Atomenergieorganisation, die sich für die „friedliche Nutzung der Kerntechnologie“ einsetzt und von Gefahren und Kritik an der nuklearen Technik nichts hören will. Tschernobyl und Fukushima gelten der IAEO als bedauerliche Einzelfälle, deren dramatische Folgen sie nach wie vor verharmlost.[16]
Der Kampf gegen eine widersprüchliche Politik und die mächtige Atomlobby ist also auch hierzulande noch lange nicht ausgefochten. Vor allem aber gilt es aktuell im globalen Rahmen zu verhindern, dass der Weg zur Erreichung der Pariser Klimaziele über eine Renaissance der Atomkraft führt. Zugleich bedarf es eines konkreten Maßnahmenkatalogs, um den sukzessiven Ausstieg aus der Kohleförderung und -verbrennung sicherzustellen. Im nächsten Jahrzehnt muss die Energieversorgung komplett auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Je weniger an Energie benötigt und je effizienter mit ihr umgangen wird, desto eher wird das gelingen.
NGOs und Aktivisten machen darauf bereits im Vorfeld der kommenden UN-Klimakonferenz durch zahlreiche Aktionen aufmerksam. Man kann nur hoffen, dass die Konferenzteilnehmer auf sie hören und einen Weg zur Rettung des Klimas finden.
[1] Vgl. die Texte von Susanne Götze und Jörg Staude, Benjamin von Brackel und Christian Mihatsch sowie Bernhard Pötter in: „Blätter“, 2/2016, S. 89-104.
[2] Marlene Weiß, Kohle muss endlich richtig Kohle kosten, www.sueddeutsche.de, 7.4.2017.
[3] Matthew Brown und Katy Daigle, Kohle-Comeback macht Umweltschützern Sorgen, www.wiwo.de, 27.6.2017.
[4] Vgl. auch: Gerd Rosenkranz, Deutschland ewig Kohleland, „Blätter“, 5/2014, S. 101-111.
[5] Umweltbundesamt, Treibhausgas-Emissionen in Deutschland, www.umweltbundesamt.de.
[6] Umweltbundesamt, Datenbank „Kraftwerke in Deutschland“, www.umweltbundesamt.de.
[8] Klimaschutzplan 2050, November 2016, www.bmub.bund.de.
[9]80 neue Atommeiler bis 2030. China will Atomenergie massiv ausbauen, www.n-tv.de, 6.12.2015.
[10] Rudolf Balmer, Frankreich sagt Adieu zur Kohle, www.taz.de, 7.7.2017.
[11] Klimaretter.Info, AKW Flamanville wird noch teurer, www.klimaretter.info, 4.9.2015.
[12] Vgl. Jochen Stay, Der große Atommüllpoker, in: „Blätter“, 10/2016, S. 29-32.
[13] Vgl. Jodtabletten für alle Aachener, www.zeit.de, 31.8.2017.
[14] Nuclear for Climate, Positionspapier, 5.11.2015.
[16] Vgl. Sebastian Pflugbeil, Tschernobyl in Permanenz. Ein Jahr Fukushima, in: „Blätter“, 3/2012, S. 89-97.