Ausgabe Oktober 2001

Essential Harvest und das Abkommen von Ohrid

Der Brief des mazedonischen Staatspräsidenten Trajkovski an den NATO-Generalsekretär Lord Robertson vom 14. Juni 2001 (Wortlaut)

Das nachstehend auf deutsch dokumentierte Hilfsersuchen des mazedonischen Präsidenten Trojkowski an NATO-Generalsekretär Robertson gilt als völkerrechtliche Grundlage der NATO-Operation "Essential Harvest" ("Blätter"-Eigenübersetzung). Bereits im Septemberheft brachten wir Stellungnahmen zur Beteiligung der Bundeswehr an dieser Operation. Nachfolgend das Rahmenabkommen von Ohrid und weitere Dokumente zur Entwicklung. - D. Red.

 

Verehrter Herr Generalsekretär,

gestatten Sie mir, meine Freude über Ihren heutigen Besuch in der Republik Mazedonien und die nützlichen und überaus konstruktiven Gespräche, die wir bei dieser Gelegenheit hatten, zum Ausdruck zu bringen. Ihr uneigennütziges Engagement und die Bemühungen, die Sie unternommen haben, überzeugen mich, daß wir auf dem richtigen Weg sind, die seit mehreren Monaten andauernde Krise zu überwinden. Die Nachrichten über die wachsende und sich konkretisierende Unterstützung für die Republik Mazedonien, die Sie vom letzten Gipfel des Nordatlantischen Bündnisses in Brüssel überbrachten, sind von der politischen und der breiteren mazedonischen Öffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit aufgenommen worden. Die deutliche Botschaft der neunzehn NATO Staats- und Regierungschefs in Brüssel, daß die breit getragene mazedonische Koalitionsregierung weiterhin volle Unterstützung bei ihrer Abwehr der albanischen Extremisten erhält, erscheint besonders stark und entschieden. Darüberhinaus stellte das heutige Treffen mit Ihnen und dem Hohen Repräsentanten der EU, Herrn Solana, eine weitere Gelegenheit dar, Ihnen zu versichern, daß unsere Überlegungen und vereinbarten Positionen mit denen, die auf dem Brüsseler Gipfel zum Ausdruck gebracht wurden, weitestgehend übereinstimmen. Das heißt, der Plan schafft die richtigen Bedingungen und Möglichkeiten, die Krise in Mazedonien durch eine politische Lösung und auf demokratische Weise zu überwinden. Der Plan und das Programm zur Überwindung der Krise, die den vollen Rückhalt der mazedonischen Regierung finden, sind auf breite internationale Unterstützung gestoßen. Das in dem Plan fest verankerte Grundprinzip ist, daß jede Lösung, die irgendeine Form von Autonomie oder besonderem Status für irgendeinen Teil des Territoriums oder irgendeine Änderung der Grenzen bedeutet, für die Republik Mazedonien unakzeptabel ist. Eines der tragenden Elemente des Planes besteht aus vertrauensbildenden Maßnahmen, die klar und genau festgelegt werden müssen und darauf abzielen, die Bevölkerung davon zu überzeugen, daß die mazedonischen Behörden die feste Absicht und den guten Willen haben, die zerstörten Häuser wieder zu errichten, die Lebensbedingungen für alle Bürger im Staat zu verbessern und die Voraussetzungen für die Reintegration derjenigen zu schaffen, die ihre Waffen niederlegen werden. Verehrter Generalsekretär, geleitet von dem Wunsch nach einer erfolgreichen Umsetzung des Planes möchte ich die Allianz bitten, der Republik Mazedonien bei der Umsetzung des Planes, insbesondere der dritten und vierten Stufe, die eine vollständige Waffenruhe, die Umsetzung der genannten vertrauensbildenden Maßnahmen und zuallererst die Entwaffnung der bewaffneten Gruppen ins Auge fassen, zu unterstützen. Dies erfordert, glaube ich, daß die Allianz ihre Streitkräfte entsendet, um sich an der Beobachtung der Entwaffnungsphase zu beteiligen. Ich bin zuversichtlich, daß Sie bereits morgen die Mitgliedstaaten der Allianz über unser Ersuchen informieren werden. In diesem Zusammenhang möchte ich besonders betonen, daß der Plan keinen Einsatz von NATO-Truppen bei militärischen Aktionen vorsieht. Sie sollten nur in den Zentren stationiert werden, in denen die Entwaffnung erfolgt. Gleichzeitig werden wir unsererseits für Bedingungen sorgen, die eine maximale Sicherheit für die NATO-Truppen gewährleisten werden. Ich bin sehr zuversichtlich, daß die Ankündigung und die Anwesenheit der NATO-Truppen zur wirksameren Sicherung klarer Bedingungen für die Entwaffnung der bewaffneten Gruppen wesentlich beitragen werden. Falls es Hindernisse oder zeitliche Beschränkungen für die Annahme der Entscheidung zu diesem Zweck Allianztruppen zu entsenden und für die zügige Umsetzung einer solchen Entscheidung gibt, möchte ich Sie bitten, sobald wie möglich Gespräche mit den Alliierten zu initiieren, um festzulegen, welche Mitgliedstaaten der Allianz auf individueller Basis bereit wären, Truppen zu entsenden, und mich entsprechend zu informieren. Zur Zeit sind unsere Experten dabei, Teile der Operationspläne abzuschließen. Sobald diese abgeschlossen sind, werden wir sie der NATO übermitteln, damit die Allianz bzw. einzelne interessierte Mitgliedstaaten so bald wie möglich mit den notwendigen Vorbereitungen beginnen können. Bei der Vorbereitung des Entwaffnungsplanes kam uns der fachkundige Rat des NATO-Teams zugute. Wir wären dankbar, wenn wir für die Vervollständigung der Operationspläne auf ihre weitere Hilfe setzen könnten, um die Umsetzung dieser Maßnahmen von hoher Wichtigkeit zu erleichtern. Ich bin überzeugt, daß wir mit vereinten Kräften bei der Verwirklichung dieses Ziels, als einer der grundlegenden Vorbedingungen für die Stabilisierung der Situation in der Republik Mazedonien und der Region Südosteuropa im allgemeinen, erfolgreich sein werden. Auf dieser Basis von Stabilitätsbedingungungen werden wir die Reformen und Vorbereitungen für eine beschleunigte Integration in die euro-atlantischen Strukturen, fortsetzen.

Hochachtungsvoll

Boris Trajkovski

 

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