Ausgabe April 1990

Hauptstadtwende

What about Bonn?

"Einszweidrei im Sauseschritt läuft die Zeit, wir laufen mit", dichtete Wilhelm Busch. Mit eher dramatischem Akzent befang Georg Büchner, der Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft, gut hundert Jahre später, im Februar 1990: "Das Tempo der Geschichte reißt uns mit." Zur selben Zeit resümierte Patrick Bahners im Feuilleton der FAZ (16.2.1990) unter der Überschrift "Streit der Symbole - Schreibt die Geschichte den Deutschen ihre Hauptstadt vor?" unter Berufung auf Jacob Burckhardt: "Die Beschleunigungserfahrung zwingt zum ständigen Standpunktwechsel." Der 9. November hat's möglich gemacht. Derselbe Sturm der Geschichte, der Trabi-Trecks nach Westen rollen läßt, treibt andere ostwärts. Den von Bismarck beschworenen Mantel der Geschichte vor Augen, suchen Scharen von Verantwortungs- und Hoffnungsträgern das teure Tuch zu erhaschen, auf daß niemand zu spät komme.

Denn, so verkündete der Sozialdemokrat Egon Bahr trutzig: "Wer sich gegen die Einheit stemmt, den wird das Leben bestrafen - wer sich gegen Berlin stemmt, den wird es auch bestrafen." Gegen Berlin als neu-alte Hauptstadt nämlich.

April 1990

Sie haben etwa 8% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 92% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Warnungen aus Weimar

von Daniel Ziblatt

Autokraten sind vielerorts auf dem Vormarsch. Ihre Machtübernahme ist aber keineswegs zwangsläufig. Gerade der Blick auf die Weimarer Republik zeigt: Oft ist es das taktische Kalkül der alten Eliten, das die Antidemokraten an die Macht bringt.