
Bild: In den kommenden Jahren geht die Boomergeneration in Rente und weniger Beitragszahler:innen müssen mehr Rentenzahlungen gegenfinanzieren. Das Bild wurde in Cuxhaven aufgenommen, 6.5.2022 (IMAGO / Rust)
Die deutsche Gesellschaft altert – und damit gerät auch das System der gesetzlichen Altersvorsorge zunehmend unter Druck: In den kommenden Jahren geht die sogenannte Boomergeneration in Rente, und ohne einen signifikanten Zuwachs an Beschäftigten werden weniger Beitragszahler:innen mehr Rentenzahlungen gegenfinanzieren müssen. Dies wird ohne zusätzliche Einnahmen oder Rentenkürzungen nicht zu verhindern sein – so viel ist klar. Doch wie gehandelt werden soll, ist umstritten: Gegen steigende Rentenbeiträge laufen die Arbeitgeberverbände Sturm, gegen eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer oder die Etablierung der seit Jahrzehnten diskutierten Finanztransaktionssteuer gibt es nach wie vor massive Widerstände. Stattdessen soll nun das sogenannte Generationenkapital aus der Feder der FDP dafür sorgen, dass die Rente in Deutschland sicher bleibt.
Doch sicher ist damit nichts, ganz im Gegenteil: Zwar stellten Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ihr neues Rentenpaket Anfang März 2024 der Öffentlichkeit vor, aber Gewerkschaften äußerten umgehend ihre Kritik daran und auch Bündnis 90/Die Grünen sehen noch Klärungsbedarf. Zudem ist die genaue Ausgestaltung der zu schaffenden Stiftung Generationenkapital noch ungeklärt.
Über diese sollen kreditfinanzierte zwölf Mrd. Euro am Kapitalmarkt investiert werden, bis zum Jahr 2038 soll dieser Betrag auf 300 Mrd. angewachsen sein. Dafür sollen auch Einnahmen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und Staatsanleihen an die Stiftung übertragen werden. Ganz nebenbei verfolgt die FDP mit ihrem Vorhaben auch ein erzieherisches Ziel: Mit den Gewinnen sollen nicht nur die Rentenbeiträge ab 2035 stabilisiert, sondern soll auch die „Aktienkultur“ in Deutschland gestärkt werden.
Für die Verwaltung der teilweise kapitalgedeckten Rente wurde anfangs Deutschlands erster und bis jetzt einziger Staatsfonds, der Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (KENFO), ins Spiel gebracht, unter anderem von Anja Mikus, der Geschäftsführerin der KENFO-Stiftung. Aufgrund ihrer ausgewiesenen „Erfahrungen und Expertisen“ könne der Bund „die Plattform effizient nutzen“, so Mikus.[1] Doch seit Anfang 2023 verfolgt die FDP eine andere Strategie: Sie will eine neue, öffentlich-rechtliche Stiftung und einen zweiten Staatsfonds ins Leben rufen.
Hochriskantes Unterfangen
Hat diese Richtungsänderung damit zu tun, dass der KENFO mit Problemen konfrontiert ist, mit denen die FDP bei der Umsetzung ihres Generationenkapitals nichts zu tun haben will? Fest steht, dass die Erfahrungen des KENFO in der Debatte um die Einrichtung eines weiteren Staatsfonds bisher nicht berücksichtigt wurden. Denn der KENFO ist als Modell für den Rentenfonds aus ganz verschiedenen Gründen völlig ungeeignet. Hinzu kommt: Es gibt kaum Grund zu der Annahme, dass ein zweiter Staatsfonds die Sache besser machen kann.
Zum Hintergrund: Der KENFO beruht auf einem Deal zwischen dem Staat und den ehemaligen Betreibern von Atomkraftwerken (AKW). Mit 24,1 Mrd. Euro kauften sich 2017 die Energieversorgungsunternehmen EnBW, E.ON, RWE, Stadtwerke München und Vattenfall von der Verantwortung für die Endlagerung der hochradioaktiven Abfälle frei. Nur für den Rückbau der AKW und die Verpackung der Abfälle sind sie noch zuständig und tragen dafür auch die Kosten.
Nach Prognosen aus dem Jahr 2015 wurde beim KENFO von einer durchschnittlichen Inflation in Höhe von 1,6 Prozent jährlich und einem stetigen Wachstum ausgegangen. Allein im Jahr 2022 lag die Preissteigerung hierzulande aber durchschnittlich bei rund sieben Prozent. Während in den ersten Jahren eine durchschnittliche Rendite von 8,6 Prozent erzielt wurde, musste der Fonds im Geschäftsjahr 2022 einen satten Wertverlust von 3,1 Mrd. Euro, also ein Minus von 12,2 Prozent, verbuchen.
In Norwegen, wo die Sozialleistungen bereits mit dem größten Staatsfonds der Welt abgesichert werden, kam es 2022 zu einem Rekordverlust von 152 Mrd. Euro (das entspricht minus 14,1 Prozent). Unmittelbare Folgen für ihre Rente mussten Norwegens Bürger:innen dadurch zwar noch nicht befürchten – perspektivisch aber schon, sollten auch künftig Verluste anfallen. Denn grundsätzlich ist festzuhalten, dass auch Staatsfonds massiven und unkalkulierbaren Risiken ausgesetzt sind. Dessen ungeachtet wurde auch der norwegische Staatsfonds bereits als Vorbild für das Generationenkapital in Deutschland angepriesen. Er basiert allerdings im Wesentlichen auf Einnahmen aus der nicht nachhaltigen norwegischen Öl- und Gasproduktion, was sich auf Deutschland nicht übertragen lässt.
Die hiesige KENFO-Stiftung investiert ihr Vermögen an den Finanzmärkten in Aktien, illiquide Anlagen sowie in Unternehmens- und Staatsanleihen. Laut dem zuletzt vorgelegten Bericht vom Jahr 2022 werden in mehr als 9000 Einzelwerte in über 90 Ländern investiert. Dabei sollen laut Stiftungsangaben die Menschenrechte geachtet, internationale Arbeitsnormen sowie Umwelt- und Sozialstandards eingehalten und die Bekämpfung der Korruption verfolgt werden. Aber wird dieser hohe Anspruch auch eingehalten?
Investitionen in die fossile Wirtschaft
Daran gibt es durchaus Zweifel: So sind mit den beiden AfD-Politikern Peter Boehringer und Michael Espendiller (stellvertretendes Mitglied) ein Verschwörungsideologe und ein Klimawandelleugner im 23-köpfigen Kuratorium des KENFO vertreten. Dieses setzt den Vorstand der Stiftung ein, formuliert die wesentlichen Vorgaben für den Nachhaltigkeitsansatz und überwacht die Geschäftsführung der Stiftung. Boehringer fabulierte wiederholt davon, dass eine geheime, global operierende Finanzelite die Bundesregierung steuere. Espendiller streitet den klimawissenschaftlichen Konsens ab und ist der Auffassung, dass der Klimawandel auf falschen Modellen beruhe.
Doch auch ganz unabhängig davon, ob sich deren Positionen inhaltlich direkt in den Entscheidungen des Gremiums niederschlagen, tragen das Kuratorium wie die Geschäftsführung der KENFO-Stiftung gemeinsam die Verantwortung für ihre widersprüchlichen Anlagestrategien: So investiert die Stiftung etwa in fossile Energien bei BP, Equinor, Lukoil, OMV, Shell und TotalEnergies; Unternehmen, die den menschengemachten Klimawandel massiv mitverursachen – und die ihre Förderung von Öl und Gas weiter ausbauen. Mit solchen Investitionen gelingt die Transformation hin zu erneuerbaren Energien nicht, sondern sie forcieren fossile Pfadabhängigkeiten. Darüber hinaus verpflichtet sich die Stiftung zu Zielen, die entweder nicht mehr zu erreichen oder nicht ausreichend sind: Die Investitionen sollen etwa entsprechend dem Pariser Klimaabkommen von 2015 dazu beitragen, die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. In den Monaten Februar 2023 bis Januar 2024 wurde jedoch bereits erstmals zwölf Monate in Folge die 1,5-Grad-Marke überschritten. Auch die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels wird mit großer Sicherheit verfehlt werden, wenn selbst zur Nachhaltigkeit verpflichtete staatliche Fonds ihre Gelder in der fossilen Wirtschaft anlegen. Hinzu kommt, dass das Ziel der Klimaneutralität bis 2050, zu dem sich auch die KENFO-Stiftung verpflichtet hat, bereits vor drei Jahren vom Bundesverfassungsgericht als viel zu spät kritisiert wurde. Es fehlten hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031, womit die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen unzulässig beschränkt würden.[2]
Die Finanzialisierung des Staates
Auch weitere Investitionen des KENFO sind alles andere als dem Gemeinwohl zuträglich: So investiert der Fonds auch in Airbnb und Deutschlands größten Immobilienkonzern Vonovia, den weltgrößten Immobiliendienstleister ProLogis und den größten Vermögensverwalter der Welt, BlackRock. Diese Unternehmen verantworten Mietpreissteigerungen, durch die besonders Menschen mit geringem Einkommen in Not geraten. Mit dem geplanten Generationenkapital würde die Absurdität und Widersprüchlichkeit solcher Investitionsstrategien auf die Spitze getrieben.
Im Pflegebereich investiert der KENFO etwa bei Brookdale Senior Living, DaVita, Fresenius oder Life-Point. Anlagen in diese Unternehmen führen zur Erhöhung von Pflegegebühren und stehen ebenfalls gänzlich im Widerspruch zur Daseinsvorsorge und geplanten Rentenreform, die Menschen ja gerade vor zusätzlichen Belastungen schützen soll. Die Politik des Staates wird dagegen „finanzialisiert“ – sie wird abhängig von den Bedingungen des Kredit- und Kapitalmarktes.
Mit 80 Prozent der Aktien fördert die KENFO-Stiftung Unternehmen in europäischen Ländern und den USA finanziell. Sie unterstützt damit multinationale Großunternehmen mit marktbeherrschenden Stellungen und gewieften Steuervermeidungspraktiken wie Apple, Google, Microsoft, Nestlé und Siemens, oder Unternehmen im Bergbau und Rohstoffbereich. Hierdurch werden ebenfalls soziale Ungleichheitsverhältnisse verschärft – und die ungerechte Wertschöpfung wird reproduziert. Im Globalen Süden werden auch in Zukunft Arbeitskräfte weiter ausgebeutet und niedrige Lohnkosten toleriert, damit in Deutschland hohe Gewinne – (zukünftig) für die „sichere“ Rente – erzielt werden können.
Kritische Anmerkungen zu den dargelegten Problemen finden sich in den Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichten des KENFO nicht. Die wenigen Beispiele aber zeigen bereits, dass die Investitionen des KENFO im Widerspruch zu sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitskriterien stehen, deren Einhaltung die Stiftung in der Öffentlichkeit intensiv verkündet.
Paradebeispiel für Greenwashing
Im Geschäftsbericht 2022 wird ausdrücklich auf ein „Reputationsrisiko“ hingewiesen, weshalb die Außendarstellung entsprechend „gesteuert“ werde; Intransparenz ist hier also offiziell Programm. Aus der Privatwirtschaft, die auf Profite abzielt und dafür ein gutes Image benötigt, sind solche Medienstrategien bekannt und kaum verwunderlich. An eine staatliche Stiftung, die demokratischen Prinzipien folgt und dem Gemeinwohl verpflichtet ist, müssen allerdings zwingend andere Ansprüche angelegt werden. Deshalb gilt es, die negativen Effekte dieser Anlagestrategien öffentlich zu debattieren – nur so ist eine demokratische Kontrolle der Stiftung möglich. Doch der erste Nachhaltigkeitsbericht, der für das Jahr 2022 vorgelegt wurde, ist ein Paradebeispiel für Greenwashing: Er offenbart, dass sich die soziale und ökologische Nachhaltigkeit des KENFO auf ein undurchsichtiges Geflecht an Definitionen stützt. So finden sich auf 60 Seiten, gebetsmühlenartig wiederholt, die ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance), der UN Global Compact und ein Verhaltenskodex sowie selbst definierte Nachhaltigkeitsregeln, als ob allein deren Nennung die Zielerreichung bestätigen würde.
Damit aber verschwimmen die Nachhaltigkeitskriterien und werden zur beliebig füllbaren Selbstauflage, die vor allem einem Zweck dienen: der Imagepflege in einem ansonsten höchst volatilen Marktumfeld. Selbst wenn die ökonomischen Risiken des Fonds als hinnehmbar angesehen werden, bleibt das Modell der Renditemaximierung sozial und ökologisch kontraproduktiv.
Lag es beim KENFO nahe, die bereits vorhandenen Rückstellungen der AKW-Betreiber anzulegen, um die Zwischen- und die Endlagerung in der Zukunft zu sichern, sieht es beim FDP-Generationenkapital gänzlich anders aus: Hier muss sich der Staat erst verschulden, in der Hoffnung, anschließend deutlich höhere Erträge an den Kapitalmärkten zu erzielen, als die Kreditfinanzierung kostet. Abgesehen davon, dass kein Anlageberater eine solch riskante Vorgehensweise empfehlen würde, ist noch völlig ungeklärt, ob und welchen Anlagestandards die Stiftung Generationenkapital folgen soll. Die FDP gibt an, mit der teilweise kapitalgedeckten Rente das deutsche Sozialsystem modernisieren und das umlagefinanzierte Rentensystem stabilisieren zu wollen. Das von ihr protegierte Generationenkapital ist aber vor allem ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Finanzialisierung – und damit Entpolitisierung – des Staates und seiner sozialen Fürsorgeaufgaben.
Deren Gelingen knüpft der dadurch schwindende Sozialstaat an völlig unsichere Finanzmarktentwicklungen. Künftige, längst nicht auszuschließende Finanzmarktkrisen werden damit im Zweifelsfall zum praktischen Sündenbock für die sozialpolitischen Verteilungsdebatten der Zukunft. Kommt es zum Crash, soll am Ende laut Lindner doch wieder der Staat einspringen. Hinzu kommt: An die Rentnerinnen und Rentner würde nur die Rendite des Fonds ausgeschüttet – sofern sie denn überhaupt anfällt – und somit nur ein niedriger Prozentsatz der Gesamtsumme.
Es gibt Alternativen
Durch den kapitalbildenden Staatsfonds soll auf Rentenkürzungen oder die Anhebung des Renteneintrittsalters verzichtet werden, so die Argumentation des Bundesfinanzministers. Dabei verschweigt er jedoch erstens, dass Prognosen, die weit in die Zukunft reichen, immer mit Unsicherheiten behaftet sind, und zweitens schon lange auch andere Finanzierungsmöglichkeiten diskutiert werden – etwa die eingangs schon erwähnte Steuer auf den Handel mit Finanztransaktionen oder eine höhere Vermögenssteuer.
Beides würde ganz ohne finanzielles Risiko für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen. Doch das ist nicht im Interesse der FDP, die ihre Klientelpolitik mit dem finanzmarktabhängigen Generationenkapital einmal mehr über das Gemeinwohl stellt – zulasten künftiger Generationen.