Wie das »Project 2025« den autoritären Umbau plant

Bild: Trumps Schatten beim RNC 2024 in Milwaukee, 15.7.2024 (IMAGO / ZUMA Press Wire / Carol Guzy)
Im März 2023 eröffnete Donald Trump seinen dritten Präsidentschaftswahlkampf in Waco, Texas. Seine Ankunft dort fiel auf den 30. Jahrestag der tödlichen Auseinandersetzung, die ganz in der Nähe zwischen schwer bewaffneten Anhängern der evangelikalen Sekte der Branch Davidians und der Bundespolizei stattgefunden hatte. Als Trump die Bühne betrat, gab er seiner Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2024 den Rahmen einer „letzten Schlacht“. In dieser Schlacht, so sagte er, „wird entweder der deep state Amerika zerstören oder wir zerstören den deep state“. Damit bloß niemand seine eigene Rolle in dieser Schlacht infrage stellt, verkündete er: „Ich bin euer Krieger, ich bin eure Gerechtigkeit… Für die, denen übel mitgespielt wurde, die betrogen wurden… ich bin eure Vergeltung.“
In seiner unzusammenhängenden Rede in einer Stadt, bei der viele immer noch an eine der gewalttätigsten regierungsfeindlichen Konfrontationen in der modernen amerikanischen Geschichte denken, unterstrich Trump seine Absicht, sich nach seiner Rückkehr ins Weiße Haus die ganze Macht der Regierung zunutze zu machen. Er würde sich auf Loyalisten in den Bundesbehörden stützen, um eine aggressive Agenda zu verfolgen, die unter anderem einschließen würde, das größte Entlassungsprogramm in der US-Geschichte zu genehmigen, das Justizsystem von „Ganoven und Verbrechern“ zu säubern (ein offensichtlicher Verweis auf Staatsanwälte und andere Justizbeamte, die sich Trumps Willen nicht beugen wollen), den Frauensport zu überwachen, um Transgender-Frauen von der Teilnahme auszuschließen, und den Schulunterricht zu zensieren, um bestimmte Lehren zu „race“ an Schulen zu verbieten. Diese Neuauflage von Trump ist sehr weit weg von der Version, die 2016 die Präsidentschaftswahl gewonnen hatte. Damals schworen Trump und die, die für ihn sprachen, den „Verwaltungsstaat zu zerlegen“, und so die Regierungsbehörden funktionsunfähig zu machen und sie zu verkleinern. Jetzt ist das Ziel ein grundsätzlich anderes.
Trump spielt nicht länger die Rolle des unverfrorenen Unternehmers, der sich über die lästige Einmischung von Regierungsvertretern ärgert, sondern die eines messianischen starken Mannes, der versessen darauf ist, die staatliche Macht voll auszuschöpfen, um die Gesellschaft und Kultur sowie die Gesetze der USA umzugestalten. Und das bedeutet, dass seine Beziehung zu den staatlichen Behörden radikal anders sein wird. Sein Plan, unterstützt von einem mächtigen Netzwerk rechtslastiger Anwälte und Aktivisten mit guten Chancen auf hohe Regierungsämter – sollte Trump im November gewinnen –, ist nicht, die Bundesbehörden und Polizeiapparate auszulöschen, sondern sie zu kolonisieren, sie zu radikalisieren und sie als Waffe einzusetzen, um den Willen des Oberbefehlshabers zu erfüllen. Statt den angeblichen deep state auszurotten, zielt Trump darauf, tatsächlich einen Staat im Staate zu errichten – mit dem Ziel, eine Regierung zu bilden, die mächtiger und parteiischer ist als jemals zuvor in der Geschichte des Landes.
Der tiefe und der flache Staat
Der böswillige, geheime amerikanische deep state, gegen den Trump und seine Unterstützer seit 2016 wüten, existiert tatsächlich nicht. Aber das wird Trump nicht davon abhalten, ihn einfach selbst zu erfinden. Wissenschaftler und Analysten nutzen den Begriff seit langem, um mächtige Ministerien und staatliche Versorgungsbetriebe zu beschreiben, deren Beamte sich festgesetzt haben und für die entweder zutrifft, dass sie ständig Auseinandersetzungen mit gewählten Führungen haben, und diese davon abhalten, demokratisch zu regieren, oder dass sie diese verhätscheln und verhindern, dass sie juristisch oder politisch zur Rechenschaft gezogen werden. Der Begriff hat überzeugend die Machtdynamiken in Ländern wie Ägypten, Pakistan und der Türkei beschrieben, wo die Streitkräfte die engmaschige Kontrolle über bürokratische und politische Systeme behielten, selbst wenn auf dem Papier zivile Kräfte die Verantwortung trugen. Wissenschaftler haben den Begriff nur selten auf die USA angewendet. Und das ist auch richtig so.
Die Vereinigten Staaten haben keinen deep state, keinen Staat im Staate, hauptsächlich weil die US-Bürokratie bekanntlich schwach ist. Die Bundesbehörden werden stark von den gewählten Präsidenten und den von ihnen ernannten politischen Führungskräften beherrscht. Es gibt keine staatlichen Versorgungsbetriebe von Bedeutung, und sieht man von der bemerkenswerten, aber praktisch steinzeitlichen Ausnahme des Bürgerkriegs ab, gibt es im Land keine Kultur oder Geschichte von Bürokraten, Militäroffizieren oder anderen Regierungsbeschäftigten, die in staatsgefährdende, umstürzlerische oder anderweitig antidemokratische Projekte verwickelt waren. Gründliche Beobachter der amerikanischen Verwaltungspraxis stellen eine andere Realität fest: Bürokratien in den USA sind chronisch unterfinanziert, leiden an Personalknappheit, werden oft vom Weißen Haus bis ins Detail gesteuert, und ihnen werden regelmäßig vom US-Kongress und den Gerichten Fesseln angelegt. Um im Bild des deep state zu bleiben, ist der amerikanische Staat weit weg davon, gefährlich „tief“ zu sein, sondern er kann eher als bedenklich „flach“ beschrieben werden. Dieser nahezu chronische Zustand geht auf aufeinanderfolgende Generationen von Amerikanern zurück, die den Staat mit großem Argwohn betrachten. Der Staat ist schon bei der Ausübung des Tagesgeschäfts überdehnt, geschweige denn, wenn von ihm erwartet wird, auf akute Krisen wie die Covid-19-Pandemie oder die Serie von Staatsstreichen im Sahel zu reagieren.
Dennoch schlug Trump rhetorisch auf diesen Staat ein, sowohl während seines ersten Präsidentschaftswahlkampfs als auch während seiner Amtszeit. In seinem 2016er Wahlkampf hatte er versprochen, den „Sumpf trockenzulegen“ und sein Stratege Steve Bannon nach der Amtseinführung geschworen, den „Verwaltungsstaat zu zerlegen“. Tatsächlich im Amt brauchte Trump allerdings einige Zeit, um sich die unbegründete Behauptung zu eigen zu machen, das Land, das er nun regierte, sei von einem perfiden deep state geknechtet. Selbst dann gab es nur Anspielungen und Gerede, und – vielleicht ebenso wichtig – das Gerede kam einem irgendwie bekannt vor: ein aggressiverer, grober Remix klassischer Parolen der Republikaner. Wirtschaftseliten alter Schule beschweren sich schon seit langem über überbordende staatliche Regeln, verspotten eierköpfige Beamte und versuchen, die US-Bürokratie zu schrumpfen, auszuhungern oder zahnlos zu machen. Und traditionelle Isolationisten beschweren sich ebenso lange über den Einfluss von Diplomaten, Offizieren und Vertretern der Rüstungsindustrie, die, so behaupten sie, das Land auf Kosten des Heimatschutzes in internationale Angelegenheiten verstricken. Trumps MAGA-Bewegung („Make America Great Again“) machte sich die Nostalgie für diese grundlegenden Prinzipien des amerikanischen Konservatismus der Mitte des letzten Jahrhunderts zunutze.
Von antistaatlicher Rhetorik zum autoritären Staatsumbau
Aus diesen Angriffen ergaben sich nur wenige bedeutsame Änderungen. In seiner ersten Amtszeit erreichte Trump kaum etwas bezüglich der Verkleinerung der Regierung, der Entschleunigung bei der Einführung neuer Regulierungen oder der Disziplinierung von Bundesbeamten, die sich der MAGA-Linie nicht fügten. (Eine ganze Reihe der rechtslastigen Richter, die er ernannte, haben Trumps Position allerdings übernommen und setzen den Kampf gegen die Bürokratie fort.) Schlimmer noch für Trump: Denjenigen Regierungsoffiziellen, die von ihm und seinen Vertretern als illoyal beleidigt und verleumdet wurden, wie Anthony Fauci, der Direktor des National Institute of Allergy and Infectious Diseases (unter anderem zuständig für die Forschung zu Infektionskrankheiten), und Mark Milley, der Vorsitzende des Generalstabs, gelang es regelmäßig, ihn zum Wohl der Nation auszumanövrieren, während sie darauf achteten, ihn öffentlich nicht bloßzustellen.
Erfolgreich war Trump allerdings darin, den deep state als Gegner heraufzubeschwören. Sehr viele seiner Unterstützer fanden seine rhetorischen Angriffe gegen Regierungsbeschäftigte und -institutionen außerordentlich überzeugend. Im Ergebnis akzeptieren viele Amerikaner nun Trumps Behauptung, dass Regierungsbeamte unamerikanisch, inkompetent und korrupt seien. Die Macht dieser Verschwörungserzählungen schadet dem traditionellen Engagement des Landes für Wissenschaft, nationale Sicherheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Denn ohne diese Fantasiegebilde würde es Trump sehr viel schwerer fallen, die belastenden Ergebnisse der Untersuchungen des Sonderbeauftragten zu möglichen Absprachen zwischen seinem Lager und dem Kreml während des Wahlkampfs 2016 abzuwehren; schwerer, die strafrechtliche Verfolgung zentraler Erfüllungsgehilfen zu verkomplizieren; schwerer, die eindrucksvolle Gruppe von Diplomaten und Offizieren zu diskreditieren, deren belastende Aussagen 2019 zum ersten Amtsenthebungsverfahren gegen Trump führten (wegen der versuchten Erpressung politischer Kooperation der ukrainischen Regierung); und schwerer, 2020 Wut gegen Vertreter der Gesundheitsbehörden zu schüren, deren Maßnahmen gegen Covid-19 politisch ungelegen kamen, gegen Lehrer und Beamte, die angeblich Kampagnen für eine „woke Indoktrinierung“ führten und schließlich gegen Wahlleiter, die Joe Bidens Wahlsieg bestätigten.
Trump und denjenigen, die er ermächtigt und ermutigt hat, ist es bereits gelungen, viele fähige Beschäftigte des öffentlichen Dienstes aus allen staatlichen Ebenen zu vertreiben. Bereits 2017 kündigte eine Rekordanzahl von hochrangigen Bundesbeamten und zum Zeitpunkt der Amtseinführung Bidens 2021 waren mehrere Schlüsselbehörden buchstäblich dezimiert. Inmitten dieses Versiegens von Talent und Erfahrung, der den amerikanischen Staat nur weiter verflacht hat, sind viele derjenigen, die immer noch täglich Dienst tun, nicht nur dabei, für den Fall, dass Trump im November gewinnt, Exitstrategien zu entwickeln, sondern sie wappnen sich auch gegen mögliche Vergeltungsmaßnahmen.
Der Kandidat verfügt bereits über eine Blaupause für eine zukünftige Regierung: „Project 2025: Mandate for Leadership“, ein über 900 Seiten starkes Manifest, veröffentlicht von der Heritage Foundation. Anders als der Trump von 2017, der buchstäblich improvisierte (zu Beginn seiner Präsidentschaft von einer Mischung aus Spießgesellen und Mainstream-Republikanern umgeben), wird der Trump von 2025 sehr viel besser darauf vorbereitet sein, vom ersten Tag an eine besonders scharfe Agenda voranzutreiben. Denn inzwischen hat Trump die Partei nach seinem Bilde erneuert (während er diejenigen, die er nun als RINOs bezeichnet – Republikaner nur dem Namen nach –, verbannt hat) und er verfügt über Allianzen mit geschickten und entschlossenen rechten Ideologen aus Thinktanks und Lobbyorganisationen wie der Heritage Foundation, dem Manhattan Institute, dem Claremont Institute und der Alliance Defending Freedom. So kann sich Trump jetzt darauf vorbereiten, alte Rechnungen zu begleichen, die moderne Bürgerrechtsrevolution rückgängig zu machen und die politische, kulturelle und ökonomische Vorherrschaft weißer, christlicher Männer wiederherzustellen. Ironischerweise muss Trump zur Erreichung seiner und der Ziele seiner Verbündeten genau die Schimäre zum Leben erwecken, die er so unermüdlich angefeindet hat: eine mächtige Bürokratie, die einer Partei und nicht dem Land verpflichtet ist.
Zuerst will Trump vor allem die öffentlichen Bediensteten hinausdrängen, die gezeigt haben, dass sie der professionellen öffentlichen Verwaltung und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet sind. Die Biden-Regierung hat vor kurzem Regeln erlassen, die Karrierebeamte davor schützen, nachträglich als jederzeit kündbare Beschäftigte eingeordnet zu werden, und zwar genau aus dem Grund, Trumps Pläne zu vereiteln, auf einen Schlag zehn- oder sogar hunderttausende Bundesbeschäftigte zu entlassen. Doch es bleiben viele Möglichkeiten für eine MAGA-Regierung, die Bürokratie zu behindern und später zu säubern. Das Project 2025 empfiehlt, im Detail unterschiedlich, Wege, wie man gegenüber leitenden Beamten größere politische Kontrolle ausüben kann. Diese leitenden Beamten würden dann die anhängigen Prozesse für Leistungsüberprüfungen dazu benutzen, unliebsame Beschäftigte schneller und aggressiver zu entfernen. Am Ende haben in einer staatlichen Bürokratie, die nicht nach Profiten und Verlusten operiert, Führungskräfte bei Leistungsüberprüfungen einen erheblichen Spielraum zu entscheiden, ob Arbeiten zufriedenstellend erledigt worden sind – und diesen Spielraum könnten sie wie im „spoils system“[1] des 19. Jahrhunderts dazu nutzen, den Beschäftigten mit deutlichen Worten nahezulegen, dass es gewinnbringend sei, die politischen Präferenzen des Weißen Hauses zu internalisieren und zu befördern.
Jede Maßnahme, die auf individuell Beschäftigte abzielt, würde die politische Kultur einer Behörde nicht sofort verändern. Die rechten Aktivisten und Trump-Verbündeten wollen daher, dass eine zweite Trump-Regierung die gesetzliche Grundlage dafür erlangt, dass der Präsident den Regierungseinrichtungen, die man für besonders feindselig gegenüber der MAGA-Politik hält, ihre regulativen Möglichkeiten oder ihre Durchsetzungsmacht entzieht und sie anderen, aufgeschlosseneren Abteilungen überträgt.
Der Angriff auf unabhängige Bundesbehörden
Um die staatliche Macht weiter in den Händen des Präsidenten zu konzentrieren, könnte sich Trump über das Justizministerium auf die Seite der Kläger stellen, die infrage stellen, dass die sogenannten unabhängigen Bundesbehörden verfassungskonform sind – insbesondere haben sie dabei die für Finanzgeschäfte zuständige Securities and Exchange Commission, die für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz zuständige Federal Trade Commission und die für Rundfunk, Satellit und Kabel zuständige Federal Communications Commission im Visier. Angesichts der derzeitigen Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofs und seiner jüngsten Rechtsprechung könnte dort eine Mehrheit urteilen, dass diese Behörden der Verfassung widersprechen – gerade weil sie dem Zugriff des Präsidenten entzogen sind –, und bestimmen, dass zukünftig die bisher unabhängigen Kommissare auf Geheiß des Präsidenten agieren müssen. Entscheidungen dieser Art könnten den größten Machtzuwachs für das Amt des Präsidenten seit dem New Deal bewirken. In einem weiteren Schritt hin zu einer wahrhaften Imperator-Präsidentschaft könnten Trumps Berater Gesetzen Priorität einräumen, die dem Präsidenten erlauben, FBI-Direktoren leichter zu entlassen.
Einer der Gründe, warum die MAGA-Republikaner so sehr darauf beharren, die Macht des Präsidenten zu maximieren, ist, dass sie einen kulturellen Wandlungsprozess auslösen wollen, der nur als christlich-nationalistisch orientiert beschrieben werden kann. Um diese Agenda voranzutreiben, ist Trumps Team sehr darauf erpicht, sofort eine Phalanx von politisch ernannten Beamten zu installieren. Jedes Team, das den Wechsel des Präsidenten orchestriert, kämpft damit, personell voll ausgestattet zu sein, und verschwendet deshalb in der Honeymoonphase zu Beginn einer Präsidentschaft wertvolle Zeit und politisches Kapital. Das war sicherlich die Erfahrung, die Trump beim ersten Mal machen musste, als es Jahre dauerte, bis gleichgesinnte Beamte in Schlüsselpositionen in den Bundesbehörden und im Weißen Haus installiert werden konnten – und selbst dann verblieben einige aus der vorherigen Regierung übernommene Beamte, die gut positioniert waren, um seine abscheulichsten Impulse auszubremsen, einschließlich seines Versuchs, das Justizministerium anzuweisen, das Wahlergebnis von 2020 zu kippen.
Es ist diesmal viel dringlicher, eine enge ideologische Nähe zwischen dem Präsidenten und den von ihm ernannten Beamten sicherzustellen. Anders als 2017 verfolgt Trump nun Ziele, die gesellschaftlich einen radikalen Wandel bedeuten würden und die politisch unpopulär sind – so gut wie alle seine charakteristischen politischen Programmpunkte schneiden in Umfragen extrem schlecht ab. Mindestens seit Dezember 2023 rekrutieren und testen die Heritage Foundation und um die 80 andere rechte Gruppen Bewerber für eine zweite Trump-Präsidentschaft. Mittels einer zentralen Bewerbungsplattform können potenzielle Beamte ihr Interesse bekunden sowie ihre Befähigung zeigen, indem sie eine Reihe von Fragen beantworten, die ihr ideologisches Bekenntnis, ihre politischen Präferenzen und ihre politischen Einflüsse testen. Kevin Roberts, Präsident der Heritage Foundation, formulierte es gegenüber der „New York Times“ so: Seine Organisation sei „darauf verpflichtet, einen großen Pool patriotischer Amerikaner zu rekrutieren und auszubilden, die bereit sind, ihrem Land vom ersten Tag an zu dienen“.
Die MAGA-Bewegung braucht eine robuste, extrem loyale Bürokratie, um ihre breit angelegte, unpopuläre, aggressive und in vielen Fällen rechtlich fragwürdige regulative Agenda umzusetzen. Tatsächlich wäre nur ein gegenüber den Gesetzen und den politischen Institutionen außerhalb des Weißen Hauses immunisierter deep state überhaupt willens und in der Lage, sie durchzuführen. Solch ein deep state wäre darauf vorbereitet, massenhafte Entlassungen durchzuführen, wie Trump sie verlangt, die politischen Rivalen des Präsidenten juristisch zu verfolgen, an der Südgrenze der USA eine Mauer zu bauen und dann zu überwachen, das Militär zu mobilisieren, um die Kriminalität in amerikanischen Städten zu bekämpfen, und nicht nur den Zugang zu derzeit legalen und sicheren Abtreibungsmedikamenten einzuschränken, sondern auch den Zugang zu ähnlich legalen und sicheren Verhütungsmedikamenten. Hinzu kommt, dass Trumps Regierungspersonal dazu bereit und in der Lage sein muss, die medizinischen Daten, die die einzelnen Bundesstaaten zu Abtreibungen erfassen, genau zu überprüfen – manche von Trumps Beratern fordern nämlich, dass diese Daten mit Staaten geteilt werden sollen, die von Republikanern regiert werden, damit diese gegen den „Abtreibungstourismus“ vorgehen können.
Der tiefe Staat à la MAGA
Die Verankerung einer tribalen politischen Loyalität braucht selbstverständlich Zeit, insbesondere weil eine solche höchst parteiische Verankerung nicht in die DNA der amerikanischen Bürokratie eingeschrieben ist. Im Gegenteil: Immer wieder haben öffentliche Bedienstete in den Vereinigten Staaten bewiesen, dass sie treue und einfallsreiche Treuhänder des amerikanischen Volkes und der in dessen Namen verabschiedeten Gesetze sind. Das ist der Hauptgrund dafür, dass Trump und seine Verbündeten so versessen darauf waren, alle öffentlichen Bediensteten zu jederzeit fristlos kündbaren Beschäftigten zu machen – und auch der Grund dafür, dass die vorsorgliche Maßnahme der Biden-Regierung, jede solche Neueinstufung zu blockieren, von denjenigen, die wegen der Aussichten auf eine zweite Präsidentschaft Trumps besorgt sind, so sehr begrüßt wurde.
Wenn es ihnen nicht gelingt, im US-Kongress neue Gesetze zu verabschieden, um die neuen Regeln der Biden-Regierung zu ersetzen, dann kann es sein, dass Trump und seine Verbündeten den deep state ihrer Träume nicht aufbauen können – jedenfalls nicht in vier Jahren. Die MAGA-Republikaner brauchen mehr Zeit. Deshalb arbeiten Trump und seine Verbündeten daran, zukünftige Wahlsiege der Demokraten weniger wahrscheinlich zu machen. Statt zu versuchen, das Präsidentenamt durch aufrichtige Versuche zu halten, die Wähler politisch zu überzeugen, verlangt das Project 2025, dass die US-Militärbehörde für elektronische Kriegsführung und Cyberabwehr (US Cyber Command) seine „Teilnahme an den Bemühungen des Bundes, die US-Wahlen zu ‚festigen‘“ beendet. Das Regierungsmanifest der Heritage Foundation schlägt darüber hinaus vor, dem Heimatschutzministerium (Department of Homeland Security) seine Zuständigkeit für die Identifikation von Falschinformation und Desinformation in den sozialen Medien zu entziehen. Nicht überprüfte Falschinformations- und Desinformationskampagnen tendieren dazu, MAGA-Kandidaten und -Politik zu begünstigen.
Ein wirklich weitreichender deep state, wie er traditionell verstanden wird, umfasst mehr als nur die Beschäftigten der Bundesregierung. Loyale Unterstützer in lokalen Regierungseinheiten und privaten Institutionen verstärken die Kontrolle einer Gruppe über die nationale Politik zusätzlich. Schon bald nach dem Aufstand am 6. Januar 2021 begannen rechte Organisationen, denen sehr klar war, dass Wahlen in den USA dezentralisiert durchgeführt werden, loyale Parteigänger zu rekrutieren und auszubilden, damit sie sich auf Stellen und Freiwilligenämter bei den Kreiswahlämtern bewerben können. Rechte Spender haben Millionen US-Dollar in die Unterstützung dieser Anstrengungen investiert, die in einem Moment alarmierender Personalnot stattfinden. Angesichts der vielen, fast ausschließlich von rechts kommenden Kampagnen politischer Gewalt und Einschüchterung gegen Beschäftigte von Wahlämtern im Jahr 2020 und wieder im Jahr 2022, waren Rücktritte von Demokraten und Mainstream-Republikanern der Normalfall – und es hat sich als ein hartes Stück Arbeit erwiesen, ähnlich denkende Bürger als Ersatz zu gewinnen. Eine ähnliche Dynamik gibt es bei der Besetzung von Schulbehörden mit christlich-nationalistischen Kandidaten, die nicht mit inklusiven akademischen und außerschulischen Aktivitäten einverstanden sind. Mehr Parteigänger auf der lokalen Ebene zu haben, verstärkt nicht nur die Konformität mit der Art rechter Bundesrichtlinien, wie sie im Project 2025 empfohlen werden, sondern hilft auch dabei, zukünftige Führungskräfte für bundesstaatliche und nationale Politik zu trainieren.
Kann die Demokratie eine zweite Trump-Präsidentschaft überleben?
Die Anziehungskraft Trumps hält eine ansonsten sinkende Republikanische Partei über Wasser. Sie wird von unpopulären politischen Maßnahmen, Skandalen, Strafanzeigen und Inkompetenz heruntergezogen. Unter diesen Bedingungen wäre es keine Großsprecherei, wenn Trump behauptete: „Nach mir die Sintflut“. Und genau deshalb ist seine Institutionalisierung eines deep state so entscheidend und alarmierend. Nur ein antidemokratischer institutioneller Apparat kann den Einfluss und die Macht dieser zunehmend unattraktiven politischen Bewegung bewahren, die einen schnell kleiner werdenden Ausschnitt der amerikanischen Bevölkerung anspricht.
Es bleibt noch Zeit, Trump zu stoppen, bevor er das Land weiter Richtung Autoritarismus herunterzieht – aber nicht viel. Das amerikanische Volk hat in diesem November die Gelegenheit, ihn und seine Agenda zu bezwingen. Aber wenn wir annehmen, dass sich der verurteilte Straftäter, gegen den zweimal ein Amtsenthebungsverfahren eröffnet wurde, durchsetzt, dann wird es äußerst schwierig werden, die Verwirklichung seines deep state zu vereiteln, geschweige denn die politischen Maßnahmen, die von ihm ausgehen werden. Wegen einer MAGA-freundlichen Mehrheit im Obersten Gerichtshof, Dutzenden von Verbündeten in den unteren Bundesgerichten und auch im Kongress, in den Bundesstaatsparlamenten und den Gouverneursvillen sowie einer beträchtlichen Basis von kultisch ergebenen und schwer bewaffneten politischen Unterstützern, wird Trump erheblichen Spielraum und jede Menge Förderer haben.
Um den Schaden, den sie anrichten können, zu begrenzen, werden außergewöhnliche Wachsamkeit, Reflexe und peripheres Sehen nötig sein. Es wird notwendig sein, dass Zentristen, Linksliberale und Linke sich koordinieren. Und es braucht eine enorme Entschlossenheit, insbesondere von den von Demokraten regierten blue states, die all ihre politische und ökonomische Macht aufbringen müssen, um die Transformation der nationalen Regierung zu bekämpfen und ihre Bürger vor ihr zu schützen. Der wahre Test des „American exceptionalism“, der Einzigartigkeit der USA, wird sein, ob die Demokratie des Landes gegen alle diese Widrigkeiten überleben kann.
Der Text erschien zuerst auf Englisch unter dem Titel „A Deep State of His Own“ im Juni 2024 in „Foreign Affairs“. Die Übersetzung stammt von Thomas Greven.
[1] Damals wurden sehr viel mehr staatliche Beschäftigte von den gewählten Regierungen ernannt als heute üblich. Dieses Patronagesystem wurde im Zuge der progressiven Reformen um die Jahrhundertwende 1900 durch eine Professionalisierung des öffentlichen Dienstes abgelöst. – D. Red.