Ausgabe Juni 2023

Russisch Roulette: Mit den US-Republikanern ins Chaos

Mitch McConnell, Minderheitsführer der Republikaner im Senat, gibt ein Pressestatement zur Schuldenobergrenze. Im Hintergrund: Kevin McCarthy, Sprecher des Repräsentantenhauses, Washington DC, 16.5.2023 (IMAGO / ZUMA Wire / Chris Kleponis)

Bild: Mitch McConnell, Minderheitsführer der Republikaner im Senat, gibt ein Pressestatement zur Schuldenobergrenze. Im Hintergrund: Kevin McCarthy, Sprecher des Repräsentantenhauses, Washington DC, 16.5.2023 (IMAGO / ZUMA Wire / Chris Kleponis)

Welcher Teufel hat CNN bloß geritten, den großen Fehler der US-Medien von 2016 zu wiederholen, Donald Trump eine kostenlose Bühne für seine Hetze zu bieten? Immerhin schickte der von Trump so verachtete Nachrichtensender bei einer Town Hall genannten öffentlichen Diskussionsveranstaltung am 10. Mai mit Kaitlan Collins eine kritisch nachfragende Journalistin ins Rennen. Der in den Umfragen zur Präsidentschaftskandidatur der Republikaner klar führende Trump konnte seine Lügen und Beleidigungen im wichtigen Vorwahlstaat New Hampshire also keineswegs widerspruchslos wiederholen. Doch nicht nur beherrscht Trump die öffentliche Kontroverse wie kaum ein anderer – weswegen er wohl auch seinen immer noch unerklärten innerparteilichen Gegner Ron DeSantis hinwegfegen würde –, sondern es war auch sonst ein Heimspiel: Ein ihm freundlich gesinntes Publikum feuerte ihn immer wieder an, sogar als er Collins als „nasty woman“ beschimpfte – just einen Tag, nachdem er in erster Instanz wegen eines sexuellen Übergriffs zu fünf Millionen US-Dollar Strafe verurteilt worden war. Die Teilnehmer bejubelten auch seine Behauptung, Europa würde die USA auslachen, weil vor allem Washington die Verteidigung der Ukraine finanziere. Und: Den Krieg gäbe es mit ihm im Weißen Haus gar nicht, so der „Angeber-in-Chief“, und als Präsident könnte er ihn in 24 Stunden beenden.

Vor allem aber goss Trump bei dieser Gelegenheit Öl ins Feuer einer Kontroverse, die die USA an den Rand einer ökonomischen Katastrophe führen kann – oder gar in den Abgrund: Beim Streit um die Erhöhung der Schuldenobergrenze des Bundes, so Trump, sollten die Republikaner auf keinen Fall einknicken. Vielmehr müssten sie auf ihrer Forderung beharren, die Grenze nur anzuheben, wenn Präsident Joe Biden massiven Haushaltskürzungen zustimmt. Bei diesem Erpressungsversuch könnte allerdings am Ende auch den treuesten Trump-Anhängern der Jubel im Halse steckenbleiben. Denn auf dem Spiel steht nicht nur die Zahlungsfähigkeit der Bundesregierung, die bereits seit der am 19. Januar erreichten Obergrenze von 31,4 Bill. Dollar nur noch durch „außergewöhnliche Maßnahmen“ ihren Verpflichtungen nachkommen kann, sondern damit auch die Kreditwürdigkeit der USA – mit unabsehbaren Folgen für die amerikanische Wirtschaft.

Wie konnte es dazu kommen, dass mehr und mehr Republikaner bereit zu sein scheinen, die Wirtschaft vor die Wand fahren zu lassen, nur um die Biden-Regierung zu schwächen? Welche politischen Konsequenzen hat die Auseinandersetzung für den Präsidentschaftswahlkampf und für die weitere Unterstützung der Ukraine?

Kaum zu glauben, aber 1917 markierte die gesetzliche Einführung einer Schuldenobergrenze einen Fortschritt für die Bundesregierung, weil der US-Kongress fortan nicht mehr jede Schuldenaufnahme einzeln beschließen musste. Die damalige Flexibilisierung war wegen des Kriegseintritts der USA notwendig geworden und sollte zudem die Sorgen derjenigen lindern, die der Bundesregierung nicht komplett freie Hand lassen wollten. Nur: Es ist ja ohnehin der Kongress, der jedes Jahr aufs Neue einen Haushalt verabschiedet, mit dem die bereits gesetzlich beschlossenen politischen Projekte finanziert werden sollen – mit Steuern, aber eben auch mit Schulden. Und so scheint es widersinnig, dem Kongress mit der Schuldenobergrenze zugleich ein Mittel in die Hand zu geben, die bereits getroffenen eigenen Beschlüsse immer dann infrage zu stellen, wenn zufällig im Verlauf eines Haushaltsjahrs besagte Obergrenze tatsächlich erreicht wird.

Die Bundesregierung als Quell allen Übels

Deshalb ist die Erhöhung gewöhnlich eine reine Routineangelegenheit. Darauf verweist die Biden-Regierung, um ihre Forderung nach einem „clean bill“, also einer bedingungslosen Erhöhung, zu begründen. Selbst ein Mehrheitswechsel im Kongress zwischen der Verabschiedung des Haushalts und der Erhöhung der Obergrenze erklärt nicht allein den aktuellen Erpressungsversuch der Republikaner. Auch in dieser Situation des „divided government“ ist die Obergrenze meist routinemäßig erhöht worden – schlicht, weil alle Beteiligten wissen, dass es viel Geld kostet, Zweifel an der Kreditwürdigkeit des Landes entstehen zu lassen. Denn auch die reichen USA müssen ständig neue Schulden aufnehmen, um alte abzulösen, und sind damit abhängig von Ratingagenturen wie Standards & Poor und Moody’s, deren Einschätzungen sich auf die Höhe der zu zahlenden Zinsen auswirken.

Ein Kompromiss ist technisch leicht möglich und wird so auch von der Biden-Regierung ins Spiel gebracht: Zunächst wird die Schuldenobergrenze ohne Bedingungen erhöht oder für einen bestimmten Zeitraum ausgesetzt. Dann verhandelt man über den Haushalt für 2024 – ohne dass eine Partei der anderen einen Revolver an die Stirn hält (wobei der in Wahrheit eben ohnehin auf beide zielte). Die Regierung weiß, dass angesichts der veränderten Mehrheiten im Kongress nach der 2022er Wahl Einsparungen nötig sein werden, die auch Bidens Wunschprogramme betreffen werden. Doch die Forderungen der Republikaner („Grand Old Party“, GOP) weisen weit über den Spielraum hinaus, der nach Ansicht der Regierung besteht. Vor allem aber fehlt das für das skizzierte Kompromissverfahren notwendige Vertrauen sowohl zwischen der GOP und Biden als auch innerhalb der Republikaner.

Denn die GOP hat sich sehr grundsätzlich gewandelt, und zwar nicht erst, seit Donald Trump auf der politischen Bühne erschienen ist. Tatsächlich steht inzwischen sogar die Regierungsfähigkeit der GOP infrage. Im Repräsentantenhaus treiben die aus der Tea Party-Bewegung hervorgegangenen Abgeordneten des „Freedom Caucus“ den nur knapp gewählten Speaker Kevin McCarthy vor sich her. Niemand weiß, wie weit diese Extremisten zu gehen bereit sind, um die Bundesregierung zu bekämpfen, die gemäß ihrer kollektiven Wahnvorstellung von einer „deep state“ genannten Verschwörung beherrscht wird, die angeblich das Land zerstören will. In den Verhandlungen mit McCarthy vor dessen Wahl setzten sie durch, dass ein einzelner Abgeordneter die Absetzung des Speakers beantragen kann. Da McCarthy bei einem solchen Misstrauensantrag fast alle Stimmen seiner Fraktion brauchen würde, könnte er einen überparteilichen Kompromiss über die Schuldenobergrenze und den Haushalt für 2024 vermutlich nur um den Preis des eigenen Machtverlusts organisieren. Er befindet sich damit faktisch in Geiselhaft, denn die Extremisten scheinen wie besoffen von ihrer Macht als Zünglein an der Waage und haben für die an konkreter Regierungsarbeit interessierten Republikaner nur Verachtung übrig. Inzwischen ist sogar fraglich geworden, ob Kevin McCarthy noch zu letzteren gehört, oder ob er nach dem Motto „if you can’t beat them, join them“ zu den Extremisten übergelaufen ist – sein scheinbar enges Verhältnis zur umstrittenen Abgeordneten und Verschwörungserzählerin Marjorie Taylor Greene deutet darauf hin. Und auch im Senat mehren sich die Stimmen in der GOP, die sich gegen eine bedingungslose Erhöhung der Schuldenobergrenze aussprechen.

Es scheint, als hätten sich die Verschwörungserzählungen vom „deep state“ den traditionellen vulgärlibertären Vorstellungen derjenigen in der GOP angenähert, die die Bundesregierung für den Quell allen Übels halten und „in der Badewanne ersäufen“ wollen (Grover Norquist von „Americans for Tax Reform“). Werden die Republikaner tatsächlich so weit gehen, eine Wirtschafts- und Finanzkrise unvorstellbaren Ausmaßes in Kauf zu nehmen, um ihr – im Übrigen ahistorisches – Ideal einer wirtschafts- und sozialpolitisch entmachteten Bundesregierung durchzusetzen?

Käme es dazu, dass das US-Finanzministerium den Schuldendienst gegenüber anderen Zahlungen priorisieren müsste, wäre mutmaßlich ein „government shutdown“ die Folge: Die Bundesregierung müsste quasi im Notbetrieb arbeiten. Für Rentner und Bundesbedienstete wäre dies unmittelbar katastrophal, weil sie kein Geld mehr erhalten würden. Auch der Vertrauensverlust in die Institutionen würde weiter verstärkt – ohnehin ist das Vertrauen in das Bankensystem angeschlagen, seitdem die Bundesbank zur Bekämpfung der Inflation die Zinsen drastisch angehoben hat: Weil die Kurswerte der älteren Bundesanleihen gesunken sind, müssen die Banken sie mit Verlust verkaufen, wenn zu viele Kunden gleichzeitig ihre Einlagen abziehen. Zudem prognostiziert der Internationale Währungsfonds bei einem Shutdown dramatische negative Konsequenzen auch für die Weltwirtschaft.

Deshalb ist zu hoffen, dass doch noch eine politische Lösung gefunden werden kann. Manche Beobachter raten der Biden-Regierung, das Finanzministerium solle einfach eine Ein-Billion-Dollarmünze prägen – das Prägerecht ist von den Haushaltsgesetzen unabhängig – und diese dann beleihen. Andere weisen darauf hin, dass das Gesetz zur Schuldenobergrenze vermutlich ohnehin verfassungswidrig sei, weil die Bundesregierung von der Verfassung darauf verpflichtet wird, die Kreditwürdigkeit der USA stets zu sichern. Deshalb solle man die Obergrenze schlicht ignorieren – tatsächlich hat eine Gewerkschaft der Regierungsangestellten gerade eine diesbezügliche Klage eingereicht.

Der Ethnonationalismus der GOP

Doch selbst wenn eine Lösung gefunden werden sollte: Die grundsätzlichen Veränderungen in der angeblich so patriotischen GOP beeinträchtigen die Regierungsfähigkeit der USA und damit auch ihre außenpolitische Verlässlichkeit dauerhaft, sogar wenn Biden die Präsidentschaftswahl 2024 gewinnen sollte. Diese Veränderungen zeigen sich innenpolitisch wie außenpolitisch, ideologisch wie machtpolitisch. Als Partei der weißen Christen sieht sich die GOP als letztes Bollwerk gegen eine säkulare, von Minderheiten dominierte Gesellschaft. In der Defensive forciert sie eine rechtspopulistische Mobilisierung über Kulturkampfthemen. Im Kampf gegen die „wokeness“ findet sogar eine erstaunliche Emanzipation eines Teils der GOP von der von ihr traditionell unterstützten Geschäftswelt statt, beispielsweise wenn sich Unternehmen progressiv positionieren und sozialökologische Anlagestrategien verfolgen, oder – wie bei der Auseinandersetzung zwischen Disney und DeSantis – LGBTIQ-Rechte verteidigen. Der Kulturkampf hat einen stark christlich-konservativen Einschlag: Wer kein Christ ist, gehört nicht wirklich zu Amerika. Dieser „Christiannationalism“ ist nicht einfach konservativ, sondern längst reaktionär. Es geht nicht darum, den Wandel vorsichtig zu moderieren, sondern um eine Rückkehr in eine angeblich bessere Zeit. Unklar ist nur, wie weit zurück man in die Geschichte will – die Versuche, die Wahlbeteiligung von Minderheiten zu unterdrücken, lassen das Schlimmste befürchten. Als Partei der (weißen) Arbeiterklasse – pragmatisch definiert als Menschen ohne Collegeabschluss – hat die GOP den Protektionismus (wieder)entdeckt, der gleichwohl unter Trump vor allem instrumentell eingesetzt wurde, also, um Marktöffnungen zu erzwingen. Zudem hat sie ihren migrationsfeindlichen Nativismus und Rassismus verstärkt. Die Abgrenzung zu rechtsextremistischen Positionen bröckelt, und in der GOP ist eine starke ethnonationalistische Strömung entstanden. Sprich: Wer nicht weiß ist, gehört nicht wirklich zu Amerika.

Während sich die Biden-Regierung über ihre Subventionspolitik und die Positionierung gegen den Hauptrivalen China den „America First“-Positionen der GOP annähert, auch um die „Arbeiterklasse“ für die Demokraten zurückzugewinnen, ist die GOP also dabei, neu zu definieren, wer überhaupt zu diesem „America“ gehört. Die christlich-nationalistischen und ethnonationalistischen Vorstellungen bedeuten mittelfristig möglicherweise einen grundsätzlichen Abschied von der traditionellen Überzeugung, dass in den USA eine Verfassungsidee im Vordergrund der nationalen Identität steht, die grundsätzlich jedem offensteht. Dieser „American exceptionalism“ war allerdings immer ein letztlich unerfülltes Ideal. Dies brachte Michelle Obama zum Ausdruck, als sie angesichts des Wahlsiegs ihres Mannes sagte, nun sei sie zum ersten Mal stolz auf ihr Land. Aber die Abkehr von diesem Ideal hätte erhebliche Konsequenzen, weil sie auch eine Abkehr vom wertegeleiteten Internationalismus bedeuten würde, zu dem die GOP nach dem Zweiten Weltkrieg erst gedrängt werden musste. Innenpolitisch ist diese Neuorientierung eine tickende Zeitbombe. Das gilt insbesondere dann, wenn bei der Wahl der Mittel zum Machterwerb und -erhalt nicht länger demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien geachtet werden, weil „die anderen“ angeblich eine apokalyptische Bedrohung darstellen.

Auch außenpolitisch kann die Entwicklung der GOP dramatische Folgen haben. Wenn sich die USA vom demokratischen Universalismus – bekanntlich ohnehin nur selektiv respektiert – verabschieden, wenn also nicht mehr die Verfassung, sondern eine ethnisch und religiös definierte Nation Quelle der Identität ist, dann wird auch die demokratische Verfasstheit vernachlässigbar – die eigene wie die der internationalen Partner. Eine „weiße, christliche Identität“ würde die USA näher an Russland rücken und die GOP noch näher als bisher an Parteien wie die AfD, die „Passdeutschen“ die Zugehörigkeit zur Nation abspricht.

Immerhin ist es fraglich, ob eine solcherart neuorientierte Politik mehrheitsfähig ist. Insbesondere wenn die Erpressungen der GOP tatsächlich zu einem Shutdown oder Schlimmerem führen, ist nicht ausgemacht, dass die Biden-Regierung dafür die Schuld zugesprochen bekommt. In der Vergangenheit haben GOP-provozierte Shutdowns den Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama eher geholfen. Nur leider sind in den USA Wahlsiege bekanntlich auch ohne Mehrheiten möglich, nicht nur für das Amt des Präsidenten, wo die Mehrheit der Stimmen im Electoral College zählt, sondern auch im US-Kongress, wo die republikanisch dominierten Bundesstaaten erheblich überrepräsentiert sind. Auch eine nicht mehrheitsfähige GOP kann also erheblichen Schaden anrichten.

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