
Bild: Elon Musk bei einem Pressetermin im Weißen Haus, 11.2.2025 (IMAGO / UPI Photo)
Ein Staatsstreich in einem Land, das zu Deutschlands wichtigsten Verbündeten zählt und obendrein die größte Volkswirtschaft der Welt ist, sollte eigentlich Schlagzeilen produzieren. Doch in den Vereinigten Staaten von Amerika reißt ein nicht gewählter Oligarch unermessliche Macht an sich, und deutsche Medien berichten weitgehend, als sei das alles politics as usual.[1] Elon Musk, der reichste Mensch der Welt, ist zwar einer von Präsident Donald Trump engsten Beratern, aber kein offizielles Regierungsmitglied. Und der Name des Gremiums, dem Musk vorsteht, „Department of Government Efficiency“ (DOGE), klingt zwar nach einer offiziellen Bundesbehörde, es ist aber keine. Dieser Mann, der sich seine Nähe zum Weißen Haus durch 280 Mio. US-Dollar an Wahlkampfspenden an Trump für seine Verhältnisse vergleichsweise günstig erworben hat – sein Vermögen wird auf mehr als 400 Mrd. Dollar geschätzt –, maßt sich eine Rolle an, die durch die US-Verfassung in keiner Weise gedeckt ist. Dass ihn Trump, um diesen gesetzlosen Status zu kaschieren, zum „Special Government Employee“ (Sonderangestellter der Regierung) ernannte, ändert daran nicht viel.
Stellen wir uns kurz vor, wie die Berichterstattung aussehen würde, wenn es um ein anderes Land ginge. Oder, wie es der Jurist und Gerichtsreporter Mark Joseph Stern auf Bluesky formuliert: „Wie nennt man es, wenn ein unberechenbarer Milliardär, den niemand gewählt hat, in der Bundesregierung wütet, Beamte entlässt, die funktionale Kontrolle über Billionen von Dollar an sich reißt und versucht, ganze Behörden zu zerstören – und das alles unter Verletzung des Gesetzes?“ Seine Kollegin, die Juristin und Supreme-Court-Expertin Dahlia Lithwick, hält die Antwort kurz: „Nennt es beim Namen.“[2] Wir haben es hier mit einem Staatsstreich zu tun. Einem administrativen Staatsstreich. „Unsere Verfassung sieht drei gleichberechtigte Zweige des Staates vor – Exekutive, Legislative und Judikative –, doch Musk tut mit Trumps Zustimmung so, als ob die Exekutive über die anderen beiden Zweige herrschen würde“, erklärt Stern. „Trump und Musk setzen sich über den Kongress hinweg und setzen ordnungsgemäß erlassene Gesetze und Bewilligungen außer Kraft. Wenn das keine Verfassungskrise ist, wüsste ich nicht, was eine sein sollte.“[3]
Das Weiße Haus lässt sich dabei bisher auch von Gerichten kaum irritieren: Trump hatte angeordnet, die Auszahlung von Bundeszuschüssen in Höhe von mehreren Bill. Dollar auszusetzen. Ein Bundesgericht ordnete am 3. Februar an, die gesetzlich zugesicherten Zuschüsse auszuzahlen, aber die Trump-Regierung ging nicht nur in Berufung, sondern sie ignorierte die Anordnung einfach und hält weiter Zahlungen zurück.
In der Zwischenzeit gehen Musk und sein Team weitere Staatsausgaben durch, um diejenigen zu streichen, die ihnen nicht gefallen. Dazu analysieren Musks Leute aber nicht etwa Haushaltsposten, sondern haben sich gleich den Zugang zum zentralen Zahlungssystem der US-Regierung verschafft. Um das Ausmaß von Musks illegalem Griff nach der Macht zu begreifen, muss man wissen, dass bisher nur ein sehr kleiner Kreis nicht-politischer Bundesbeamter Zugriff auf die hochsensiblen Daten dieses Systems hatte. Jährlich fließen sechs Bill. Dollar durch diese streng gehüteten Kanäle an Menschen und Unternehmen im ganzen Land, die „Washington Post“ spricht von „zehn, wenn nicht hunderten Millionen Menschen“, die auf diesem Wege Zahlungen erhalten. Betroffen sind „Sozialversicherungs- und Medicare-Leistungen, Gehälter für Bundesbedienstete, Zahlungen an Auftragnehmer der Regierung und Empfänger von Zuschüssen sowie Steuererstattungen, neben Zehntausenden anderen Funktionen“.[4] Der bisherige Chef der zuständigen Abteilung wollte offenbar den illegalen Zugriff von Musk und dessen Team auf diese Daten verhindern. Das gelang ihm nicht, er trat zurück.
Musks Vorgehen ist nicht nur ein Skandal, sondern auch eine massive Gefahr für die nationale Sicherheit. Denn die Berichte, dass Musks Mitarbeitende Regierungsdaten auf private Server heruntergeladen haben sollen, sind höchst beunruhigend, so der Politikwissenschaftler Jonathan Ladd: „Die wohl größte Verletzung der nationalen Sicherheit in der Geschichte der USA. Privatangestellte, die Personaldaten aller Bundesbediensteten sowie Steuer- und Sozialversicherungsdaten aller Amerikaner auf private, ungesicherte Server herunterladen. Unnötig zu erwähnen, dass das völlig illegal ist, und mit hohen Gefängnisstrafen geahndet wird.“[5] Das scheint Musks Leute nicht zu schrecken. Sie haben Zugriff auf die hochsensiblen Daten von Millionen Amerikaner:innen, lehnen es ab, sich in der Kommunikation mit Regierungsangestellten zu identifizieren, und sollen private E-Mailadressen nutzen.[6] Irgendwo lacht Hillary Clinton müde („but her emails!“)[7].
Alan Butler, Jurist und Chef des Electronic Privacy Information Centers, weist darauf hin, dass Musks Zugriff auf die Steuerdaten besonders gravierend ist. Denn Steuererstattungen sind unter Abschnitt 6103 des Internal Revenue Code mit strenger Geheimhaltung geschützt – aus gutem Grund: Richard Nixons Regierung hatte versucht, Steuerdaten gegen ihre politischen Gegner einzusetzen, danach wurde der Datenschutz verstärkt. Butler warnt: „Selbst wenn der Präsident einen Richterkandidaten prüft, hat die Exekutive nur begrenzten Zugang zu Daten seiner Steuererklärung. Die Vorstellung, dass wir irgendeinem College-Studenten von der Straße, der keinen Ausweis und keine Freigabe hat, Zugang gewähren, ist verrückt.“[8] Dennoch passiert es. „Musk bricht so viele Gesetze auf einmal, dass es schwer ist, den Überblick zu behalten“, sagt Stern. Unklar sei auch, ob DOGE „die Bundesgesetze zur Aufbewahrung von Unterlagen und zur Transparenz einhält oder einfach außerhalb des Gesetzes arbeitet“.
Mit Klappbetten, aber ohne Qualifikation unterwegs
Bei einem Putsch oder Staatsstreich denken wohl die meisten an Panzer und Armeefahrzeuge auf der Straße, an Soldaten, die den Sitz der politischen Macht des Landes stürmen. Nun sind in Washington, D.C., keine Cybertrucks vorgefahren, aus denen uniformierte Truppen gesprungen wären, um mit Waffengewalt die Macht an sich zu reißen – aber das ist im Jahr 2025 auch nicht mehr nötig, wie der Historiker Timothy Snyder schreibt: Staatsstreiche brauchten heute keine Panzer mehr, es reichten externe Laufwerke, um einen digitalen Coup durchzuführen. Statt der Sturmtruppen, wie wir sie aus Geschichtsbüchern kennen, seien es Musk-Mitarbeiter, junge, online radikalisierte Männer in Zivilkleidung, bewaffnet mit USB-Drives, die die Kontrolle über sämtliche Regierungsbehörden an sich reißen wollen. Snyder beschreibt, was gerade geschieht, folgendermaßen: „Mit Fachjargon und vagen Hinweisen auf Befehle von oben verschaffen sie sich Zugang zu den grundlegenden Computersystemen der Bundesregierung. Anschließend gewähren sie ihrem obersten Führer Zugang zu Informationen und die Befugnis, alle staatlichen Zahlungen zu starten und zu stoppen. Dieser Putsch findet tatsächlich statt. Und wenn wir ihn nicht als das erkennen, was er ist, könnte er Erfolg haben.“[9]
Die jungen Männer, die für Musk an vorderster Front für diesen Putsch arbeiten, gehören nicht nur keiner Bundesbehörde an, haben keine Sicherheitsfreigaben, sondern auch keine Qualifikationen für ihren Job: Mitarbeitende des Finanzministeriums schildern, dass Musk und seine sehr jungen Mitarbeiter – überwiegend scheinen sie Anfang 20 zu sein, online radikalisiert und rechtsextrem – buchstäblich ins Finanzministerium eingefallen seien. „Wired“ berichtet von „Ingenieuren zwischen 19 und 24 Jahren“ ohne entsprechende Berufserfahrung in Bundesbehörden oder der Regierung, die teils Klappbetten mitgebracht hätten, während sie ihren administrativen Coup durchführten.[10] Ein 25-jähriger Musk-Mitarbeiter namens Marko Elez, der vorher in Musks Firmen gearbeitet hatte, soll nicht nur Zugang zum Zahlungssystem haben, sondern auch die Berechtigung, selbst Codes zu schreiben, und zwar „für zwei der sensibelsten Systeme der US-Regierung“. Diese Systeme, die auf einem sicheren Großrechner untergebracht sind, „steuern auf granularer Ebene die Zahlungen der Regierung, die insgesamt mehr als ein Fünftel der US-Wirtschaft ausmachen“.[11] Dass Musks Team „nur“ Leseberechtigung habe, wie die Trump-Regierung behauptet, scheint also nicht zu stimmen.[12] Diese Behauptung dürfte eher dazu dienen, den langsam anrollenden Ansturm der Empörung über Musks Feldzug abzuschwächen. Denn es regt sich mittlerweile Widerstand.[13]
Musk und sein Team setzten derweil ihren Raubzug durch die US-Behörden fort: Sie haben auch das Office of Personnel Management (OPM), das Amt für Personalverwaltung der Bundesbehörden, gekapert. Dabei stellten sie Sofabetten im fünften Stock der Behörde auf, wo auch das Büro des OPM-Chefs angesiedelt ist, um rund um die Uhr an der Übernahme arbeiten zu können – wie schon Musk, als er 2022 Twitter übernommen hatte. Nur sichert er sich diesmal nicht ein Unternehmen, das er gekauft hat, sondern eine Regierungsbehörde. Musks Team habe Zugang zu den OPM-Datenbanken erhalten, hochrangigen Mitarbeiter:innen der Behörde wurde dagegen der Zugang entzogen.[14] „Es fühlt sich an wie eine feindliche Übernahme“, sagte ein OPM-Mitarbeiter.[15] Es fühlt sich nicht nur so an – es ist eine feindliche Übernahme.
Trotzdem las man seit Trumps Wahlsieg hierzulande davon, er plane, den „Staat zu verschlanken“ („Spiegel“) und wolle den „Abbau überflüssiger Bürokratie“ („Tagesschau“).[16] Damit übernehmen deutsche Medien einfach den Orwellschen Neusprech von Musk und Trump, anstatt die reale Lage klar zu benennen: eine außer Rand und Band geratene Exekutive, die sich über den Kongress stellt und glaubt, dass Gesetz und Verfassung für sie nicht gelten. Die Bildungsstätte Anne Frank warnt vor genau diesem Mechanismus – der Normalisierung ungeheuerlicher, antidemokratischer, autoritärer Maßnahmen: „Völlig beispiellose, destruktive Politik wird nicht als solche benannt und nicht auf ihre Konsequenzen hinterfragt“, so die Bildungsstätte. Wir seien Zeug:innen, „wie die Medien die Zerstörung demokratischer Einrichtungen durch die Trump-Musk-Regierung nicht als solche bezeichnen“, wie bei Berichten über die „Auflösung“ von USAID – „ohne darauf hinzuweisen, dass dieser Schritt illegal, verfassungswidrig und eine tödliche Bedrohung zehntausender HIV-Erkrankter ist“.[17]
Tatsächlich erhalten mit dem HI-Virus infizierte Menschen in mehreren afrikanischen Ländern von einem Tag auf den anderen keine Medikamente mehr. Und das ist nur eine Folge der von Musk rabiat eingeleiteten Zerschlagung von USAID – der US-Behörde, die bisher der weltweit größte Geber für humanitäre und Entwicklungshilfe war. Die angekündigte Auflösung ist in dieser Form illegal, denn die Kompetenz dazu liegt beim Kongress. USAID wurde zwar 1961 per Executive Order gegründet, aber 1998 vom Kongress als unabhängige Behörde innerhalb der Exekutive etabliert – was bedeutet, dass nur der Kongress sie schließen kann, nicht der Präsident.[18] Musk ist das egal, er tut weiter alles, um Zahlungen an Organisationen, die nicht mit seinen Vorstellungen übereinstimmen, zu stoppen: Die Website der Behörde ist nicht mehr erreichbar, hochrangige Mitarbeitende wurden gefeuert oder beurlaubt, hunderte internationale Mitarbeiter:innen entlassen.[19] Kurz: Es herrscht Chaos. Dabei bedient sich Musk nicht einmal mehr des Vorwands, dass er den Regierungsapparat „effizienter“ machen solle. Vielmehr beschimpft er USAID als „kriminelle Organisation“, die von „radikal linken Globalisten“ geleitet werde und daher zerstört werden müsse.[20]
Die Theorie exekutiver Allmacht
Ganz überraschend kommt der Versuch von Musk und Trump nicht, die Macht über die Bundeskasse an sich zu reißen und selbst vom Kongress durch Gesetze geregelte Ausgaben zu stoppen. Schon die Architekten von „Project 2025“ hatten deutlich gemacht, dass der Präsident die Macht haben sollte, Mittel einzufrieren, die der Kongress bereits verteilt hat.[21] Einer der Architekten von Project 2025, der radikale christliche Nationalist Russell Vought – den Trump jetzt ausgewählt hat, um das Office of Budget and Management zu leiten –, glaubt beispielsweise, dass der Präsident dieses Recht zum „impoundment“ (Beschlagnahme) habe, das heißt zur Zurückhaltung von finanziellen Mitteln, die der Kongress bereits genehmigt hat. Vought will damit die Geschichte zurückdrehen, denn auch in dieser Frage mussten die Abgeordneten schon in der Vergangenheit nachjustieren – nachdem Nixon einen solchen Mechanismus missbraucht hatte, schränkte der Kongress diese präsidiale Macht 1974 enorm ein.[22]
Die juristischen Köpfe von MAGA 2.0 stützen ihre autoritären Taten und Fantasien auf die „Unitary Executive Theory“ – eine Form von rechtsreaktionärem „Quatschjura“, mit dem der Exekutive – und allen voran dem Präsidenten – quasi königliche Privilegien eingeräumt werden sollen.[23] In den Worten von Mark Joseph Stern sieht diese Theorie den Präsidenten als „gewählten Autokraten“: „Sie behauptet, dass die Verfassung dem Präsidenten die gesamte ‚Exekutivgewalt‘ überträgt und dass der Präsident daher die absolute Kontrolle über die gesamte Exekutive hat.“ Dazu gehöre auch die Befugnis, beliebig Staatsangestellte zu entlassen. Radikalere Versionen der Theorie besagen auch, dass der Präsident einseitig die Befugnis hat, vom Kongress bewilligte Mittel zurückzuhalten.
Von seriösen Jurist:innen wird diese Theorie abgelehnt – deren Prämisse sei „zutiefst fehlerhaft“, so Stern, und ihre Annahmen ließen sich nicht aus dem Verfassungstext ableiten. In der Verfassung sei zwar festgelegt, „welche Beamten der Präsident ernennen kann, aber nicht, dass er sie alle nach Belieben absetzen darf“. Kurz: Die Unitary Executive Theory ist ein Vorwand der amerikanischen politischen Rechten, ihre Ziele auch unabhängig von lästigen Kontrollinstrumenten wie dem Kongress durchzusetzen.[24] Lange wurde sie auch von Gerichten nicht ernst genommen – das hat sich mit Trumps Richterernennungen für den Supreme Court in seiner ersten Amtszeit geändert.
In den USA warnen auch vorsichtig formulierende Verfassungsrechtler:innen und Jurist:innen davor, dass Musks Team als „Einsatzkommando“ agiere „und sich dabei den üblichen Behördenregeln und verfassungsmäßigen Kontrollen der Exekutivgewalt“ widersetze. Blake Emerson, Professor für Verfassungsrecht an der UCLA School of Law, sagte der „Washington Post“: „Die verfassungsrechtliche Sorge im Großen und Ganzen besteht darin, dass es eine Art Schattenexekutive gibt, die außerhalb der Kanäle existiert, operiert und Macht ausübt, die die Verfassung und die vom Kongress autorisierten Gesetze vorsehen.“[25] Das entbehrt nicht einer bitteren Ironie, denn seit Jahren krakeelt die US-Rechte von einem angeblichen „Schattenstaat“. Der Begriff „Deep State“, auch beliebt im verschwörungsgläubigen QAnon-Milieu, findet sich auf zahlreichen Seiten von Project 2025. Er dient als Vorwand für die Säuberungen, die Musk und Trump jetzt in unabhängigen Bundesbehörden durchführen, um missliebige, aber auch unpolitische Angestellte auszusortieren und sie durch loyale Gefolgsleute zu ersetzen.
Der Geist von Russ Vought schien noch vor seiner offiziellen Berufung in die Trump-Regierung Einzug gehalten zu haben. Der Project 2025-Architekt hatte verkündet, Bundesbeamt:innen „traumatisieren“ zu wollen, um sie zur Kündigung zu bewegen.[26] Am 5. Februar tauchten Mitarbeitende aus Musks Team auch in der Zentrale der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) sowie im Handelsministerium auf, der „Guardian“ berichtet von der Angst der Angestellten, dass sie als Nächstes dran seien.[27] Sie haben allen Grund zur Sorge: Project 2025 nennt NOAA, die unter anderem Wettervorhersagen und digitale Seekarten anbietet, eine „Gefährdung für amerikanischen Wohlstand“ und will ihre Abschaffung. Musks Team ging nach den bekannten Mustern vor: „Sie sind anscheinend einfach am Sicherheitspersonal vorbeigegangen und haben gesagt: ‚Aus dem Weg‘, und sie wollen sich Zugang zu den IT-Systemen verschaffen, wie sie es auch bei anderen Behörden tun. Sie werden Zugang zum gesamten Computersystem haben, in dem viele vertrauliche Informationen gespeichert sind.“
Bei der von Vought angekündigten Traumatisierung hilft auch das Umfeld von Trump und Musk mit. Bei ihrem Rachefeldzug gegen Antidiskriminierungs- und Diversitäts-Initiativen der Regierung veröffentlichte die American Accountability Foundation, die an Project 2025 beteiligt war, auf einer Website eine „DEI Watch List“. Sie enthält Namen, Fotos und Informationen zu Mitarbeitenden von Gesundheitsbehörden und bezeichnet sie als „Ziele“ – eine Mehrheit von ihnen ist schwarz.[28] Ihr Vergehen: Die Mitarbeit an DEI-Programmen – DEI steht für Diversity, Equity and Inclusion (Diversität, Gleichheit, Inklusion) –, die Angabe ihrer präferierten Pronomen oder Spenden an die Demokraten. Laut NBC hat diese Liste Mitarbeitende in Gesundheitsbehörden in Panik versetzt.[29] Der Journalist Jamelle Bouie warnt auf Bluesky: „Sie zielen vor allem auf schwarze Angestellte ab, sodass dies buchstäblich nur eine Wiederholung von Woodrow Wilsons [Präsident von 1913-1921] segregationistischer Säuberung der Bundesregierung ist.“[30]
Wer kann Trump und Musk stoppen?
Wer aber kann Musk und Trump jetzt überhaupt noch Grenzen setzen? „Idealerweise würde der Kongress eingreifen, um diesen Wahnsinn zu stoppen“, sagt Stern. Der Kongress verfüge über diverse Werkzeuge, „um einen außer Kontrolle geratenen Präsidenten zu zügeln – nicht nur Gesetze, sondern auch Vorladungen und Untersuchungen, die illegales Verhalten innerhalb der Exekutive aufdecken“. Das Problem besteht darin, dass die Republikaner die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses haben und sie keinerlei Interesse daran zeigen, dem Treiben von Trump und Musk Grenzen zu setzen.
Die Aufgabe fällt also vor allem den Gerichten zu, die auf Klagen von Opfern der anhaltenden Gesetzlosigkeit reagieren müssen. Doch das schafft neue Probleme. Richter haben nach der Verfassung begrenzte Befugnisse und können nur auf Fälle reagieren, die ihnen vorgelegt werden. „Verschiedene juristische Gruppen sind dabei, Klagen einzureichen“, berichtet Stern, aber sie kommen damit gar nicht hinterher, „denn Trump und Musk überschwemmen alles mit zweifelhaften oder schlichtweg illegalen Exekutivmaßnahmen“. Außerdem ist es keineswegs garantiert, dass sich die Regierung an die Urteile halten wird. Am 9. Februar schrieb Vizepräsident JD Vance nach einigen Niederlagen der Regierung vor Gericht auf X bereits drohend: „Richter sind nicht befugt, die legitime Macht der Exekutive zu kontrollieren.“ Das hatte er Trump bereits 2021 bei einem Auftritt im Podcast des rechten Maskulinisten Jack Murphy geraten: Sollten Gerichte versuchen, die Säuberungen von Berufsbeamten zu stoppen, müsse Trump sich dem widersetzen: „Und wenn die Gerichte Sie aufhalten, stellen Sie sich vor das Land wie Andrew Jackson es tat, und sagen Sie: ‚Der Oberste Richter hat sein Urteil gefällt, jetzt lasst ihn es durchsetzen.’“[31] Vances Erwähnung von Andrew Jackson, Präsident von 1829 bis 1837, bezieht sich auf dessen Haltung zum Fall Worcester v. Georgia. Dort hatte der Oberste Gerichtshof geurteilt, dass Ureinwohner ein Recht auf Landbesitz hätten, das die Regierung akzeptieren müsse. Jacksons Entscheidung, das Urteil zu ignorieren, führte zum „Trail of Tears”-Massaker an Indigenen. Für Vance ist dies dennoch ein Beispiel für richtiges politisches Handeln. Seine Verachtung gegenüber Gerichten, die der Exekutive in die Quere kommen, hat er seitdem mehrfach wiederholt.
Ganz in diesem Sinne postete Trump kürzlich „Er, der sein Land rettet, bricht kein Gesetz“ – ein Zitat, das oft Napoleon zugeschrieben wird, und sich auch im Manifest des rechtsextremen Massenmörders Anders Behring Breivik findet. Auch der neue Oligarch in Chief, Elon Musk, stellt sich und die MAGA-Bewegung über die Gerichte und die Verfassung.[32] Musks Rolle als eine Art nichtgewählter Co-Präsident wurde bildlich deutlich, als er am 11. Februar zusammen mit Trump eine Pressekonferenz im Oval Office gab. Der Präsident saß hinter dem Schreibtisch, sein Gönner stand breitbeinig neben ihm. Der Journalist Lawrence O‘Donnell sprach von „einem Bild der präsidialen Unterwürfigkeit, wie wir es noch nie zuvor gesehen haben“. Das Chaos und die Radikalität in den ersten Wochen der zweiten Trump-Präsidentschaft erklärt der Historiker Thomas Zimmer so: „Hier haben jetzt alle unterschiedlichen Teile in der MAGA-Fraktion gleichzeitig grünes Licht bekommen für ihren Frontalangriff auf die Verfassungsordnung, auf den modernen Staat.”[33]
Kann man – muss man – also nur noch auf den Obersten Gerichtshof setzen, in dem seit Trumps erster Amtszeit eine rechte Mehrheit herrscht? Stern zeigt sich da wenig optimistisch: „Trump hat schließlich ein Drittel der derzeitigen Richter ernannt! Wir sollten nicht erwarten, dass der Oberste Gerichtshof die Nation vor den Exzessen dieses Präsidenten retten wird.“ Die Lage ist also hochdramatisch. Wir sollten uns die Warnung des „Brennan Centers for Justice“ zu Herzen nehmen: „Ignoriert die Schlagzeilen, wonach diese Schritte ‚Fragen aufwerfen‘ oder ‚Grenzen verschieben‘. Es handelt sich um einen verfassungsfeindlichen Amoklauf.“[34]
[1] Annika Brockschmidt, Trump & Musk: Staatsstreich in den USA & keiner kriegt es hier mit?, volksverpetzer.de, 6.2.2025.
[2] Dahlia Lithwick und Mark Joseph Stern, Elon Musk’s Power Grab Is Lawless, Dangerous, and – Yes – a Coup, slate.com, 4.2.2025.
[3] Im Gespräch mit der Autorin, Februar 2025.
[4] Jeff Stein, Isaac Arnsdorf und Jacqueline Alemany, Senior U.S. official exits after rift with Musk allies over payment system, washingtonpost.com, 31.1.2025.
[5] Jonathan Ladd auf Bluesky, 2.2.2025.
[6] Jeff Stein u.a., U.S. government officials privately warn Musk’s blitz appears illegal, washingtonpost.com, 4.2.2025.
[7] Im Wahlkampf 2016 wurde öffentlich, dass Clinton in ihrer früheren Funktion als Außenministerin von ihrem privaten E-Mail-Konto rund 60 000 Nachrichten verschickt oder bekommen hatte. Das FBI warf ihr vor, „extrem leichtsinnig“ mit „streng geheimen Informationen“ umgegangen zu sein.
[8] Nik Popli, Can He Do That? What Legal Experts Say About Trump’s Most Radical Moves, time.com, 4.2.2025.
[9] Timothy Snyder, Of course it’s a coup, substack.com, 5.2.2025.
[10] Vittoria Elliott, The Young, Inexperienced Engineers Aiding Elon Musk’s Government Takeover, wired.com, 2.2.2025.
[11] Vittoria Elliott, A 25-Year-Old With Elon Musk Ties Has Direct Access to the Federal Payment System, wired.com, 4.2.2025.
[12] Brian Schwartz und Richard Rubin, DOGE Gains Access to Payment System Doling Out Trillions to Americans, wsj.com, 1.2.2025.
[13] Joseph Gedeon, Democrats join protest against Musk’s ‚hostile takeover‘ of federal payment systems, theguardian.com, 5.2.2025.
[14] Chance Townsend, Elon Musk seizes computer system, locks out senior government officials, mashable.com, 2.2.2025.
[15] Tim Reid, Exclusive: Musk aides lock workers out of OPM computer systems, reuters.com, 2.2.2025.
[16] Vgl. CIA bietet offenbar allen Mitarbeitern Abfindungen an, spiegel.de, 5.2.2025; Musk knöpft sich Verbraucherschutz im US-Finanzsektor vor, tagesschau.de, 28.11.2024.
[17] instagram.com/bsannefrank, 5.2.2025.
[18] Congressional Research Service, USAID Under the Trump Administration, 3.2.2025.
[19] Abigail Williams und Vaughn Hillyard, Senior USAID official ousted after fighting back against removal of career leadership, nbcnews.com, 31.1.2025; Simon Lewis, Daphne Psaledakis und Humeyra Pamuk, Hundreds of USAID internal contractors put on leave, terminated amid US freeze on global aid, reuters.com, 30.1.2025.
[20] Zit. nach: Michael A. Cohen, Elon Musk calls USAID ‚a criminal organization‘. Here’s the truth, msnbc.com, 4.2.2025.
[21] Bill Barrow, How Donald Trump and Project 2025 previewed the federal grant freeze, apnews.com, 29.1.2025.
[22] Congressional Research Service, Item Veto and Expanded Impoundment, Proposals: History and Current Status, congress.gov, 18.6.2010.
[23] James Goodwin, Project 2025 Has Already Begun, slate.com, 27.1.2025.
[24] Ian Millhiser, The legal theory that would make Trump the most powerful president in US history, vox.com, 5.2.2025.
[25] Jeff Stein u.a., U.S. government officials privately warn Musk’s blitz appears illegal, washingtonpost.com, 4.2.2025.
[26] Molly Redden und Andy Kroll, „Put Them in Trauma”: Inside a Key MAGA Leader’s Plans for a New Trump Agenda, propublica.org, 28.10.2024.
[27] Michael Sainato, Doge staffers enter Noaa headquarters and incite reports of cuts and threats, theguardian.com, 5.2.2025.
[28] Berkeley Lovelace Jr. und Erika Edwards, Federal health workers terrified after ‚DEI‘ website publishes list of ‚targets‘, nbcnews.com, 5.2.2025.
[29] Ebd.
[30] Jamelle Bouie auf Bluesky, 5.2.2025.
[31] Vgl. „Jack Murphy Live“, youtube.com, 17.9.2021.
[32] Jill Colvin, Vance and Musk question the authority of the courts as Trump’s agenda faces legal pushback, apnews.com, 10.2.2025.
[33] Im „Kreuz und Flagge“-Podcast, kreuzundflaggepodcast.com, 12.2.2025.
[34] Michael Waldman, Breaking the Law, brennancenter.org, 4.2.2025.