Ausgabe Februar 2021

Laschet gegen Söder: Der Kampf ums Kanzleramt

Armin Laschet, CDU, und Markus Soeder, CSU, beim Auftakt zum Europawahlkampf von CDU und CSU in Münster, 27.04.2019

Bild: IMAGO / Sven Simon

Wenn am 26. September der Nachfolger von Bundeskanzlerin Angela Merkel gewählt wird, wird die CDU 52 von 72 Jahren dieses Land regiert haben. Und ob des enormen Abstands der Union zu allen ihren Herausforderern in den Umfragen spricht sehr viel dafür, dass ihr Kanzlerkandidat auch die nächste Bundesregierung anführt – in welcher Konstellation auch immer. Der Kampf um die Kanzlerkandidatur der Union bedeutet damit auch eine Vorentscheidung über die kommende Kanzlerschaft.

Insofern war die Wahl Armin Laschets zum neuen CDU-Vorsitzenden die zweitwichtigste Wahlentscheidung dieses Jahres, abgesehen von der Bundestagswahl selbst. Allerdings ist damit keineswegs geklärt, wer der zukünftige Unions-Kanzlerkandidat werden wird – aber immerhin, wer es nicht wird, weder Friedrich Merz noch Norbert Röttgen und auch nicht Jens Spahn. Mit dem CDU-Parteitag Mitte Januar hat sich das Feld der Aspiranten auf die Kanzlerschaft entscheidend gelichtet, nämlich bis auf die beiden Parteivorsitzenden Armin Laschet und Markus Söder.

Bereits das ist ein kleiner Erfolg der gesamten Union. Denn während sich andere, einst erfolgreiche konservative Parteien in Europa längst zerlegt haben und die US-Republikaner durch Trump in eine selbstzerstörerische Phase eingetreten sind, ist es der CDU bei dieser Wahl gelungen, das Schlimmste zu verhindern: den Verlust der für einen Wahlerfolg entscheidenden Integrationsfähigkeit in der gesellschaftlichen Mitte.

Diese Gefahr hatte einen Namen, Friedrich Merz. Völlig zu Recht fürchteten weite Teile der Parteiführung, dass er mit seiner enorm polarisierenden Art einen großen Teil der liberalen Mitte verprellen und damit den Wahlerfolg der Nach-Merkel-Union gefährden könnte. Die Devise war daher klar: „Keine Experimente, Laschet wählen“. Insofern war die Wahl des NRW-Ministerpräsidenten nicht zuletzt eine Verhinderungswahl eines Kanzlerkandidaten Merz als des Garanten massiver Disruption, in der Gesellschaft wie in den eigenen Reihen.

Die Richtigkeit dieser Überlegung bestätigte Merz umgehend selbst. Hatte er eben noch in seiner zum zweiten Mal „grottenschlechten“ Bewerbungsrede getönt, „ich bin nicht in eine Vermittlungsagentur für Regierungsämter eingetreten“, stellte er diese Behauptung nach seiner Niederlage glatt auf den Kopf – und forderte das Bundeswirtschaftsministerium. Und zwar subito, durch sofortige Entlassung Peter Altmaiers. Mit dieser schier aberwitzigen Volte – „Versagen muss sich wieder lohnen“ – erbrachte Merz erneut den Beweis, dass ihm der Dienst an der Partei ein Fremdwort ist und das Amt des Vorsitzenden nur als Steigbügel zum Erringen der Kanzlerkandidatur dienen sollte.

Umso erstaunlicher ist es, dass dem Egomanen aus dem Sauerland weiterhin die Herzen großer Teile der Partei zufliegen. Hier aber liegt die erste von drei schweren Hypotheken, die Armin Laschets Kanzlerkandidatur entgegenstehen. Sein knapper Wahlsieg mit nur 52,6 Prozent der Stimmen in der Stichwahl (und 38,3 im ersten Durchgang) zeigt: Der Aachener ist Vorsitzender einer Partei, die weiterhin hochgradig gespalten ist. Und diese Spaltung wurde durch seine Wahl, insbesondere durch den unfairen und strategisch desaströsen Auftritt von Jens Spahn in der Fragerunde, keinesfalls verringert. Im Gegenteil: Damit erweckte der Laschet-Partner den Eindruck, dass das „Establishment“ wieder einmal gegen den Kandidaten der Basis operierte (womit sich Spahn zugleich selbst aus dem Rennen um die Kanzlerkandidatur genommen hat).

Angeblich hagelte es nach Merz‘ Niederlage Parteiaustritte. Daran zeigt sich, dass offenbar noch immer eine erhebliche Entfremdung zwischen der Parteispitze und einem großen Teil der Parteibasis herrscht, die schier unbeirrbar zu Merz tendiert.

Herzensmensch oder Machiavellist

Der frisch gewählte Parteivorsitzende ist somit weit davon entfernt, Herr im eigenen Hause zu sein. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Merz später notgedrungen Laschet seine Unterstützung anbot, nach der kritischen Resonanz auf die eigene Maßlosigkeit. In einer Mail an alle Parteimitglieder forderte Merz diese fast gönnerhaft auf: „Wählen Sie Armin Laschet, damit er mit einem guten Ergebnis seine Arbeit aufnehmen kann.“ Die Betreffzeile allerdings – „#MerzMail: Ich mache weiter“ – mag für Laschet eher wie eine Drohung denn wie eine Verheißung klingen. Friedrich Merz, soviel steht fest, wird als Macht- und Unruhefaktor weiter eine maßgebliche Rolle in der Union spielen. Und ohne eine geschlossen hinter ihm stehende CDU hat Laschet keine Chance auf die Kanzlerkandidatur.

Dass Laschet nun den Integrator geben muss, der weiterhin um Merz und dessen Flügel buhlt, anstatt der enormen Brüskierung durch die Merz-Forderung nach dem Wirtschaftsministerium hart zu begegnen, verweist auf seine zweite Schwäche und Hypothek – sein eigenes Autoritätsdefizit, das sich nicht zuletzt in schwachen Umfrageergebnissen niederschlägt. Im vergangenen Jahr der Bewährung ist es Laschet nicht gelungen, Autorität zu generieren, im Gegenteil: Durch seine laxe Haltung zu Beginn der Coronakrise, die bis heute sein Ansehen in der Öffentlichkeit entscheidend prägt, hat er sein Image des jovialen lockeren Rheinländers in verheerender Weise bekräftigt, anstatt, wie es die Lage geboten hätte, gegen die Pandemie anzugehen und den umsichtigen Landesvater zu geben. Dadurch ist ein massiver Vertrauensverlust in der Bevölkerung entstanden – völlig ungeachtet der Tatsache, dass Laschet seinen Kurs im vergangenen halben Jahr erheblich verschärft hat.

Daran zeigt sich, wie schwer es für ihn werden wird, diesen einmal entstandenen Imageschaden nun wieder wettzumachen. Das Argument, dass auch Laschets Vorgänger als Parteivorsitzende, Helmut Kohl und Angela Merkel, lange Zeit unterschätzt wurden, verkennt das Entscheidende: Wofür Kohl und Merkel etliche Jahre brauchten, nämlich ihr Negativimage zu korrigieren, das muss Laschet nun binnen knapp zwei Monaten vollbringen – bis zu den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg am 14. März. Danach wird die Union unter dem Eindruck dieser beiden Wahlausgänge ihre Entscheidung über die Kanzlerkandidatur fällen. Bisher jedenfalls begeistert Laschet weder die eigene Partei noch die Gesamtbevölkerung. Nur wenn ihm bis März das Kunststück gelingt, sein Ansehen so zu verbessern, dass ihm in der gesamten Union eine reelle Siegchance im September eingeräumt wird, hat er eine Chance, zum Kanzlerkandidaten ernannt zu werden.

Söder ist ein machiavellistisches Meisterstück gelungen.

Das allerdings verweist auf seine dritte und schwerste Hypothek, nämlich auf Markus Söder – Laschets letzten noch verbliebenen Gegenspieler, dem genau ein derartiges Kunststück gelungen ist. Die Coronakrise wurde zum historischen Glücksfall für den Franken, der ihm die Chance zu einem perfekten Rollentausch bescherte.[1] Vom lange Zeit größten Merkel-Kritiker avancierte er förmlich zu deren Stalker. Als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz wich er, auch inhaltlich, bei keiner Pressekonferenz von der Seite der Kanzlerin. So wurde binnen eines Dreivierteljahres aus einem hoch unbeliebten Scharfmacher der beliebteste (männliche) Politiker des Landes, ein in der Geschichte der Bundesrepublik einzigartiger Vorgang.

Söder ist damit ein machiavellistisches Meisterstück gelungen. Mit kaltblütiger Berechnung hat er seine Konkurrenten an die Wand gespielt. Zuerst traf es Armin Laschet, der von Söder ganz systematisch, durch ständige Provokationen und Vergleiche, in den Wettstreit um die beste Anti-Corona-Strategie getrieben wurde. Allerdings war Laschet auch so kurzsichtig, in diesen ruinösen Wettbewerb einzusteigen. Danach nahm sich Söder mit Jens Spahn den nächsten Konkurrenten vor. Weil der Gesundheitsminister immer stärker als potentieller Kanzlerkandidat gehandelt wurde, attackierte Söder ihn frontal wegen der zu geringen Bestellung von Impfdosen. Und in der Auseinandersetzung zwischen Merz und Laschet baute Söder über Wochen ganz gezielt den zuvor von ihm demontierten Laschet wieder auf, weil er einen Parteivorsitzenden Merz unbedingt verhindern wollte – auch weil dieser mit Sicherheit nicht auf die Kanzlerkandidatur verzichtet hätte. Durch den Ausgang des CDU-Parteitags ist Söders Rechnung grandios aufgegangen: Zwei Konkurrenten, Spahn und Merz, sind erledigt (Röttgen war nie einer), bleibt nur noch Laschet.

Mit dieser brutalen Härte steht Söder allerdings durchaus in einer großen Ahnenreihe mit allen die Republik prägenden Bundeskanzlern, insbesondere auf der konservativen Seite, von Adenauer über Kohl bis Merkel. Sie alle verfügten über diesen absoluten Willen zur Macht. Merkel als die einzige Kanzlerin ist dabei beileibe keine Ausnahme, wie noch ihre jüngste Parteitagsrede belegte, in der sie nicht ein Wort der Anerkennung über ihre Nachfolgerin im Parteivorsitz verlor. Verglichen mit den Kanzlern der SPD ähnelt Söder in seinem Willen zur Macht zweifellos am stärksten Gerhard Schröder. Wobei die entscheidende Frage lautet, ob er auch über Schröders Charakterlosigkeit verfügt, der vor allem mit seinem Engagement als besserer Handelsvertreter Wladimir Putins dem Ansehen der SPD inzwischen maximal geschadet hat.

Vertrauen als wichtigste Währung

Söder kann man dergleichen bislang nicht nachsagen. Allerdings bleibt angesichts seiner Vergangenheit und trotz seiner neuen, dezidiert verantwortungsethischen Position in der Coronakrise ein erheblicher Zweifel an der Lauterkeit seiner Motive.

Vertrauenswürdigkeit wird damit zu einer ganz entscheidenden Währung. Faktisch konkurrieren Laschet und Söder mit zwei völlig unterschiedlichen Strategien um das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler. Laschet erbat mit seiner Parteitagsrede Vertrauen für sich als Person und verspricht dafür Teamplay; Söder dagegen verspricht Führungskraft, also die Richtlinienkompetenz des Grundgesetzes, und erbittet dafür, ihm zu vertrauen und zu folgen. Laschets Problem: Gerade als ein noch immer recht Unbekannter muss er sich ein derartiges „blindes“ Vertrauen in die Person hart erarbeiten, und so etwas dauert zumeist Jahre. In der Coronakrise hat Laschet Vertrauen dagegen verspielt. Es jetzt noch aufzubauen, wird ausgesprochen schwer werden. Söders Problem besteht hingegen darin, dass die Erinnerung an den „alten Söder“ keineswegs verblichen ist. Dieses Misstrauen dürfte dann wieder aufflammen, wenn man das zweite Meisterstück Söders erst richtig realisiert – nämlich das kommunikative, diskursstrategische.

Bis in den Sommer 2020 verkündete der Nürnberger unbeirrt: „Mein Platz ist in Bayern.“ Doch seit der Anberaumung der CDU-Vorsitzenden-Wahl ist nur noch von einer einvernehmlichen Entscheidung zwischen ihm und Laschet die Rede. Von Beteuerungen, dass er unbedingt weiter in Bayern bleiben wolle, war ab dem Zeitpunkt nichts mehr zu hören. Stattdessen ist es Söder gelungen, ein zweites, allerdings ebenso verschleierndes Narrativ zu platzieren. „Ich bin fest entschlossen, dass ich das mit Armin besprechen will“, sagte Söder am Tag nach der Laschet-Wahl bei „Anne Will“. Doch diese Idee eines quasi herrschaftsfreien Diskurses der beiden Parteivorsitzenden ist ebenfalls eine große Chimäre, die vor allem dazu dient, dem CDU-Chef weiterhin eine angebliche Autonomie einzuräumen.

Am Ende werden ganz andere Aspekte entscheiden, nämlich die knallharten Wahlaussichten der Union, insbesondere der CDU-Bundestagskandidatinnen und -kandidaten. Volker Bouffier, ob seiner Erfahrung der nach Merkel wohl einflussreichste Parteipolitiker der CDU, setzte denn auch in derselben, höchst bemerkenswerten „Anne Will“-Sendung ein großes „Aber“ hinter einen möglichen Kanzlerkandidaten Laschet. „Das werden wir so entscheiden, wie wir glauben, dass wir die besten Chancen haben, die Bundestagswahl zu gewinnen“, so Bouffier unmissverständlich und emotionslos: „Es geht am Ende um den gemeinsamen Erfolg“ und darum, „dass CDU/CSU das Maximale auf die Rampe bringen“.

Spätestens als Bouffier dann zwei einschlägige Präzedenzfälle schilderte, konnte sich der zugeschaltete Söder entspannt zurücklehnen – es waren ausgerechnet die Kandidaturen von Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber an Stelle von Ernst Albrecht und Angela Merkel. Denn so wie die Werte 2002 eindeutig für Stoiber sprachen, sprechen sie heute für Söder. Und auch die Zeit spielt für ihn.

Am Ende werden ganz andere Aspekte entscheiden, nämlich die knallharten Wahlaussichten der Union.

In den nächsten Wochen, den wohl kritischsten der Coronakrise, werden sich die beiden Konkurrenten nun ein letztes Schaulaufen bieten. Viel Zeit bleibt Laschet also nicht. Und bisher ist an Söders Teflonimage des fürsorglichen Hardliners alles abgeperlt. Man denke nur an das bayrische Testchaos im Sommer 2020, das Söder geschickt zu einer bloßen „Panne“ kleinreden konnte. Oder auch an seinen jüngsten, hoch umstrittenen Vorstoß mit einer Impfpflicht für Pflegekräfte. Söders Autorität hat all das nicht geschadet, während sich Laschets Werte bisher kaum nach oben bewegen.

Nach den beiden Landtagswahlen am 14. März werden wir mehr wissen – und zwar weit über die Union hinaus. Speziell für die SPD ist die Wahl in Rheinland-Pfalz bereits eine Schicksalswahl, wie es 2017 die Saarlandwahl war. Damals brach der klare Sieg Annegret Kramp-Karrenbauers die rote Schulz-Welle. Gewinnt der CDU-Kandidat Christian Baldauf gegen Malu Dreyer, hätte die SPD ihre einzige Siegchance vor dem 26. September verspielt, was ein wichtiger Erfolg auch für den neuen CDU-Chef wäre. Dagegen wäre eine klare Niederlage der CDU-Kandidatin Susanne Eisenmann gegen den leicht ausgelaugten Winfried Kretschmann auch eine Schlappe für Laschet. Im Lichte dieser beiden Landtagswahlen werden die Chancen der beiden Unionskandidaten bemessen werden, aber keineswegs nur in diesem. Vieles spricht daher für einen Kanzlerkandidaten Söder – und damit für den ersten Kanzler der CSU.

[1] Albrecht von Lucke, Die Corona-Wende: Markus Söder ante portas, in: „Blätter“, 7/2020, S. 97-105.

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