Ausgabe November 2022

Anleitung zum Völkermord: Der Mythos vom »Großen Austausch«

Rechtsextreme Demonstration in Charlottesville, Virginia, 12.8.2017 (IMAGO/ZUMA Press)

Bild: Rechtsextreme Demonstration in Charlottesville, Virginia, 12.8.2017 (IMAGO/ZUMA Press)

Was verbindet den ungarischen Premierminister Viktor Orbán, den französischen Rechtsaußen Éric Zemmour, rechte Demonstranten im amerikanischen Charlottesville und den Massenmörder Anders Behring Breivik? Sie alle stützen sich auf ein wirkmächtiges Phantasma: den „Großen Austausch“. Dieser Begriff ist in rechtsextremen und zunehmend auch in rechtspopulistischen Kreisen seit einigen Jahren populär. Rechtsterroristen beziehen sich zur Legitimation ihrer Gewalttaten immer wieder auf diese angebliche Verschwörung zum Austausch der weißen Bevölkerung, insbesondere durch nicht-weiße Migranten. Die Ideen, die der Vorstellung vom „Großen Austausch“ zugrunde liegen, sind jedoch viel älter als der Begriff und gehen auf Kolonialismus und Faschismus zurück. Da der Mythos vom „Großen Austausch“ Fremde als existenzielle Bedrohung für die angeblich ethnisch und religiös homogene Nation, ihre Traditionen und Werte darstellt, kann er auch als Begründung für massenhafte Gewalt gegen diese Fremden und ihre Repräsentanten benutzt werden. Der „Große Austausch“ ist damit ein Paradebeispiel für völkermörderische Sprache.

Völkermörderische Sprache ist eine Sprache, die auf eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe zielt und eine Rechtfertigung für ihre Auslöschung liefert.

»Blätter«-Ausgabe 11/2022

Sie haben etwa 6% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 94% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (2.00€)
Digitalausgabe kaufen (11.00€)
Druckausgabe kaufen (11.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Chile: Leere Versprechen für die Indigenen?

von Malte Seiwerth

Am 1. Juni hielt der chilenische Präsident Gabriel Boric zum letzten Mal seine jährliche Rede vor den beiden Parlamentskammern des südamerikanischen Landes, eine Tradition, die seit 1833 gepflegt wird. Nach dreieinhalb Jahren im Amt wirkte seine Rede bereits wie ein Abschied.

Kanada als Vorbild: Fünf Punkte für nachhaltige Migration

von Naika Foroutan, Harald Bauder, Ratna Omidvar

Angetrieben von der AfD, die die jüngsten Anschläge durch Asylbewerber nutzt, um immer weitere Verschärfungen in der Migrationspolitik zu fordern, schlittert die Bundesrepublik gegenwärtig in eine aktionistische Abschottungspolitik, die jegliche Expertise aus Wirtschaft und Wissenschaft ignoriert. Seit Jahren wird dadurch hierzulande verhindert, dass dringend notwendige Weichen in der Migrationspolitik neu gestellt werden.

Fünf Jahre Hanau: Nie wieder ein »Schon wieder«

von Sheila Mysorekar

An jedem Jahrestag erleben wir es aufs Neue: Politiker:innen treten ans Rednerpult mit ihrem inhaltsleeren „Nie wieder“, mit ihren salbungsvollen Sprüchen und ihrem aufgesetzten Mitgefühl. Obligatorische Jahrestage im Kalender, Beileidsreden geschrieben von der Assistenz, PR-Fotos abhaken, schnell zum nächsten Termin.