Seit drei Jahren schwelt in Mosambik ein Konflikt zwischen der Regierung in Maputo und bewaffneten Terrorgruppen in der nördlichen Provinz Cabo Delgado, der nun vollends zu eskalieren droht. Ende Mai fielen Kämpfer in die mehrere tausend Einwohner zählende Stadt Macomia ein und zwangen die Bevölkerung und die Sicherheitskräfte vor Ort zur Flucht; Augenzeugen berichten von 19 Toten. Erst als die Soldaten Verstärkung von privaten Militärfirmen erhielten, konnten sie die Kontrolle über die Stadt zurückerlangen. Laut offiziellen Angaben gehören die Angreifer dem jüngsten Ableger des sogenannten Islamischen Staats (IS) auf dem Kontinent an, der sogenannten Zentralafrikanischen Provinz des Islamischen Staats (Iscap).
Seit Herbst 2017 flammte die Gewalt in der an den Süden Tansanias angrenzenden und vorwiegend muslimisch geprägten Region immer wieder auf. Die Ziele der Attacken sind religiöse, zumeist christliche Einrichtungen, staatliche Institutionen und Banken. Doch inzwischen folgen die Angriffe immer stärker einem militärischen Vorgehen. Wurden in den vergangenen Jahren vorwiegend abgelegene Dörfer angegriffen oder Armeepatrouillen in Hinterhalte gelockt, führen die Dschihadisten nun größere Operationen durch – mit entsprechend höheren Opferzahlen: Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Armed Conflict Location and Event Data Project (Acled) forderte die Gewalt in Cabo Delgado seit Ende 2017 mehr als 1200 Tote, darunter 700 Zivilisten. Mindestens 150 000 Menschen sind nach Angaben der Behörden vertrieben worden.
Für die Zuspitzung des gewaltsamen Konflikts dominieren drei Erklärungen. Der erste Erklärungsansatz, der beispielsweise von der Global Initiative Against Transnational Organised Crime und der United Nations Agency on Drugs and Crime (UNODC) vertreten wird, reduziert die Gewalt auf bloßes Banditentum. Demnach seien die Aufständischen nur eine Gruppe von Banditen, deren einzige Absicht darin bestünde, Unruhe zu stiften, um illegalen Goldabbau, Handel mit Edelsteinen, Holz oder Drogen zu betreiben. Befürworter dieser Sichtweise argumentieren, dass es eine Verbindung zwischen den Bewaffneten mit solchen aus den Nachbarländern Tansania und der Demokratischen Republik Kongo gibt. Auch die Regierung in der Hauptstadt Maputo vertrat anfangs die These eines transnationalen organisierten Verbrechernetzwerks.
Der zweite Erklärungsansatz sieht die Schuld bei den im Gasgeschäft tätigen multinationalen Unternehmen. Hintergrund sind die gewaltigen Gasfelder, die der US-Energiekonzern Anadarko und der italienische Mineralölkonzern ENI vor rund zehn Jahren vor der Küste Cabo Delgados entdeckten. Seitdem erlebt Mosambik einen Zustrom ausländischer Energieunternehmen: Total, ENI, ExxonMobil, BP, Shell, China National Petroleum Corporation und viele andere hoffen auf lukrative Aufträge. Diese Unternehmen, so die Behauptung, stifteten militante Gruppen dazu an, Chaos zu schaffen, um so die unregulierte Ausbeutung der Rohstoffe zu ermöglichen. Damit würden sie zugleich der wirtschaftlichen Entwicklung Mosambiks schaden, dem damit Einnahmen verloren gingen.
Der dritte Ansatz vertritt die These, dass der sogenannte Islamische Staat (IS) hinter dem Konflikt steht. Diese derzeit offizielle Version der Regierung Mosambiks wurde kürzlich vom Nationalen Rat für Verteidigung und Sicherheit bekanntgegeben und wird auch von internationalen Akteuren wie dem US-Außenministerium geteilt. Die Interpretation wird durch zwei Aspekte gestützt: Zum einen übernahm der IS zuletzt tatsächlich vermehrt die Verantwortung für einzelne Anschläge. Auch passt es aus Sicht vieler Kommentator*innen in die Strategie einer Ausweitung von Kampffeldern des vielerorts in Bedrängnis geratenen IS. Zum anderen nennt die lokale Bevölkerung die Bewaffneten – in Anlehnung an die Terrorgruppe in Kenia und Somalia – „Al-Shabaab“.
Eine Geschichte der Marginalisierung
Allerdings reicht auch dieser Ansatz nicht aus, um der Vielschichtigkeit des Konflikts gerecht zu werden. Um ihn zu verstehen, müssen auch die historischen Prozesse der Islamisierung, Kolonisierung, der Unabhängigkeit und das internationale Interesse an den Gasvorkommen in den Blick genommen werden.
Tatsächlich war insbesondere die Provinz Cabo Delgado in ihrer Geschichte überaus wechselhaften Einflüssen ausgesetzt: So haben die arabische Expansion und die Islamisierung der Nordküste Mosambiks zwischen dem 8. und dem 16. Jahrhundert spezifische politische, soziale und kulturelle Institutionen hervorgebracht. So dominieren hier beispielsweise matrilineare Gesellschaftsformen, während in den übrigen Regionen Mosambiks patrilineare Strukturen vorherrschen. Überdies gehören der Norden Mosambiks und insbesondere Cabo Delgado bis heute zur Swahili-Welt Ostafrikas, der unter anderem Kenia, Tansania und die Komoren angehören.
Der portugiesische Kolonialismus – der mit der Ankunft des portugiesischen Seefahrers Vasco da Gama in Mosambik im Jahr 1498 begann – unternahm den Versuch, in der Region das Christentum durchzusetzen und den Islam zurückzudrängen. Überdies richtete der Kolonialstaat seine ökonomische Struktur mit der Gründung der Hauptstadt Lourenço Marques, dem heutigen Maputo im Süden des Landes, im Jahr 1898 stärker Richtung Südafrika aus – was eine Marginalisierung des Nordens zur Folge hatte.
Nach der Unabhängigkeit Mosambiks im Jahr 1975 versuchten dann der marxistische Staat und dessen Regierungspartei Frente de Libertação de Moçambique (FRELIMO) der lokalen Bevölkerung ihre Weltsicht und Institutionen überzustülpen. Um ihre Traditionen und Geschichte gegenüber der Zentralregierung zu schützen, unterstützte die lokale Bevölkerung deshalb im mosambikanischen Bürgerkrieg (1976-1992) die antikommunistische Rebellengruppe Resistência Nacional Moçambicana (RENAMO) gegen die FRELIMO.
Die Regierung reagierte darauf, indem sie die Belange der Provinz weitgehend ignorierte. Als der nationale Islamische Rat 1981 gegründet wurde, fand dieser Akt unter Ausschluss der muslimischen Gemeinschaften im Norden statt – die muslimischen Traditionen im Norden wurden gegenüber jenen aus dem Süden des Landes schlicht nicht als gleichwertig wahrgenommen.[1]
Diese verschiedenen Einwirkungen auf die lokale Geschichte haben nicht nur die Identität der dort lebenden Menschen geprägt, sondern auch erhebliche Ressentiments gegenüber „westlich inspirierten Werten“ geschürt – und damit das Misstrauen gegenüber Regierungsinstitutionen, der christlichen Religion oder staatlichen Bildungssystemen verstärkt. Der gegenwärtige Konflikt wurzelt somit in einer Geschichte der Marginalisierung und einer latenten bis offenen Gegenbewegung, die fast 150 Jahre zurückreicht. Die These, dass Religion ein alleiniger Mobilisierungsgrund für den derzeitigen Konflikt sei, negiert diese Entwicklung ebenso wie die Kontinuität gewaltsamer Konflikte, die seit dem ostafrikanischen Sklavenhandel über den antikolonialen Widerstand bis zum Bürgerkrieg reicht.
Zugleich wird damit die Rolle des globalen Kapitalismus ausgeblendet, der in Mosambik eine Modernisierung hervorgebracht hat, die vor allem auf Megaprojekte setzt, jedoch nicht zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung – etwa zur Armutsbekämpfung – beiträgt. Im Gegenteil: Lokale und internationale NGOs deckten in den vergangenen Jahren zahlreiche Fälle auf, in denen sich Konzerne Land aneigneten, um dies für Investitionen zu nutzen. Die mosambikanische Organisation Justiçia Ambiental! beispielsweise kritisierte jüngst die Vertreibung von 550 Fischer- und Bauernfamilien in Cabo Delgado für den Bau von Anlagen, um Erdgas für den Transport zu verflüssigen. War die lokale Bevölkerung somit in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten vor allem von religiöser und politischer Marginalisierung betroffen, sieht sie sich nun verstärkt auch extremen Formen der wirtschaftlichen Ausbeutung gegenüber.
Die Internationalisierung des Konflikts
Trotz der sich dramatisch zuspitzenden Lage im Nordosten des Landes sitzt FRELIMO, die seit der Unabhängigkeit das Land regiert, nach wie vor fest im Sattel. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im vergangenen Jahr gewann die Partei trotz eines immensen Schuldenskandals und der Konflikte mit der RENAMO klar – allerdings mit Hilfe eines unsauberen Wahlkampfs. Überdies werden kritische Journalist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen immer wieder bedroht, insbesondere wenn sie kritisch über die Lage im Norden des Landes berichten. So verschwand Anfang April der Investigativjournalist Ibrahimo Abu Mbaruco in Cabo Delgado. Kurz zuvor hatte er geschrieben, dass Soldaten sein Haus umzingelt hätten.
Derweil nehmen die Auseinandersetzungen in Cabo Delgado zwischen bewaffneten Gruppen auf der einen und Militär- bzw. Sicherheitskräften auf der anderen Seite immer weiter zu. Allein bei zwei jüngeren Angriffen der Armee Mitte Mai wurden mehr als 50 Angehörige der bewaffneten Gruppe getötet. Ende Mai verkündete Präsident Filipe Nyusi, dass hochrangige Anführer der Aufständischen getötet worden seien.
Zugleich droht eine Internationalisierung des Konflikts – und zwar nicht nur wegen des Einflusses des IS. Denn die mosambikanische Regierung begann im vergangenen Jahr damit, ausländische Sicherheitsunternehmer anzuheuern, die der Armee bei der Niederschlagung der Aufstände helfen sollen. Die berüchtigte russische Wagner-Gruppe zog sich jedoch Anfang dieses Jahres wieder aus Mosambik zurück, nachdem mindestens elf russische Söldner ums Leben gekommen waren.
Zusätzliche Brisanz erhält der Konflikt durch den Einsatz südafrikanischer Söldner der Dyck Advisory Group (DAG). Geheime Absprachen zwischen den mosambikanischen Behörden mit der DAG fanden ohne Wissen und Zustimmung der südafrikanischen Behörden statt – wofür sich nun der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa rechtfertigen muss.
Hinzu kommt, dass offenbar auch die Islamisten Kämpfer aus anderen Ländern rekrutieren. Die mosambikanische Generalstaatsanwältin Beatriz Buchili teilte dem Parlament Mitte Mai mit, dass von den 60 beschuldigten Kämpfern, die derzeit in Untersuchungshaft sitzen, 50 Mosambikaner, sechs Tansanier, zwei Somalier und zwei Kenianer seien. Auch deshalb wächst derzeit die Sorge, dass sich der Konflikt auf das benachbarte Tansania und möglicherweise sogar bis nach Südafrika ausweiten könnte.
Drohende Eskalation
All dies zeigt, dass ein militärisches Vorgehen in Cabo Delgado kaum zu einer Beilegung des Konflikts führen wird. Vielmehr braucht es dazu auch politische, soziale und ökonomische Ansätze. Vor allem muss die mosambikanische Regierung faire und transparente Verteilungsmechanismen für die zu erwartenden Einnahmen aus der Gasausbeutung vor ihrer Küste schaffen. Denn die durch den Konflikt verstärkte soziale und ökonomische Ungleichheit zeigt sich bereits jetzt deutlich. Das Centro de Integridade Pública wies Ende Mai darauf hin, dass die Steuereinnahmen in Cabo Delgado allein im vergangenen Jahr aufgrund des Konflikts um mehr als 27 Prozent eingebrochen sind. Im gleichen Zeitraum wurden die Sozialausgaben in der Provinz halbiert, während die Ausgaben für Sicherheit sich mehr als vervierfachten.
Zudem gilt es, auch Mechanismen zur politischen Beteiligung der Bevölkerung im Norden des Landes zu schaffen. Daran aber scheint die Regierung in Maputo kein Interesse zu haben. Bisher zumindest sind keinerlei Initiativen der Regierung für eine friedliche Konfliktlösung bekannt.
Auch die Nachbarländer haben sich bislang nicht für eine Lösung des Konflikts eingesetzt, obwohl vor allem Südafrika eigentlich ein Interesse daran haben müsste – einerseits aufgrund der Präsenz südafrikanischer Söldner im Land; andererseits, um seine eigene politische Hegemonie in der Region zu verteidigen. Aber aus Südafrika sind kaum diplomatische Impulse zu erwarten, das zeigen bereits die Erfahrungen aus der Mugabe-Ära. Während der 30jährigen Herrschaft des Diktators im Nachbarland Simbabwe (1987-2017) lehnte die südafrikanische Regierung stets jegliche Form der diplomatischen Einmischung ab.
Auch der nördliche Nachbar Tansania, ein historischer Verbündeter Mosambiks, müsste eigentlich ein Interesse an einer Konfliktlösung haben, denn die Bewaffneten haben bei ihren Aktivitäten nicht nur tansanisches Territorium durchquert, sondern in ihren Reihen finden sich auch tansanische Staatsangehörige. Dennoch ist über eine Zusammenarbeit zwischen den tansanischen und mosambikanischen Behörden wenig bekannt. Immerhin haben die beiden Präsidenten von Mosambik, Filipe Nyusi, und Tansania, John Magufuli, Medienberichten zufolge Anfang Juni erstmals telefonisch über den Konflikt gesprochen.
Dass die Regierung in Maputo und viele weitere Akteure gegenwärtig auf eine rein militärische Lösung setzen, wird den Konflikt nur weiter anheizen und könnte ihn am Ende sogar in einen Bürgerkrieg verwandeln, vor dem bereits heute erste Stimmen warnen. Es ist geradezu frappierend, dass unter anderem das Tony Blair Institute for Global Change kürzlich sogar eine Militärintervention in Mosambik ins Spiel brachte. Auch in Südafrika wird diese Option verstärkt diskutiert. Inzwischen haben Soldaten der South African National Defence Force sogar begonnen, für ein mögliches Eingreifen zu trainieren. Das zeugt nicht nur von einer völlig fehlenden Wahrnehmung der komplexen sozioökonomischen, kulturellen und religiösen Verhältnisse in Cabo Delgado. Eine Militärintervention würde auch die so dringend gebotene friedliche Konfliktlösung verhindern und konfliktverschärfende Dynamiken auslösen, deren Wirkung derzeit kaum abzuschätzen ist.
[1] Vgl. Liazzat J. K. Bonate, Roots of Diversity in Mozambican Islam, in: „Lusotopie“, 1/2007, S. 129-149.