Kommunique der Ministertagung des Nordatlantikrates vom 4. Juni 1992 in Oslo (Auszüge)
1. Wir, die Außenminister der Nordatlantikpakt-Organisation, sind am 4. Juni in Oslo zusammengekommen, um unsere Konsultationen über aktuelle politische Entwicklungen fortzuführen und als Bündnis zur Förderung einer neuen und friedvolleren Ordnung beizutragen.
2. Wir bekräftigen, daß die Sicherheit unserer Mitgliedstaaten durch das Bündnis und die transatlantische Partnerschaft garantiert wird. Gleichzeitig sind wir auch überzeugt, daß Stabilität und Sicherheit im euro-atlantischen Raum sich zunehmend auf einem Geflecht ineinandergreifender, sich gegenseitig verstärkender Institutionen aufbauen werden: der NATO, der KSZE, der Europäischen Gemeinschaft, der WEU und dem Europarat. Andere Institutionen und regionale Kooperationsstrukturen werden in diesem Rahmen ebenfalls eine Rolle spielen. Wir nehmen bei der Erweiterung der Zusammenarbeit zwischen diesen Institutionen unsere Rolle voll wahr, wie von unseren Staats- und Regierungschefs in Rom vorgegeben, um so unsere verfügbaren Ressourcen zur Unterstützung des Demokratisierungs- und Reformprozesses bestmöglich, zu nutzen und Konflikte zu verhüten. 3. In diesem Sinne sind wir entschlossen, den bevorstehenden KSZEGipfel in Helsinki zum Erfolg zu führen sowie die Rolle und Leistungsfähigkeit der KSZE in dieser europäischen Sicherheitsarchitektur weiter zu stärken. Wir begrüßen die morgige Außerordentliche Konferenz zum KSE-Vertrag. Mit dem Inkrafttreten des KSE-Vertrages wird der Eckpfeiler einer neugestalteten europäischen Sicherheitsstruktur gesetzt und der Weg zu künftigen Rüstungskontrolle innerhalb der KSZE und zu kooperativer Sicherheit in Europa geebnet. (...)
Das Bündnis: Eine starke transatlantische Partnerschaft
5. Der Prozeß friedlichen Wandels in Europa braucht eine starke und dynamische Nordatlantische Allianz. Das Bündnis bildet eines der unabdingbaren Fundamente für ein stabiles Umfeld der Sicherheit in Europa, und seine Zusammenarbeit in politischen und sicherheitspolitischen Fragen ist ein wichtiger Beitrag hierzu. In seinem Wandlungsprozeß hat das Bündnis auch eine umfassendere politische Beziehung zu anderen Ländern und Institutionen hergestellt und ist auf der Grundlage seines neuen Strategischen Konzepts dabei, seine Streitkräfte zu reduzieren und umzustrukturieren. In einem Umfeld vielschichtigerer Risiken und knapper Ressourcen ist es auch weiterhin erforderlich, eine wirksame kollektive Verteidigung auf der Grundlage einer gemeinsamen Einschätzung der Sicherheitslage zu gewährleisten. Dazu werden die Verbündeten bei der Umsetzung des Strategischen Konzepts eng zusammenarbeiten.
6. Die Lebensfähigkeit der transatlantischen Bindung ist auch in Zukunft für unser Bündnis von ausschlaggebender Bedeutung. Die Aufgaben, vor denen wir jetzt beim Aufbau von Kooperation, Demokratie und Sicherheit für alle in Europa stehen, unterstreichen, wie wichtig es ist, die Werte- und Zweckgemeinschaft zwischen den nordamerikanischen und europäischen Demokratien im Sinne von Artikel 11 unseres Vertrages fortzuentwickeln. Die Präsenz von US-Streitkräften sowie das fortbestehende politische und militärische Engagement der Vereinigten Staaten und Kanadas bleiben Grundbedingungen für die Förderung und weitere Festigung einer neuen Friedensordnung in Europa. Eine europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität
7. Das gemeinsame Verständnis, niedergelegt in der Erklärung von Rom über Frieden und Zusammenarbeit, und die Vereinbarung, wie sie von den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und in den Erklärungen der Westeuropäischen Union in Maastricht erzielt wurde, bilden die Grundlage der künftigen Beziehung zwischen der Allianz und der entstehenden europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität. Wir erneuern unsere Unterstützung für das Ziel, die WEU als Verteidigungskomponente der Europäischen Union und als Mittel zur Stärkung des europäischen Pfeilers der Atlantischen Allianz zu entwickeln. Wir begrüßen daher den Fortschritt in den Diskussionen unter den Mitgliedstaaten der WEU zur Stärkung der operationellen Rolle der WEU. Die Entwicklung der operationellen Fähigkeiten der WEU in Formen, die die gemeinsame Verteidigung in der Allianz ergänzen und mit ihr voll vereinbar sind, wird die Fähigkeit der Bündnispartner ausbauen, in der gemeinsamen Verteidigung zusammenzuarbeiten. Wir bekräftigen unsere Absicht, auch mit fortschreitendem Wandel des Bündnisses, den bestehenden operationellen Zusammenhalt, auf den unsere Verteidigung angewiesen ist, zu erhalten. Wir betonen die Bedeutung, bestehende Verpflichtungen der Bündnispartner und Bindungen der Streitkräfte an die NATO zu erhalten, und wir unterstreichen in diesem Zusammenhang, daß die primäre Verantwortung der der WEU zugeordneten Streitkräfte die kollektive Verteidigung der NATO nach dem Washingtoner Vertrag bleiben wird.
8. Auf unserer letzten Tagung im Dezember haben wir den Ständigen Nordatlantikrat beauftragt, Vorschläge für praktische Vorkehrungen der Arbeitsbeziehungen zwischen den zwei Organisationen zu entwickeln. Diese Vorkehrungen, basierend auf Transparenz und Komplementarität, werden die transatlantische Solidarität in Sicherheitsangelegenheiten festigen und sicherstellen, daß alle Verbündeten an Entscheidungen angemessen beteiligt sind, die ihre Sicherheit betreffen können. Mit der Weiterentwicklung ihrer eigenen Strukturen werden wir mit der WEU weiterhin zusammenarbeiten, um enge Arbeitsbeziehungen, unter anderem zwischen dem Rat der WEU und dem NATO-Rat sowie den Generalsekretariaten und den Verteidigungsstäben, herzustellen. (...)
KSZE
10. Der KSZE kommt beim Aufbau eines sicherheitspolitischen kooperativen Ansatzes und bei der Förderung von Demokratie, Menschenrechten und wirtschaftlicher Liberalisierung eine wesentliche Rolle zu. Während der letzten zwei Jahre haben wir Initiativen unternommen, um die KSZE und ihre Fähigkeit zu stärken, zu einem Europa beizutragen, in dem sich Veränderungen im Einklang mit den KSZE-Prinzipien vollziehen. Wir sind entschlossen, unsere gemeinsamen Anstrengungen fortzusetzen, um die volle Anwendung dieser Prinzipien zu sichern. Die Stärkung der der KSZE für Konfliktverhütung und Krisenmanagement zur Verfügung stehenden Mittel wird von wesentlicher Bedeutung sein, wenn Friede und Wohlstand in Europa erhalten werden sollen. Wir unterstützen den auf dem Helsinki-Folgetreffen zur Erörterung stehenden Vorschlag für die KSZE, sich als regionale Abmachung nach Kapitel VIII der Charta der Vereinten Nationen zu erklären. Wir sehen dem Gipfel in Helsinki entgegen, der den Prozeß der politischen Konsultation und Kooperation dadurch stärken soll, daß die vorhandenen Institutionen, Strukturen und Mechanismen der KSZE ausgebaut und neue Mittel zur Erleichterung des friedlichen demokratischen Wandels entwickelt werden.
11. Das Bündnis besitzt die Fähigkeit, zu wirksamen Aktionen der KSZE entsprechend ihrer neuen und größeren Verantwortung für Krisenmanagement und die friedliche Beilegung von Streitigkeiten beizutragen. In diesem Zusammenhang sind wir bereit, von Fall zu Fall, in Übereinstimmung mit unseren eigenen Verfahren, friedenserhaltende Aktivitäten unter der Verantwortung der KSZE einschließlich der Bereitstellung von Ressourcen und Fachwissen des Bündnisses zu unterstützen. Wir haben den Ständigen NATO-Rat gebeten, mit der fachlichen Beratung durch die militärischen Gremien der NATO, die praktischen Optionen und Modalitäten zu untersuchen, wie eine solche Unterstützung geleistet werden könnte. Dies erfolgt unbeschadet möglicher Beiträge anderer KSZE-Staaten und anderer Organisationen zu solchen Operationen.
12. Die kohärente Entwicklung aller Aspekte der KSZE wird ihre Fähigkeit verbessern, zu Frieden und Stabilität in Europa beizutragen. Die volle Einhaltung der KSZE-Verpflichtungen bleibt für die Erreichung unseres Ziels wesentlich: Ein friedliches und blühendes Europa. In einem Umfeld, in dem die Bedeutung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für Sicherheit und Stabilität immer deutlicher wird, muß die Achtung der Menschenrechte ein Hauptanliegen für die KSZE bleiben. Wir glauben, daß die Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und wissenschaftlichem Gebiet sowie in Umweltfragen weiterer politischer Impulse bedarf. Wir nehmen in diesem Zusammenhang die Entscheidung zur Kenntnis, daß der Ausschuß Hoher Beamter regelmäßig als KSZE-Wirtschaftsforum zusammentreten wird, um wirtschaftliche Entwicklung und freien Handel zu fördern.
Die Vereinten Nationen
13. Wir unterstützen den wertvollen Beitrag der Vereinten Nationen zur Konfliktbeilegung und Friedenserhaltung im euro-atlantischen Raum. Wir erneuern unsere Verpflichtung, die Fähigkeiten der Vereinten Nationen zur Durchführung ihrer erweiterten Bemühungen um den Weltfrieden zu stärken. Wir begrüßen die Tatsache, daß Bündnispartner an friedenserhaltenden und anderen Anstrengungen der Vereinten Nationen teilnehmen und hierzu beitragen. (...)