Ausgabe Juni 1997

Herzogs Standortpauke

Deutschland im Jahr 2020: 4% Wachstum, 5% Arbeitslosigkeit, d.h. Vollbeschäftigung. Überall Unternehmungslust und deutsche Arbeitsmoral. Wahlmöglichkeiten werden groß geschrieben: vier Klassen bei der Deutschen Bahn, vier Typen weiterführender Schulen, eine breite Palette von Aktienangeboten zur Altersabsicherung und ein ebenso breites Angebot an unterschiedlich preisgünstigen Zahnfüllungen. Die Interessengruppen denken vor allem ans Gemeinwohl und spornen ihre jeweilige Klientel beim "Wettbewerb des Verzichts" an. Ein deutscher Schüler ist von "Time" zum Denker des Jahres gekürt worden. - In aller Welt spricht man vom deutschen Gemeinsinn: "Jeden Tag eine gute Tat." Alten- und Pflegeheime gehören der Vergangenheit an, freiwilliges Engagement Jugendlicher hat sie überflüssig gemacht.

In den Geschichtsbüchern liest die nachwachsende Generation, daß "Greenpeace" und "BUND" vor 25 Jahren mit spektakulären Aktionen und Boykottaufrufen versuchten, die Einführung von genmanipuliertem Soja zu behindern. Das Gebaren dieser "Umweltschützer" erscheint den Schülern, die einen aufgeklärten Umgang mit Technik pflegen, so absurd und anachronistisch wie der Weberaufstand 1844, der eine Woche zuvor auf dem Lehrplan stand.

Juni 1997

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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