Ausgabe März 1993

Rechts in Rußland

I

"Wir sind Russen und sind stolz darauf", hieß es auf einem Transparent bei der Leningrader Demonstration der Gruppe "Pamjat" im Sommer 1988. Der Führer der Gruppe der in schwarze Hemden gekleideten Anhänger, der Kunstfotograf Dmitrij Wassiljew gab damals an, seine Organisation hätte zwanzigtausend Mitglieder und Kontakte in dreißig russischen Städten. Für das relative Gewicht der Vereinigung sprach, daß sie im Jahre 1987 nach einer Kundgebung für die Erhaltung historischer Denkmäler in Moskau vom damaligen ZK-Sekretär Boris Jelzin empfangen wurde. 1985, im vermutlichen Gründungsjahr der "Patriotischen Vereinigung", fand eine öffentliche Diskussion statt. Thema war der Zustand der damals noch sowjetischen Hauptstadt aus ökologischer Sicht. Der Ökologe Fjodor Schipunow erzählte der Hörerschaft, er und einige seiner Kollegen hätten einen Brief an das Zentralkomitee geschrieben und vorgeschlagen, im Falle von Grippeepidemien die Glocken der insgesamt fünfzig Moskauer Kirchen gleichzeitig läuten zu lassen. "Die symphonische Tonsphäre schafft das Lebendige, die Lärmsphäre zerstört es", lautete die Argumentation.

Obskurantismus und Volksbetrug standen somit bereits an der Wiege der neuen rechtsradikalen Bewegungen in Rußland.

März 1993

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