Dass der Feminismus wichtig ist und noch viel zu tun hat, ist keine Minderheitenmeinung mehr. Nach Jahrzehnten des zaghaften Sichfügens erheben Frauen, Mädchen und ihre Verbündeten in aller Welt wieder die Stimme, um einen besseren Deal einzufordern, nicht nur nach dem Gesetz, sondern in der Praxis. Doch die Art Feminismus, die seit Jahren in den Medien eine Rolle spielt und die Schlagzeilen beherrscht, nützt in erster Linie den heterosexuellen, gut verdienenden weißen Frauen der Mittelschicht und der oberen Mittelschicht.
Es hieß, die Geschlechterbefreiung würde wie der Wohlstand nach unten „durchsickern”.[1] Das ist natürlich völliger Blödsinn. Feminismus sickert nicht nach unten durch, und während sich eine kleine Zahl extrem privilegierter Frauen Gedanken über die gläserne Decke macht, füllt sich der Keller mit Wasser, und Millionen von Frauen und Mädchen sind samt ihren Kindern da unten eingesperrt und starren nach oben, während ihnen das Wasser in die Schuhe läuft, um die Knie schwappt und langsam zum Hals steigt.
Kurzum: Man hat uns angelogen. Frauen meiner Generation wurde erklärt, wir könnten „alles haben”, solange „alles” Ehe, Babys, eine Karriere im Finanzwesen, ein Schrank voller schöner Schuhe und völlige Erschöpfung war und solange wir reich, weiß, hetero und artig waren.
Das aber ist nur die eine Seite der Medaille. Denn auch Männer wurden angelogen. Ihnen wurde vorgegaukelt, sie lebten in einer schönen neuen Welt der wirtschaftlichen und sexuellen Chancen, und wenn sie zornig oder eingeschüchtert seien, wenn sie sich von den widersprüchlichen Erwartungen eingeengt oder verunsichert fühlten, wenn sie unter dem Druck litten, sich maskulin zu geben, Geld zu machen, dominant zu sein, viele schöne Frauen zu vögeln und gleichzeitig ein anständiger Mensch zu bleiben, dann seien an ihrer Not Frauen und Minderheiten schuld.
Um die Prinzipien von Gender, Macht und Begehren zu begreifen, müssen wir auch über Männer reden. Ziel des Feminismus ist ja nicht nur, dass sich Frauen von Männern emanzipieren, sondern dass sich alle Menschen aus der Zwangsjacke geschlechtsspezifischer Unterdrückung befreien. Männer und Jungen beginnen erst jetzt kollektiv zu begreifen, wie furchtbar vermurkst Männlichkeit heute ist – und sie fragen, wie sie das ändern können.
Dem Patriarchat einen Namen geben
Seit vielen Jahrhunderten konzentrieren sich Geld, Macht und das Vermögen, willkürlich blutige Gemetzel anzurichten, in den Händen weniger weißer Europäer; für gewöhnlich sind das die reichsten Männer mit den besten Beziehungen. Diese Männer stellen nur einen Bruchteil der männlichen Gesamtbevölkerung, und trotzdem wird von jedem Mann und jedem Jungen erwartet, dass er sich an ihnen orientiert, von jeder Frau, dass sie ihre Gesellschaft und Nähe sucht. Für dieses System gibt es ein einfaches Wort: „Patriarchat”. „Patriarchat” bedeutet nicht „Männerherrschaft”. Es bedeutet „Väterherrschaft “ – die Herrschaft weniger mächtiger Haushaltsvorstände über den Rest der Gesellschaft. Männer, die in der sozialen Hierarchie weiter unten stehen, haben sich damit zu bescheiden, Macht über Frauen zu haben, mit der sie die fehlende Kontrolle über den Rest ihres Lebens ausgleichen können.
Das Wort „Patriarchat” ist besonders belastet, weil es eine jahrhundertealte Struktur der wirtschaftlichen und sexuellen Unterdrückung beschreibt, in der nur wenigen Männern Macht zugestanden wird. Patriarchat: nicht die Herrschaft der Männer, sondern die Herrschaft von Vätern oder Vaterfiguren. Die meisten Männer herrschen nicht sonderlich viel und haben das auch nie getan. Die meisten Männer haben nicht viel Macht, und das bisschen soziale und sexuelle Überlegenheit, das sie über die Frauen haben, wird heute infrage gestellt. Das muss wehtun. Wer vom Patriarchat profitiert, ist kein schlechter Mensch, auch wenn er auf die Art wohl kaum ein besserer Mensch wird. Wie immer, wenn jemand eine Machtposition über andere innehat, besteht die Charakterprüfung darin, was er mit dieser Erkenntnis anfängt.
Fast die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch hat das Patriarchat Männer und Jungen ebenso unterdrückt wie Frauen. Es ist ein hierarchisches System männlicher Vorherrschaft, die mit Gewalt oder Gewaltandrohung durchgesetzt wird. Wenn wir Feministinnen sagen: „Das Patriarchat schadet auch den Männern”, so meinen wir es genau so. Das Patriarchat ist brutal und gewalttätig, Männer können sich schwer daraus ausklinken, und es ist eng verwoben mit dem Wirtschafts- und Klassensystem des Kapitalismus. Wenn ich mich mit Männern über Gender und Gewalt unterhalte, ist das Wort „Patriarchat” für sie besonders schwer zu ertragen.
Da die moderne Ökonomie nur wenige Gewinner hervorbringt, fühlen sich viele Männer unweigerlich als Verlierer – und ein Verlierer ist das Letzte, was ein Mann sein darf. Frauen wollen mit Verlierern nichts zu tun haben. Verlierer sind keine richtigen Männer, keine begehrenswerten, starken Männer, und wenn der Neoliberalismus mehr Verlierer hervorbringt, dann muss das daran liegen, dass Männer nicht genug Wertschätzung erfahren, und wahrscheinlich ist daran der Feminismus schuld und nicht etwa die fehlgeleitete Finanzpolitik. Der Neoliberalismus mag Heerscharen von Menschen zum Scheitern verurteilt haben, aber wir können es hier nicht mit einer Kapitalismuskrise zu tun haben, also muss es eine Geschlechterkrise sein.
Die Menschen merken überall, im Norden wie im Süden der Erdkugel, dass ihre gewählten Vertreter und die nicht gewählten Eliten sie um gesellschaftliche, finanzielle und persönliche Macht betrogen haben – doch junge Männer lernen nach wie vor, dass ihre Identität und Potenz davon abhängt, dass sie Macht haben.
Männlichkeit ist Krise
Im Jahr 2000 berichtete Susan Faludi in ihrem Buch „Männer – das betrogene Geschlecht“: „Vierzig Jahre später, als die Nation auf die Jahrtausendwende zutaumelte, schienen sich die, die ihr den Puls fühlten, einig darüber zu sein, dass sich ein Weltuntergang anbahnte: Die amerikanische Männlichkeit war in Gefahr […]. ‚Männer auf dem Prüfstand‘, schrieben die Schlagzeilen. ‚Die Plage mit den Jungen‘ – ‚Braucht man die Männer?‘ – ‚Erholt sich die Männlichkeit?‘”[2] Mehr als zehn Jahre später kursieren noch dieselben Schlagzeilen: „Jungs in der Krise“ – „Testosteron auf dem Rückzug“ – „Mädchen überholen Jungs“ – „Wie kommen die Männer wohl damit klar?“
Nein, die Männlichkeit ist nicht in der Krise – man kann schon fast sagen, Männlichkeit ist Krise. Wenn die moderne Männlichkeit Männer, insbesondere junge Männer, in einen Zustand ängstlicher Verzweiflung stürzt, wenn sie einsam und isoliert sind, unfähig, ihre wahren Gefühle auszudrücken oder das Leben zu führen, das sie sich wirklich wünschen, und wenn sie dann ihre soziale und sexuelle Frustration an Frauen auslassen, statt zu begreifen, dass sie eine systematische Folge elitärer Ungleichheit ist, dann funktioniert die Männlichkeit sehr gut. Dann ist sie sogar in einem tipptopp Zustand.
Frauen, so scheint es, dürfen nur über ihr Geschlecht reden. Männer dürfen über einfach alles reden, nur nicht über ihr Geschlecht. Die Diskussion darüber, was es bedeutet, ein Mann zu sein, ist in den meisten gesellschaftlichen Kreisen stillschweigend tabu. Männlichkeit funktioniert eher wie Fight Club im gleichnamigen Film: Die oberste Regel des Männerclubs ist, nicht über den Männerclub zu reden.
Es gehört zu den traurigsten Kapiteln der modernen Gesellschaft, dass sie uns dazu gebracht hat, Männlichkeit als etwas Gefährliches und Gewalttätiges zu betrachten, etwas, das eng mit Herrschaft, Kontrolle und Brutalität zusammenhängt, mit Hunger nach Macht, Geld und habgierigem, missbräuchlichem Sex. Zum Projekt des Feminismus gehört es, Männer ebenso wie Frauen von repressiven Stereotypen zu befreien. Nur manche junge Männer natürlich. Für die Krisen der Männlichkeit, die sich auf Privatyachten oder in den Schlafsälen von Eliteinternaten abspielen mögen, werden weder Tränen vergossen noch Wasserwerfer in Stellung gebracht.
Da die Macht einzelner Männer über einzelne Frauen heute umkämpfter ist denn je, ist sie unversöhnlicher und stärker fetischisiert, besonders in der Pornografie, wo das Verletzen und Erniedrigen von Frauen zur Schablone für den Geschlechtsverkehr geworden ist. Was Männer wollen, ist angeblich elementar, brutal und unkompliziert. Bier, Blowjobs und Büffelfleisch, möglichst aus dem galoppierenden Tier gerissen und in Testosteron frittiert.
Welches Recht haben Frauen eigentlich, über Männer, ihre Gefühle und ihr Begehren zu reden? Wir haben jedes Recht dazu, zumal Männer seit vielen Jahren über Frauen reden, über Frauen schreiben, Gesetze für Frauen machen und ergründen, was wir fühlen und begehren, meist ohne dass wir mitreden dürfen. Wir haben jedes Recht der Welt, und solange die Männer nicht ehrlich über ihre Erfahrungen mit Gender und Sex reden, haben wir vielleicht sogar die Pflicht. Denn Gender und Begehren sind die einzigen Themen, bei denen Frauen so etwas wie Kompetenz zugesprochen wird.
Eine Geschichte der Gewalt
Doch es wird wehtun. Für Männer kann es furchtbar bedrückend sein, mit Frauenfeindlichkeit konfrontiert zu werden, zumal mit ihrer eigenen. Zu ihrem Unglück stoßen sie, sobald sie sich mit den Geschlechtern auseinandersetzen, auf eine schreckliche, unerschütterliche Tatsache: das enorme Ausmaß, in dem Männer insgesamt Frauen schon verletzt haben. Deshalb fällt es Männern enorm schwer, über Männlichkeit zu reden, ohne sich damit auseinanderzusetzen, wie furchterregend und aggressiv Männlichkeit in ihrer modernen Form mittlerweile ist. Sie ist erschreckend.
Weh tut auch Folgendes: Acht Prozent der Männer räumt Taten ein, die der juristischen Definition der Vergewaltigung oder versuchten Vergewaltigung entsprechen.[3] Mehr als jeder fünfte Mann gibt an, „sexuell schon so erregt gewesen zu sein, dass er nicht vom Geschlechtsverkehr ablassen konnte, obwohl die Frau nicht einverstanden war”.[4]
Vergewaltigung und sexuelle Gewalt sind Alltag. Ritualisierte Frauenfeindlichkeit ist so normal, dass die Beziehung zwischen Männern und Frauen radikal neu definiert werden muss, und die traumatischen Anfänge dieser Neudefinition fordern Opfer auf beiden Seiten. Wenn in der Presse von Vergewaltigung die Rede ist, gilt die Sorge immer dem Ruf des Mannes, der im Wert über der Autonomie der Frau angesiedelt wird. Frauen ruinieren mit ihren Lügen das Leben anderer, so hören wir immer wieder – das Leben von Männern, und nur das zählt. Was aber durch die Weigerung der Frauen, weiter den Mund zu halten, wirklich ruiniert wird, ist die Illusion sexueller Gleichberechtigung. Wer so stark am Status quo hängt, dass er Frauen, die über Macht, Privilegien und Gewalt sprechen wollen, den Mund verbieten will, sollte sich fragen, was es eigentlich heißt, ein Mann zu sein.
Einem modernen Mythos zufolge denken Männer alle sechs Sekunden an Sex. Wenn man das bedenkt, sprechen sie extrem selten auch nur halbwegs ehrlich über Sexualität und ihre Bedeutung. Von Männern wird erwartet, dass sie brutal und auf Stichwort vögeln, grundlos gierig auf Geschlechtsverkehr sind und Frauen ein paar Krümelchen Zuneigung hinwerfen im Austausch gegen Sex, den sie im Falle einer Ablehnung erzwingen. Eine Sprache für Sanftheit, für langsames Herantasten, für Spiel gibt es nicht. Männern wie auch Frauen wird beigebracht, dass männliche Sexualität schädlich und gefährlich ist – und gleichzeitig absolut natürlich. Männer lernen, dass tief in ihnen ein Quell der Gewalt schlummert, der eng mit Sexualität verknüpft ist und nicht beherrscht, sondern nur eingedämmt werden kann.
Viele Männer empfinden diese in Granit gemeißelte Darstellung ihrer Sexualität als extrem verstörend. Schwule und Bisexuelle kennen es nicht anders, als dass ihre Sexualität vom Mainstream als etwas Schrilles, Groteskes dargestellt oder dargeboten wird, ein Gegenstück zum brutalen Phantombild der Heterosexualität, das unsere visuelle Kultur beherrscht. Doch auch Männern, die sich überwiegend zum anderen Geschlecht hingezogen fühlen, wird nur eine Art der Sexualität angeboten, nämlich die der mühsam gezügelten Bestie. Ich erhalte immer wieder E-Mails von Männern und Jungen, die unsicher sind, wie sie mit diesem Stereotyp umgehen sollen, die aber Angst haben, dass sie, wenn sie ihm nicht gerecht werden, zurückgewiesen werden, sei es von ihren Geschlechtsgenossen oder ihrer Partnerin.
Folgendes möchte ich diesen Männern gern sagen: Es ist völlig in Ordnung, wenn ihr Angst habt. Es ist in Ordnung, wenn ihr nicht wisst, was ihr zu sein habt, wie ihr euch zu verhalten habt. Ihr dürft hinterfragen, was es eigentlich bedeutet, ein Mann zu sein, oder auch nur andeuten, dass es Fragen dazu geben könnte, denn wenn ihr das tun würdet, wenn irgendjemand es tun würde, dann würden wir vielleicht Antworten bekommen. Wir könnten entdecken, dass die „Männlichkeit”, wie wir sie bisher sahen, in Wahrheit nur eine Fassade ist, dass „Männlichkeit” in Wahrheit fragil, verletzlich und verletzend ist, dass sie nichts weiter ist als Menschlichkeit.
Echte Männer stellen keine Fragen. Echte Männer schlagen so lange mit dem Hammer drauf, ballern so lange mit dem Laser, bis das Problem beseitigt ist. Aber was ist, wenn das Problem im eigenen Herzen sitzt? Was ist, wenn das Problem nur so ein Gefühl ist, tief im Innern, dass etwas absolut nicht stimmt? Hammer und Laser sind natürlich auch dann eine Option, aber eine andere wäre, die eigene Not ernst zu nehmen, sich damit auseinanderzusetzen, statt sie mit Drogen und Medikamenten oder Hobby-Misogynie zu unterdrücken.
Es ist natürlich nicht Aufgabe der Frauen oder feministischer Aktivistinnen, die Probleme der Männer zu lösen. Auch wenn es so wäre, gibt es auf dieser Welt unzählige Frauen, die von Begegnungen mit Männern schwer traumatisiert wurden und die daher nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollen, und das ist natürlich auch ihr Recht. Ich habe Verständnis für die kleine Strömung des Feminismus, derzufolge Frauen männlicher Gewalt nur begegnen können, indem sie Männer und Jungen anschreien, bis sie damit aufhören; früher habe ich mich in dieser Denkschule durchaus wiedergefunden. Das war einmal.
Eine neue Betrachtung von Sexualität, Gender und Macht kann Männern helfen, ihren geschlechtsspezifischen Schmerz zu verarbeiten. Die Erkenntnis, in welchem Ausmaß männliche Gewalt gegen Frauen stattfindet, ist für jeden Mann, der mit einem Gewissen gesegnet ist, ein schmerzhafter Schock. Deshalb können Männer erst über Männlichkeit reden, wenn sie ihre moderne, brutale Form aufgearbeitet haben.
Wer von Vorurteilen betroffen ist, leidet darunter, egal, ob an diesen Vorurteilen etwas dran ist oder nicht. Frauen merken, dass Männer sie schon von ihrer Erziehung her nicht als Individuen betrachten, sondern als Kategorie, als soziales Problem, das es zu lösen gilt. Wenn Männer merken, dass Frauen sie genauso sehen – als feindliches Terrain –, reagieren sie häufig verletzt und zornig.
Die soziale Heterosexualität ist nach wie vor ein Prozess der wechselseitigen Entmenschlichung. So ist auch die nicht abreißende Debatte darüber zu erklären, ob Männer und Frauen „wirklich” Freunde sein können, ohne dass ihnen „der Sex in die Quere kommt”. Aufschlussreich an dieser uralten Scheinkontroverse ist nicht nur, dass sie ernsthaft diskutiert wird, sondern auch, dass unterstellt wird, Sexualität verhindere Freundschaft. Jeder Mensch, den wir möglicherweise nackt sehen wollen, befindet sich somit grundsätzlich auf feindlichem Terrain, das es zu erobern, nicht aber zu verstehen gilt.
So gut wie alle Männer und Jungen – so gut wie alle Menschen – wollen das Gefühl haben, gebraucht und geliebt zu werden. Es ist eine leise Tragödie unserer Zeit, dass wir jungen Männern immer noch einreden, sie könnten sich nur nützlich machen, indem sie entweder einen Haufen Geld verdienen und es einer dankbaren, gefügigen Ehefrau nach Hause bringen, die sie pflichtschuldig mit langweiligem Sex belohnt, oder fernab der Heimat in einem Krieg kämpfen und womöglich sterben. In der echten Welt betätigen sich seit jeher die wenigsten Männer als heroische Kämpfer, und Kriege werden heute ohnehin zunehmend von Robotern ausgefochten. Trotzdem wollen Männer das Gefühl haben, gebraucht und geliebt zu werden.
Zumindest sagen sie mir das in ihren Briefen. Ich würde verzweifeln, wenn ich nicht so viele Briefe bekäme. Auf jeden Mann, der von seinem randvoll mit Selbsthass gefüllten Tagesplan ein paar Minuten abknapst, um mir mitzuteilen, dass ich eine bösartige frigide Feminazi bin, die an seiner rachsüchtigen Erektion ersticken soll, kommt ein anderer, der einfach nur wissen will, was er für die Prävention von Vergewaltigungen tun kann. Oder der verzweifelt ist, weil er, so sehr er sich auch anstrengt, in der Krise keinen Job findet und sich deshalb nicht mehr wie ein richtiger Mann fühlt. Manchmal bekomme ich E-Mails von Collegestudenten, die mir schüchtern anvertrauen, dass sie möglicherweise Feministen seien und ob das in Ordnung wäre, als hätten sie einen schlimmen Ausschlag und fragen, ob das normal sei. Keiner dieser Männer äußert den Wunsch, „Ernährer” zu sein, doch alle sehnen sich verzweifelt nach Austausch.
Sehr viele Männer und Jungs wollen kein „Ernährer”, kein „harter Mann” sein, und sehr viele Männer und Jungs wollen auch nicht über Frauen bestimmen, wie man es ihnen beigebracht hat. Fast alle jungen Männer und Jungs, denen ich in meinem Leben nahestand, wollten etwas ganz anderes. Immer mehr Männer und Jungs wollen das Gefängnis sprengen und sich mit anderen zusammentun.
Denn es gab ja schon immer auch die anderen. Große kräftige Männer, die nur in die Stadt fliehen und Bilder malen wollten. Männer, die gern Sex hatten, aber keine Familie gründen wollten. Männer, die sich Frauen oder anderen Männern unterwerfen wollten und das nicht als Schwäche betrachteten. Männer, die ein Händchen für den Umgang mit Kindern oder älteren Menschen hatten. Männer, die sich nicht mit der Aussicht anfreunden konnten, vierzig Jahre lang ihr Brot damit zu verdienen, dass sie mit Stöcken auf jemanden einschlugen. Diese Männer waren immer da, und sie strafen die Behauptung, es habe stets nur eine Art von „Männlichkeit” gegeben, still und leise Lügen.
Es wird wehtun
Trotz einer mitfühlenden Haltung gegenüber Männern soll der Feminismus nicht etwa deren Gefühle schonen. Ganz im Gegenteil. Wenn wir uns ein erfülltes Leben und eine Gesellschaft wünschen, die Frauen als vollwertige Menschen behandelt, müssen Männer sich und ihre Erfahrungswelt in einem neuen, auch unangenehmen Licht betrachten. Das Mitgefühl, das Männer und Jungs brauchen können, wenn sie der Welt der Gewalt, der Frauenfeindlichkeit und der emotionalen Verstopfung entfliehen wollen, ist nicht das des Priesters, der Sünden vergibt, sondern das des Arztes, der einem leidenden Idioten, der mit einer eiternden Wunde den Arztbesuch zu lange hinausgezögert hat, mit Nachdruck erklärt: Ich fürchte, das wird wehtun.
Natürlich wird es wehtun. Aber es tut ja jetzt schon weh. Von dem tiefen Schmerz, den das groteske Zerrbild der modernen Männlichkeit unzähligen Männern zufügt, hört man kaum etwas, denn wenn es gestattet wäre, diesem Schmerz Ausdruck zu verleihen, so würde das nicht als Wut oder Hass empfunden, sondern als Angst und Abscheu, als Verstörtheit und Selbstzweifel oder auch einfach nur als Unsicherheit darüber, was zum Teufel wir heutzutage eigentlich sein sollen. Und das ist einfach nicht männlich.
Bücher und Studien wie Hanna Rosins „Das Ende der Männer“ kommen zu dem Schluss, dass die Zugewinne der Frauen – Fortschritte am Arbeitsplatz und die relative Freiheit, eben nicht zu heiraten, Kinder zu bekommen und sich zu Hause und im Beruf der Macht der Männer zu unterwerfen – mit Verlusten auf Seiten der Männer und Jungs korrelieren. Es wird so getan, als gebe es eine feste Menge an Gleichheit in der Welt, so dass ein Mehr für die Frauen automatisch ein Weniger für die Männer bedeutet. So funktioniert Freiheit aber nicht. Wie kaum etwas anderes in der Welt bereichert Freiheit die, die sie anderen gewähren, auch wenn sie es nur widerwillig tun. Männer, die ein Gewissen haben, machen sich gar keine Vorstellung davon, wie wohl sie sich fühlen würden in einer Welt, in der Frauen als freie und gleichberechtigte Akteurinnen leben, arbeiten und vögeln dürfen, in einer Welt, in der Menschlichkeit vor dem Geschlecht kommt.
»Feminazi« oder die Angst der Männer
Das große Hindernis für das Fortkommen der Frauen ist nicht der Hass der Männer, sondern ihre Angst. Die „Männerrechtsaktivisten”, die sich im Internet organisieren, um Frauen zu übertönen, sind meist angsterfüllte, einsame Wesen, die unbedingt über die Geschlechter reden wollen, dies aber nur tun können, indem sie Frauen mundtot machen. Dieser Ausdruck der Angst äußert sich auf extrem kindische Weise in einer Haltung, die in ihrer Überwachung der Geschlechterrollen so faschistisch ist wie die eines Spielplatzrabauken und deren Vertreter völlig ernsthaft Wörter wie „Feminazi” benutzen. Weil die Nazis ja vor allem für ihren Kampf um die Gleichberechtigung bekannt waren.
Sie tun gerade so, als verhinderten wir, indem wir über die Verletzungen reden, die uns aufgrund unseres Frauseins zugefügt werden, dass die Männer über den quälenden Druck der Männlichkeit reden können. Viele Männer können offenbar ihr Leid nur artikulieren, wenn sie gleichzeitig Frauen daran hindern, das ihre zu artikulieren.
Nun, da immer mehr Frauen, Mädchen und eine wachsende Zahl männlicher Verbündeter ihre Stimme gegen Sexismus und Ungerechtigkeit erheben, geschieht etwas Merkwürdiges: Wenn wir Vorurteile ansprechen, so wird bemängelt, sei das in sich schon ein Vorurteil.
Wenn Frauen Frauenfeindlichkeit thematisieren, werden sie oft gebeten, ihre Sprache zu mäßigen, um die Gefühle der Männer nicht zu verletzen. Sagt nicht: „Männer unterdrücken Frauen”, das ist sexistisch, genauso schlimm wie der Sexismus, mit dem sich Frauen herumschlagen müssen, vielleicht sogar schlimmer. Sagt stattdessen: „Manche Männer unterdrücken Frauen.” Egal, was ihr sagt, ihr dürft nicht verallgemeinern.
Mit einer solchen Haarspalterei kann man Frauen wirkungsvoll das Maul stopfen. Immerhin hat man uns beigebracht, die Gefühle anderer immer über unsere zu stellen. Wir haben nicht zu sagen, was wir denken, wenn die Möglichkeit besteht, dass wir jemanden verletzen oder, schlimmer noch, verärgern könnten. Ich beobachte diese Maulkorbtechnik in allen sozialen Bewegungen, mit denen ich zu tun habe: Schwarze werden gebeten, die Gefühle Weißer zu berücksichtigen, ehe sie über ihre Erfahrungen sprechen; Schwule und Transsexuelle werden gebeten, sich doch bitte nicht so zu echauffieren, damit sich Heterosexuelle nicht unwohl fühlen. Also schwächen wir unsere Aussagen mit Entschuldigungen, Einschränkungen und Besänftigungen ab. Wir versichern unseren Freunden und Liebsten, dass sie natürlich nicht zu diesen blöden Heinis gehören. Du bist keiner dieser Rassisten, dieser Homophoben, dieser Frauenhasser.
Profiteure des Sexismus
Was wir nicht sagen: Natürlich hassen nicht alle Männer Frauen. Aber die Kultur hasst Frauen, und Männer, die in einer sexistischen Kultur aufwachsen, haben, oft unbeabsichtigt, die Neigung, sexistisch zu handeln und sich sexistisch zu äußern. Wir verurteilen dich nicht dafür, was du bist, aber das heißt noch lange nicht, dass wir dich nicht darum bitten, dein Verhalten zu ändern. Was du tief in deinem Herzen über Frauen denkst, ist erst einmal nicht so wichtig wie die Art und Weise, wie du sie im Alltag behandelst. Du magst der sanfteste, freundlichste Mann der Welt sein, aber trotzdem profitierst du vom Sexismus, trotzdem machst du womöglich nicht den Mund auf, wenn du erlebst, dass Frauen beleidigt und diskriminiert werden. So funktioniert Unterdrückung. Tausende ansonsten anständiger Menschen werden dazu gebracht, sich mit einem ungerechten System zu arrangieren, weil es zu mühsam erscheint, es zu ändern. Wenn jemand die Veränderung dieses ungerechten Systems einfordert, wäre die angemessene Reaktion zuzuhören und nicht, sich abzuwenden oder wie ein kleines Kind zu plärren: „Ich war das aber nicht!” Natürlich warst du das nicht. Du bist bestimmt allerliebst. Trotzdem hast du eine Verantwortung, etwas dagegen zu unternehmen.
Die Gesellschaft neigt dazu, uns von strukturellem Denken abzuhalten. In einer Kultur, in der wir uns als frei handelnde Individuen betrachten sollen, fällt es nicht leicht, verstörende Realitäten wie Armut, Rassismus und Sexismus als Teile einer größeren Gewaltarchitektur zu erkennen. Doch das Gemeinwesen ist von Bigotterie befallen wie von einer Infektion: Man sieht und spürt sie erst, wenn die Symptome sichtbar werden. Aber sie ist da, unter der Oberfläche, sie schwillt und schwärt in vielen einzelnen Wunden, an denen man ablesen kann, dass unter der Oberfläche noch mehr passiert. Deine Freundin wird auf einer Party von einem anderen Freund vergewaltigt; deine Kollegin muss kündigen, weil sie sich keine Vollzeitbetreuung für ihr Kind leisten kann; deine Tochter kommt heulend nach Hause, weil sie sich zu dick fühlt, und verweigert das Abendessen. Es ist einfacher und nicht so verstörend, all diese Dinge als individuelle, unzusammenhängende Erfahrungen zu betrachten statt als Teil eines strukturellen Sexismus, der alle infiziert. Sogar dich.
Wenn ich sage, „alle Männer sind in eine Kultur des Sexismus eingebunden” – alle Männer, nicht nur manche Männer –, mag das wie eine Anklage klingen. Es ist aber eine Aufforderung. Du kannst dich als Mann entscheiden, bei der Schaffung einer gerechteren Welt für Frauen und für Männer mitzuhelfen. Du kannst dich entscheiden, gegen Frauenfeindlichkeit und sexuelle Gewalt vorzugehen, wenn du sie beobachtest. Du kannst dich entscheiden, Risiken einzugehen und Energie darauf zu verwenden, dass du Frauen unterstützt, Frauen förderst, die Frauen in deinem Leben gleichberechtigt behandelst. Du kannst dich entscheiden, Stellung zu beziehen und Nein zu sagen, und jeden Tag treffen mehr Männer und Jungs diese Entscheidung. Die Frage ist: Willst du einer von ihnen sein?
Was wir von den Männern einfordern, ist schwer zu erfüllen. Eines muss klar gesagt werden: Wir haben eine Gesellschaft geschaffen, in der es für jede männliche Person strukturell schwierig und existenziell aufreibend ist, sich nicht wie ein komplettes Arschloch aufzuführen. Dass nicht wenige Männer es dennoch zuwege bringen, anständige Menschen zu sein, müssen wir ihnen hoch anrechnen.
Der Feminismus darf Männerfragen nicht am Rande behandeln, sondern muss sie direkt und leidenschaftlich thematisieren, denn im Moment herrscht ein konspiratives Schweigen rund um das Thema Männer und Gender. Wenn die männliche Identität eine Chance haben soll, müssen Männer und Jungs akzeptieren, dass das alte Verteilungsmodell der patriarchalischen Macht passé ist. Für die meisten Menschen hat es ohnehin nie existiert. Die Männer von morgen müssen es mit Anstand loslassen. Bewahrt euch im Angesicht eines subjektiv wahrgenommenen Machtverlustes Würde, und ihr werdet sehen, dass andere Menschen, die keine Männer sind, euch aufrichtig schildern, was unter echter Machtlosigkeit zu verstehen ist.
Eines sei unmissverständlich klargestellt: Ich will weder dem Feminismus seine Spitze nehmen noch den Männern vorgaukeln, dass er ihr Leben nicht verändern wird, denn das hat er schon getan, und er wird es auch weiter tun, bis wir fertig sind – und das ist gut. Es ist ja nicht so, dass wir uns keinen Feminismus leisten könnten. Egal, wie pleite wir sind, können wir uns umgekehrt eine Welt ohne Feminismus nicht leisten. Und ich kann es gar nicht abwarten, dass wir endlich in Gang kommen.
Ich kann es nicht erwarten, dass wir einander gleichberechtigt begegnen. Ich kann es nicht erwarten, dass das Potential der Menschen endlich frei ist, und das wird geschehen, wenn die eine Hälfte der Menschheit nicht mehr in Angst vor der anderen lebt. Ich kann es nicht erwarten, dass wir ohne jede Angst vor Gewalt anziehen können, was wir wollen, und lieben können, wen wir wollen. Männer, Frauen und alle anderen bauen diese Welt auf, indem sie sich um ein freies Leben bemühen, freier, als es in dieser Monstrosität, die wir modernes Leben nennen, völlig gefahrlos möglich ist.
Mit jedem Jahr, das vergeht, begegne ich mehr Männern und Jungs, die die restriktiven Geschlechternormen ebenso satt haben wie wir anderen, und die bereit sind, etwas zu ändern, in ihrem Leben Raum für Unterschiedlichkeit zu schaffen und für all jene einzustehen, die das auch tun. Das ist keine leichte Aufgabe. Wer die Gewaltrituale ablehnt, mit denen ein Mann aufwächst, riskiert Gewalt, riskiert es, Fehler zu machen und dumm dazustehen, riskiert, dass sein Stolz zutiefst verletzt wird, und ich bin ergriffen vom Mut der Männer und Jungs in meinem Leben, die diese Risiken eingehen. Sie sind die starken Männer. Sie wissen, dass wahre Kraft Anpassungsfähigkeit erfordert, denn wer fällt und sich nicht biegen kann, zerbricht. Sie haben die Macht, die Welt zu erneuern. Und solange ich ein politischer Mensch bin, werde ich mit diesen Männern solidarisch sein.
* Der Beitrag basiert auf „Unsagbare Dinge. Sex, Lügen, Revolution“, dem jüngsten Buch der Autorin, das im Verlag Edition Nautilus erschienen ist.
[1]* Der Beitrag basiert auf „Unsagbare Dinge. Sex, Lügen, Revolution“, dem jüngsten Buch der Autorin, das im Verlag Edition Nautilus erschienen ist.
Siehe Natasha Walter, The New Feminism, London 1999; siehe auch Sarah Jaffe, Trickle Down Feminism, in: „Dissent“, Winter 2013.
[2] Susan Faludi, Männer: Das betrogene Geschlecht, übersetzt von Ursula Locke-Groß, Sabine Hübner und Angela Schumitz, Reinbek 2001, S. 13.
[3] How Many Men are Rapists?, www.mptoons.com/blog, 5.5.2004.