
Bild: Frances Stonor Saunders, Der Koffer. Sechs Versuche, eine Grenze zu überqueren, Cover: Carl Hanser Verlag
„Heimat ist der Ort, an den man heimkehrt, wo man den Koffer auspackt und die Geschenke verteilt, die man mitgebracht hat, die Kleidungsstücke wieder in die Schubladen räumt und die Koffer zurück in den Schrank.“ So einfach ist das mit dem Koffer und der Heimat – wenn man eine hat. Was aber, wenn man sich irgendwie heimatlos fühlt, so wie Frances Stonor Saunders?
Die Historikerin hat mit „Der Koffer. Sechs Versuche, eine Grenze zu überqueren“ ein sehr persönliches Buch vorgelegt, in dem es um einen Koffer geht, den sie nach dem Tod ihres Vaters erhalten hat. Sie hat ihn viele Jahre auf verschiedenen Dachböden verstaut, immer in der Hoffnung, dass er ihr irgendwann ihren Vater näherbringt, der ihr „im Leben ein Unerkennbarer war“.
Das ist der emotionale Motor hinter diesem Buch: der Wunsch nach Versöhnung mit dem Vater, der sich von seiner Frau trennte, als die Autorin neun war, und der dement wurde, als sie Anfang 20 war. Doch mindestens so sehr wie um die Familiengeschichte geht es um deren Verschränkung mit der großen, der nationalen und internationalen Geschichte. Ausdruck dieser Verschränkung sind zwei Geburten: Die erste ist jene von Großrumänien im Juni 1920. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs eher unbedeutend, ging das Land aus der Friedenskonferenz von Versailles als fünftgrößter Staat in Europa hervor – Saunders spricht von einem „komplizierten Koitus“.