Nun hat auch der französische Premierminister Lionel Jospin seinen bereits lang erwarteten Beitrag zur europapolitischen Debatte geleistet, die Joschka Fischer gut ein Jahr zuvor mit Überlegungen zu einer Reform der europäischen Institutionen angestoßen hatte. 1) Jospins zögerliche Haltung auf der europäischen Bühne geriet ähnlich wie das Schweigen der Protagonisten in Becketts Warten auf Godot zu einem Ereignis an sich: Denn seit sich die linkspluralistische Regierung nach einem engagierten Beginn auf dem Gipfel von Amsterdam 1997 während der französischen Ratspräsidentschaft und in den letzten Monaten in europäischen Fragen eher zurückhaltend denn enthusiastisch präsentierte, steht ihr Premier wieder unter dem dringenden Verdacht, "euroverklemmt" und ein Bremser zu sein. Daß Jospin seine Erklärung mehrmals verschob, nährte diesen Verdacht.
Unter erheblichem politischen und medialen Druck formulierte er eine Woche vor dem Beginn der Ratifizierungsdebatte über den Vertrag von Nizza sein europäisches Projekt, das für ihn zunächst "ein intellektuelles Werk, ein Gesellschaftsmodell, eine Vision von der Welt" und erst nachrangig eine Frage der institutionellen Ausgestaltung darstellt. Doch dieses Bekenntnis zu Europa hat - auch in Berlin - nur wenig Begeisterung ausgelöst.